Hindu-Silvester Ruhe bitte, es ist Neujahr

  • von Michael Lenz
Ob Touristen, Christen oder Atheisten - niemand darf zum Neujahrsfest auf Bali seine Wohnung oder sein Hotel verlassen. Selbst die Geldautomaten werden abgestellt. Und wer auf der Straße erwischt wird, kann ins Gefängnis kommen.

Bali ist an diesem Freitag wie eine lebendig gewordene Urlaubspostkarte: Der Himmel strahlend blau, die Sonne strahlt. Palmen wiegen sich sanft der leichten Brise. Perfektes Strandwetter also, zumal das Wetter in den Tagen zuvor alles andere als schön war. Die Regenzeit hat ihrem Namen alle Ehre gemacht und die indonesische Ferieninsel mit wolkenbruchartigen Regenfällen beglückt.

Aber an den Stränden Balis sonnt sich heute keine Menschenseele. Die Straßen von Ubud, Kuta oder Denpasar sind verlassen und leer. Es ist Nyepi, das Neujahrsfest des hinduistischen Bali. Seit sechs Uhr heute früh bis sechs Uhr früh einen Tag lang herrscht totales Ausgangssperre und absolute Stille auf der Götterinsel. Es darf kein Geräusch auf die Straße dringen, kein Lichtstrahl. Selbst der Flughafen der Ferieninsel, die immerhin Indonesiens wichtigste Devisenquelle ist, stellt zu Nyepi seinen Betrieb ein.

Vollkommende Ruhe und Lichtlosigkeit

Ob Touristen, Christen oder Atheisten, einfach jeder auf dem traditionell hinduistischen Bali darf seine Wohnung oder sein Hotel nicht verlassen. Der Sinn der Übung: Durch die vollkommene Ruhe und die Lichtlosigkeit soll es den am Tag zuvor in den spektakulären, farbenprächtigen, lauten Ogoh Ogoh Zeremonien vertriebenen bösen Geistern unmöglich gemacht werden, den Weg zurück nach Bali zu finden. In einer anderen, sehr spirituellen Erklärung wird die Nyepi-Stille als die symbolische Wiederherstellung des Zustands des Universums vor der dem göttlichen Schöpfungsakt gesehen.

Schon während sich am späten Nachmittag in den Städten und Dörfern Balis die Ogoh Ogoh Paraden formieren, bereiten sich die Balinesen auf den Tag der Stille der vor. In der Jalan Legian in Kuta, dem touristischen Epizentrum Balis, sonst Abend für Abend voller Leben, lassen die Geschäfte, Restaurants und Cafes die Rollos runter, andere ziehen Plastikplanen vor ihre Schaufenster um sicherzustellen, dass an Nyepi kein Laut, kein Lichtstrahl nach draußen dringt. Selbst die Geldautomaten sind auf der ganzen Insel abgeschaltet.

Schaurig-schöne Ogoh Ogohs

Lediglich in dem Teil der Jalan Legian hinter der kleinen Straßenkreuzung, wo das Denkmal für die 202 Opfer des Bombenattentats auf die Diskotheken Paddy's Bar und den Sari Club steht, herrscht noch pralles Leben. Tausende Balinesen und Touristen haben sich eingefunden, um die bunten, schaurig-schönen Ogoh Ogohs zu erleben, die auf Bambusgerüsten von starken Männern in einer großen Parade durch Kuta getragen werden.

Die Ogoh Ogohs sind Figuren aus der Dämonen- und Götterwelt der balinesischen Hindus. Es sind die bösen Dämonen, die Übel und Schlechtigkeit in die Welt bringen, die am Vorabend von Nyepi von der Insel vertrieben werden sollen. Manche Ogoh Ogohs stellen aber auch gute mythische Wesen dar, die durch ihre Kraft und Weisheit das Böse besiegen.

Einer der größten und schönsten Ogoh Ogohs in der Parade ist dem Gott Vishnu, der mit seinen vier Drachen Basuki, Taksaka, Giri und Amanta Boga das von bösen, habgierigen Geistern gestohlene Wasser des Lebens wieder allen Lebenswesen zugänglich macht. In der Parade sind aber auch ganz irdische Figuren und aktuelle Themen vertreten. Ein Ogoh Ogoh zum Beispiel ist dem Übel des Klimawandels gewidmet, mit dem Bali im guten Sinne verbunden ist. Im vergangenen Dezember beschlossen die Delegierten von 180 Nationen nach einem zähem, zweiwöchigen Ringen auf der internationalen Klimakonferenz der Vereinten Nation in Balis Nobelbadeort Nusa Dua die "Bali Roadmap", die bis Ende 2009 zu einem weltweiten Abkommen zum Stopp des Klimawandels führen soll.

Auch Urlauber müssen sich fügen

Die Baliurlauber müssen sich in wohl oder übel der Nyepi-Ausgangssperre fügen und in ihren verriegelten Unterkünften bleiben. Für diejenigen, die sich in einem der Hotels mit tropischem Garten und Swimmingpool eingemietet haben, ist der 24-stündige Hausarrest leicht zu ertragen. Schwieriger ist es für Urlauber wie Carsten Langner und Kathleen Riesebeck, die in einem der Losmen, jenen preiswerten Unterkünften für Rucksacktouristen, wohnen. Es gibt weder Schwimmbad, noch Garten und erst Recht kein Restaurant. "Wir haben uns mit Fertigsuppen aus dem Supermarkt eingedeckt", sagt Langner.

Der Dresdner und seine Freundin aus dem mecklenburgischen Demin haben auf dem Rückweg von Neuseeland, wo sie sechs Monate an der Universität von Wellington studiert haben, eine Urlaubswoche auf Bali eingelegt. "Man hat uns bei dem Einchecken in die Pension schon auf Nyepi hingewiesen", sagt Riesebeck. "Erst dachten wir, na gut, Restaurants und Geschäfte sind an dem Tag zu. Uns ist erst so peu a peu klar geworden, was das wirklich bedeutet." Den Nyepi-Tag verbringen die beiden mit Schachspielen, ein wenig Arbeit auf dem Laptop und dem sortieren von Urlaubsfotos.

Pecalang kontrollieren Ausgehverbot

Für die Durchsetzung des Ausgehverbots sorgen die Pecalang in ihren Poleng genannten schwarz-weiß-karierten Sarongs. Die Pecalang garantieren seit altersher in balinesischen Dörfern und in neuerer Zeit in den Vierteln der großen Städte Recht und Ordnung. Ihre prominenteste Aufgabe ist der Schutz von Tempeln und religiösen Zeremonien. "Schwarz und Weiß symbolisieren Gut und Böse", sagt Hanafi, der Touristen auf seinen Balitouren Besuchern Kultur und Religion der Insel näher bringt. "Die Kombination der beiden Farben auf den Polengs symbolisiert Gleichgewicht und Harmonie." Wer von den Pecalang am Nyepi Tag auf der Straße erwischt wird, der muss mit mindestens 500.000 Rupien Geldstrafe oder gar 24 Stunden Gefängnis rechnen. Natürlich gibt es Ausnahmegenehmigungen für Feuerwehr und Ambulanzen. In diesem Jahr auch für die balinesischen Moslems. "Nyepi fällt auf einen Freitag", sagt Hanafi, ein Moslem aus Aceh, und fügt hinzu: "Das ist der Tag, an dem wir in die Moschee gehen."

Dem Nyepi-Tag gehen viele religiöse Feierlichkeiten voraus. Zu Melasti strömen drei Tage vorher Zehntausende Balinesen ihren bunten, gebatikten Sarongs in endlosen Prozessionen zum Strand, um im Wasser des Indischen Ozeans rituelle Reinigungszeremonien zu vollziehen. Die Frauen balancieren auf ihren Köpfen Opferschalen oder heilige Figuren aus den Tempeln, die Männer schützen mit gelben oder weißen Schirmen die Schreine der Götter, die sie für die Rituale mit sich führen. Die spirituelle Bedeutung erklärt ein Hindupriester in einem Tempel in Petitenget: "Melasti ist die Vereinigung der Götter aus den Bergen mit den Göttern des Ozeans. Diese beiden Götterwelten bilden wichtigste spirituelle Verknüpfung in der Philosophie der balinesischen Hindus."