Eigentlich lässt das Urteil kaum Spielraum für Interpretationen: Amerikas Oberster Gerichtshof hat in seinem jüngsten Urteil entschieden, dass die Insassen des US-Gefangenenlagers Guantanamo vor amerikanischen Zivilgerichten gegen ihre Inhaftierung vorgehen dürfen. US-Justizminister Michael Mukasey sieht das zum Teil anders. "Die Gerichtsentscheidung betrifft nicht Prozesse der Militärkommission, die weitergehen werden", sagte Mukasey bei einem Treffen der G-8-Justizminister in Tokio.
Mukasey erklärte, er sei enttäuscht über das dritte Urteil gegen Bushs Regierung im Zusammenhang mit Guantanamo. Das Urteil betrifft seiner Ansicht nach aber nicht die Militärgerichtsprozesse, sondern nur das Verfahren, nach dem feindliche Kämpfer festgehalten werden. Man werde sich an die Auflagen halten und prüfen, ob ein neues Gesetz oder andere Maßnahmen erforderlich seien, erklärte er.
Anwälte sehen völlig neue Rechtslage
Vertreter der Guantanamo-Gefangenen, deren Prozess demnächst beginnt, halten genau das Gegenteil für richtig. Korvettenkapitän Brian Mizer, der den seit sechs Jahren in Guantanamo inhaftierten ehemaligen Fahrer von Osama bin Laden verteidigt, erklärte, das Oberste Gericht habe den gesamten rechtlichen Rahmen auf den Kopf gestellt, nach dem seinem Mandanten Salim Hamdan der Prozess gemacht werden solle. Der Prozess ist das erste Kriegsverbrecherverfahren in Guantanamo überhaupt und soll am 14. Juli beginnen.
Auch für den vergangene Woche in Guantanamo begonnenen Prozess gegen fünf mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 erwartet die Verteidigung Auswirkungen. Korvettenkapitän Suzanne Lachelier, Anwältin des angeklagten Ramsi Binalschibh, sagte: "Der ganze Zweck der Regierung war, die Anwendung der Verfassung zu umgehen. Das funktioniert offensichtlich nicht mehr."
Die Regierung von Präsident George W. Bush hatte bislang den Standpunkt vertreten, sie könne feindliche Kämpfer ohne Anklage für die Dauer eines Konflikts festhalten, um die USA und ihre Verbündeten zu schützen. Im Fall des von ihr erklärten "Kriegs gegen den Terrors" könne das Generationen dauern.
Bush verurteilte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. "Ich bin mit dieser Entscheidung nicht einverstanden", sagte Bush nach einem Treffen mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi in Rom. Seine Regierung werde bis zuletzt alles tun, um die Sicherheit des amerikanischen Volkes zu gewährleisten. Dennoch werde er die Entscheidung respektieren, betonte der US-Präsident.