Gipfeltreffen in Europa Polit-Shows mit Fragezeichen

  • von Hans Peter Schütz
Eines haben der Weltwirtschaftsgipfel in London, das Nato-Treffen in Straßburg und Barack Obamas Rede in Prag gemeinsam: Sie sind zunächst nur große Polit-Shows gewesen. Zwar wurden viele Vorhaben auf den Weg gebracht. Noch ist aber nicht mal ansatzweise klar, ob sie die Welt verändern werden.

Küsschen links, Küsschen rechts. Angie strahlte. Obama lächelte, beim badischen Spangenspargel mit Kalbmedaillons in Baden-Baden ebenso wie vor der Prager Burg. "Wir wollen eine neue Welt zusammenbauen", verkündete Nicolas Sarkozy. Und die Gipfel-Gazellen Carla Bruni und Michelle Obama umrankten hochmodisch die Popstars der Politik.

Erlebten wir eine epochale Wende der Weltpolitik beim G20-Weltwirtschaftsgipfel in London, beim Nato-Gipfel in Straßburg und Umgebung, bei Obamas Auftritt in Prag? Einen historischen Höhepunkt, der einmal in den globalen Geschichtsbüchern notiert sein wird - als Ursprung einer Welt ohne Atomwaffen und einer Erde ohne Wirtschaftskrise samt fairer Chancenverteilung für ihre Bewohner?

Die Fragezeichen sind sehr berechtigt. Erlebt hat die Welt Gipfel der Ankündigungen. Wie die neue Welt danach aussehen, ob es überhaupt eine neue Welt geben wird, weiß niemand. Es gab vielfältige Absichtserklärungen, wortreiche politische Deklarationen. Die schöne neue Welt steht vorderhand auf dem Papier.

Der G20-Gipfel beschloss, eine neue internationale Finanzaufsicht aufzubauen. Guter Vorsatz. Wie aber konkret organisiert werden soll, dass künftig kein Finanzprodukt und kein Finanzmarkt mehr ohne unabhängige Kontrolle läuft, blieb offen. Einig war man sich lediglich beim weiträumigen Blick auf die Zügelung eines raffgierigen Kapitalismus. Wie etwa wird die Polsterung der Banken mit mehr Eigenkapital durchgesetzt? Die deutschen Banken, wiewohl der seriöseren Spezies ihrer Art zuzurechnen, jammern schon mal vorab, man dürfe sie beim Ruf nach höherem Eigenkapital nicht überfordern.

Auch die versprochene Kontrolle der Hedge-Fonds will man erst mal sehen. Ebenso die höhere Selbstverantwortlichkeit der Rating-Agenturen. Statt Wertpapiere gründlich zu durchleuchten, haben sie sich von den Emittenten für geschlossene Augen bezahlen lassen. Wer die neuen Schlupflöcher sucht, muss nur einmal kurz darüber nachdenken, was es wohl heißt, dass nur den "systemisch" wichtigen Hedge-Fonds oder den "sytemisch" wichtigen Banken gründlich auf die Geschäftsfinger geblickt werden soll. Und schon sind sie gefunden.

Dass der Internationale Währungsfonds (IWF) künftig ausgestattet mit einer Billion Dollar mitwirken soll bei den Abwehrkämpfen gegen Finanz- und Wirtschaftskrisen, ist eine gute Absicht. Was daraus konkret wird, lässt sich erst bewerten, wenn klar ist, wie denn die kommenden Entscheidungskriterien bei der Kapitalvergabe aussehen. Immerhin, Schwellen- und Entwicklungsländer sollen mehr Mitspracherechte bekommen. Indien und China sind lange genug ausgeklammert worden. Aber die armen Länder der Welt bleiben wohl weiterhin außen vor.

Absurd kurze Sünder-Liste

Wie tüchtig die G20-Staaten in London dabei waren, sich selbst schöne Sprüche in die Tasche zu schieben, zeigt das Gezerre über die Steueroasen. Sich zu rühmen, die Ära des Bankgeheimnisses zugunsten von Steuerbetrügern sei vorbei, wirkt absurd, wenn dann gerade mal vier Länder auf der schwarzen Liste landen. Und die Schweiz wie Luxemburg zutiefst beleidigt sind, dass sie immerhin noch auf der grauen Liste der potentiellen Steueroasen gelandet sind. Berechtigt ist ihr Unmut nur vor der peinlichen Tatsache, dass die Kanalinseln Jersey oder Guernsey nicht ebenfalls notiert werden. Oder besser noch auf der roten Liste angeprangert werden.

Gedanklich gesehen gibt es neue Ansätze zur Kontrolle globaler Finanzmärkte. Über die Ursachen der aktuellen Krise wird nur verdeckt diskutiert. Dass US-Präsident Barack Obama hier Schuld eingeräumt hat, ehrt ihn. Dass alle anderen Beteiligten, etwa die Briten, sich ausschweigen, stimmt skeptisch.

Der Nato-Gipfel. Sicherheitspolitisch sieht es nicht besser aus als finanz- und wirtschaftspolitisch. Weitreichende Absichten, keine konkreten Vereinbarungen. Was die Deutschen besonders beunruhigen müsste ist die Diskussion darüber, wie aus der Nato - einem bewährten Friedens- und Verteidigungsbündnis - eine globale Sicherheitsorganisation werden soll. Dann könnten leicht Konflikte in Serie auf das Bündnis warten. Mal wegen der Erdschätze am Nordpol, mal wegen Wasserkriegen in Asien. Entstanden ist das Bündnis unter dem Druck des Kalten Krieges. Eine Weltpolizei sollte daraus werden, denken die USA in ihren strategischen Visionen. Im Kampf gegen den globalen Terrorismus ebenso aktiv wie in den Kämpfen um Rohstoffe und Energie. In welch absurde Engagements das führen kann, zeigt Afghanistan. Dort kämpft die Nato für eine Regierung, deren Präsident ein Gesetz unterschreibt, das die Vergewaltigung durch den Ehemann legalisiert.

Weltpolizist Nato?

Wie extrem entwickelt die inneren Widersprüche im Selbstverständnis des Bündnisses sind, zeigte auch der tagelange Kampf um die Berufung des dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen zum neuen Nato-Generalsekretär. Wie kann ein Nato-Partner akzeptiert werden, der sich an der Frage der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen orientiert und die Pressefreiheit in den Partnerstaaten mit beiden Füssen in die demokratische Tonne tritt? Eine Türkei dieser demokratiefeindlichen Strickart hat weder in der Nato noch in der EU eine Existenzberechtigung. Ebenso strittig ist im Bündnis die Frage der künftigen Orientierung zwischen Ost und West. Ihre Ostpartner drängen auf strikte Abgrenzung zu Russland, die westlicheren Bündnispartner auf ein kooperatives Nebeneinander, was sicherlich der bessere Weg wäre. Vor diesem Hintergrund ist das Bündnis als eine Art Weltpolizei im Auftrag der USA oder der Vereinten Nationen nicht wünschbar. Das läuft letzten Ende nur auf eines hinaus: Frieden schaffen mit immer mehr Waffen. Soll das Europas neue Welt sein?

Bleibt die Vision Obamas von einer atomwaffenfreien Welt. Wir reden darüber seit 40 Jahren. Ohne jeden Erfolg. Das hängt eng damit zusammen, dass die A-Bomben-Besitzer stets nur von anderen Staaten fordern, sich nicht selbst atomar aufzurüsten. Parallel dazu befördern sie auf dunklen Wegen die Aufrüstung im Iran oder in Nordkorea. Vielleicht setzt Obama seine Vision konkret auch damit um, dass er auf die Idee der USA verzichtet, in Polen ein Raketenabwehrsystem zu installieren, das nur als Misstrauensvotum gegenüber Russland verstanden werden kann.

Die zahlreichen Fragezeichen hinter den großen Polit-Shows in London, Strassburg/Baden-Baden und Prag lassen nur eine Antwort zu: Es gibt gute Absichten, ob aber daraus Kapitel in der Weltgeschichte werden, muss abgewartet werden. Für geraume Zeit.