Hinterbliebene von Opfern des Hamas-Angriffs auf Israel vom 7. Oktober haben das UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) verklagt. Wie aus am Montag in New York eingereichten Gerichtsdokumenten hervorgeht, beschuldigen sie das Hilfswerk, zu dem Angriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation beigetragen zu haben.
Das UN-Palästinenserhilfswerk war zu Beginn des Jahres massiv in die Kritik geraten, nachdem Israel Anschuldigungen erhoben hatte, wonach zwölf UNRWA-Mitarbeiter an dem beispiellosen Angriff der Hamas beteiligt waren. Als Reaktion auf die Vorwürfe hatten zahlreiche Geberstaaten ihre finanzielle Hilfen ausgesetzt. Eine von der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna geleitete Untersuchungskommission stellte im April einige "neutralitätsbezogene Probleme" fest, erklärte jedoch, dass Israel keine "Beweise" für seine Anschuldigungen vorgelegt habe.
UNRWA habe Hamas "wissentlich" Geld zur Verfügung gestellt
Die Familien der Opfer beschuldigen das Hilfswerk nun in ihrer Klage, der Hamas mehr als zehn Jahre lang beim Aufbau ihrer "terroristischen Infrastruktur" geholfen zu haben. Das UNRWA habe der Hamas "wissentlich" Geld zur Verfügung gestellt, "um Händler von Waffen, Sprengstoff und anderer terroristischer Ausrüstung zu bezahlen". Auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP gab das Hilfswerk zunächst keine Stellungnahme ab.
Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten beschäftigt mehr als 30.000 Mitarbeiter. Die 1949 gegründete Organisation hat das Mandat der UNO, den in ihrem Einsatzgebiet registrierten palästinensischen Flüchtlingen humanitäre Hilfe und Schutz zu gewähren. UNRWA-Chef Philippe Lazzarini beschuldigt Israel, eine Kampagne gegen seine Organisation zu führen. Ende Mai schrieb er in der "New York Times", seit dem 7. Oktober seien im Gazastreifen mindestens 192 UNRWA-Mitarbeiter getötet und mehr als 170 UNRWA-Einrichtungen beschädigt oder zerstört worden.
Außenministerin Baerbock zu Besuch in Nahost
Unterdessen berät Außenministerin Annalena Baerbock mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Mustafa über die künftige Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Die PA könnte aus Sicht der Grünen-Politikerin in einer Nachkriegsordnung im Gazastreifen eine wichtige Rolle spielen. Bei dem Gespräch in Ramallah im Westjordanland geht es auch um die Reformbemühungen der Autonomiebehörde.
Vor dem Treffen mit Mustafa ließ sich Baerbock vom Leiter des deutschen Vertretungsbüros in Ramallah, Oliver Owcza, von einem Aussichtspunkt aus die Lage im Westjordanland und im Grenzgebiet zu Israel zeigen. Kritiker werfen vor allem den rechtsextremistischen Teilen der israelischen Regierung vor, die PA durch Einschnitte bei den israelischen Zahlungen an die Autonomiebehörde strangulieren zu wollen. Dadurch könnten etwa Gehälter von PA-Bediensteten teils nicht mehr gezahlt werden.
Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich hatte kürzlich zudem angekündigt, er wolle der Palästinensischen Autonomiebehörde Mittel in Höhe von 32,5 Millionen Dollar (rund 30,3 Millionen Euro) vorenthalten und diese stattdessen an israelische Terroropfer auszahlen.
Auf der Herzlija-Sicherheitskonferenz bei Tel Aviv hatte Baerbock am Vorabend erklärt, wenn man wolle, dass die PA irgendwann die Rolle der legitimen Regierungsbehörde in Gaza übernehme, müsse diese in der Lage sein, das zu gewährleisten – auch mit Polizei- und Sicherheitskräften. Sie warnte: "In der gegenwärtigen Situation ist es gefährlich und kontraproduktiv, etablierte PA-Strukturen zu zerstören und zu destabilisieren." Genau das bewirke aber die illegale Ausweitung israelischer Siedlungsprojekte im Westjordanland.
Baerbock auf Vermittlertour
Baerbock strebt wie viele Partner in Europa, den USA und der Region eine Zweistaatenlösung zwischen Israelis und Palästinensern an, bei der ein unabhängiger palästinensischer Staat friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnt eine solche Lösung ebenso ab wie die islamistische Hamas.
Ein Treffen Baerbocks mit Netanjahu ist diesmal nicht geplant. Bei der jüngsten Unterredung zwischen beiden Politikern Mitte April war es zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen. Es ist bereits die achte Reise Baerbocks nach Israel seit der blutigen Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober.
Am Montagabend traf sie sich in Jerusalem mit Ex-General Benny Gantz, der kürzlich Netanjahus Kriegskabinett verlassen hatte, weil die Regierung keinen Plan für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen erarbeitet. Bis heute hat Netanjahu einen solchen Plan nicht vorgelegt – wohl auch, um seine ultrarechten Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, nicht vor den Kopf zu stoßen. Diese fordern eine Wiedererrichtung israelischer Siedlungen im Gazastreifen. Über Inhalte des Gesprächs wurde zunächst nichts bekannt.
Am Dienstag will Baerbock auch mit ihrem Kollegen Israel Katz zusammenkommen. Im Mittelpunkt dürften dabei das Vorgehen Israels im Gazastreifen sowie die dramatische humanitäre Lage der Zivilbevölkerung dort stehen. Später ist ein Treffen mit Angehörigen von Entführungsopfern geplant, die weiterhin im Gazastreifen festgehalten werden.
Rückzug der Hisbollah gefordert
Vor dem Hintergrund wachsender Sorgen vor einer Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon fliegt Baerbock am Nachmittag in den Libanon weiter. In der Hauptstadt Beirut sind vor der Rückreise nach Berlin Gespräche mit dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Nadschib Mikati und dem geschäftsführenden Außenminister Abdullah Bou Habib geplant.
Bei der Herzlija-Konferenz hatte Baerbock einen vollständigen und nachweisbaren Rückzug der schiitischen Hisbollah-Miliz aus dem Grenzbereich des Libanons zu Israel verlangt. Die Zunahme der Gewalt an der Nordgrenze Israels bereite große Sorgen. "Das Risiko einer unbeabsichtigten Eskalation und eines umfassenden Krieges wächst täglich. Daher ist äußerste Vorsicht geboten", sagte Baerbock.
Israel will durch diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Miliz hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es eine UN-Resolution vorsieht. Notfalls sei Israel aber auch zu einem größeren Militäreinsatz bereit, warnte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant kürzlich.
In Washington traf er mit US-Außenminister Antony Blinken zusammen. Sie sprachen über die Bemühungen um eine Waffenruhe in Gaza, die zu einer Freilassung der israelischen Geiseln und zu Erleichterungen für die palästinensische Bevölkerung führen könnte. Blinken habe Galant über die aktuellen diplomatischen Bemühungen um Sicherheit und Wiederaufbau in Gaza nach Beendigung des Konflikts informiert, sagte Sprecher Matthew Miller.