Die Wut auf die chinesischen Zensurbehörden ist groß. In den vergangenen Monaten hat sich die Pekinger Regierung immer neue Schikanen für die rund 300 Millionen chinesischen Surfer ausgedacht. Jüngstes Ärgernis: Ab der kommenden Woche müssen alle in China verkauften Computer mit der vorinstallierten Zensursoftware "Grüner Damm" ausgeliefert werden. Offiziell dient das Programm zum Schutz der Jugend vor Internetpornografie. Doch Chinas Netzgemeinde fürchtet, bald auch die letzten digitalen Freiheiten zu verlieren.
Am Dienstag bleibt der Bildschirm schwarz
Am kommenden Dienstag, dem 1. Juli, feiert die Kommunistische Partei ihr 88. Gründungsjubiläum. Am gleichen Tag soll die Filtersoftware offiziell eingeführt werden. Der Pekinger Künstler und Blogger Ai Weiwei war der erste prominente Surfer, der seine Landsleute über Twitter dazu aufrief, das Internet am Dienstag ausgeschaltet zu lassen. Ai ist vorsichtig. "Ich habe keine genaue Begründung gegeben", sagt er. Möglichst viele sollen sich an der Protestaktion beteiligen und die Idee selbst mit Inhalt füllen. Doch allen ist klar, dass Ai’s Streikaktion sich gegen die strenge Kontrolle des Internets richtet.
In keinem anderen Land nutzen so viele Menschen das Internet wie in China. Nach Angaben der chinesischen Netzagentur (China Internet Network Information Center) gibt es 14 Millionen chinesische Webseiten und rund 160 Millionen Blogautoren. Das alles macht China zum Internetweltmeister. Trotzdem wird das Netz in China strenger kontrolliert als in fast jedem anderen Land.
Kritische Webseiten wie die der Menschenrechtsorganisation Amnesty International oder der verbotenen Religionsbewegung Falun Gong sind in China gesperrt. Wer ihre Adressen in den Brower eintippt, erhält die Mitteilung: Verbindung abgebrochen.
Zugang zu Google unterbrochen
Chinesische Surfer haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass selbst westliche Unternehmen wie Google ihre Sucheinträge in China zensieren. Wer in China die Suchanfrage "Tiananmen" in den Browser eintippt, bekommt als Ergebnis Urlaubstipps und sonnige Fotos vom Platz des Himmlischen Friedens. Kein Wort von dem Studentenmassaker vor 20 Jahren. Akzeptiert wurde auch, dass Besucher in Internetcafés sich mit ihrem Personalausweis registrieren lassen müssen und beim Surfen von Kameras beobachtet werden.
Seit diesem Donnerstag ist der Zugang zu den Google-Diensten sogar komplett gekappt. Weder die Hauptseite noch die chinesische Version war erreichbar. "Wir untersuchen die Angelegenheit und hoffen, dass der Dienst bald wiederhergestellt wird", sagte Google-Sprecher John Pinette in Hongkong. Eine chinesische Meldestelle für "illigale Internet-Informationen" hat Google kürzlich vorgeworfen, Links zu "vulgären und obszönen" Websites zu ermöglichen.
Lesen Sie auf Seite 2: Was der "Grüne Damm" alles kann
Besonders ärgern sich chinesische Surfer darüber, dass die Internetpolizei in den vergangenen Wochen sogar immer mehr unpolitische Angebote aus dem Netz entfernen ließ, darunter das Videoportal Youtube und der Bilderdienst Flickr. Auch Twitter war in den vergangene Wochen vorübergehend nicht zu erreichen. Der Plan zur Einführung des "Grünen Damms" war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Offiziell geht es um den Schutz der Jugend.
"Grüner Damm" gegen fleischfarbene Bilder
In Wirklichkeit kann die aufgezwungene Zensursoftware noch viel mehr:
• Webseiten mit fleischfarbenen Bildern werden als pornografisch eingestuft. So werden auch Seiten mit Schweinebildern geblockt werden, Pornos mit Schwarzen hingegen nicht.
• Ein Wortfilter blockiert kritische Begriffe. Geblockt werden nicht nur Webseiten zu politischen oder pornografischen Themen: Auf dem Index stehen auch harmlose Wörter wie "Homosexualität". Der Grüne Damm soll sogar Textverarbeitungsprogramme beenden, wenn man eines der Problemwörter eingibt.
• Die Onlinedauer wird überwacht und begrenzt, offiziell um gegen Internetsucht vorzubeugen.
• Computerexperten haben herausgefunden, dass der Grüne Damm persönliche Daten über das Netz sendet und die Computer für Hacker- und Spyware-Angriffe verwundbar macht.
Doch es gibt Lücken: Bisher funktioniert die Software nur auf Windows-Computern und nur mit den Browsern Internet Explorer und Google Chrome. Zu allem Überfluss wurde in der vergangenen Woche auch noch bekannt, dass die Entwicklerfirma Jinhui Computer System Engineering weite Teile des Programmcodes offenbar von einem amerikanischen Konkurrenten abgeschrieben hat – auch in China ist das eine Verletzung des geistigen Eigentums. Selbst die amerikanische Regierung hat inzwischen gegen den Webfilter protestiert. Längst geht es den wütenden Surfern um mehr als den Stopp eines unsinnigen Regierungsvorhabens.
Jagd auf die "Grüne-Damm-Schlampe"
Es ist der "Kampf zwischen Staatsmacht und sozialen Rechten", schrieb das angesehene Wirtschaftsmagazin "Caijing". Viele reagieren mit Spott. Seit einigen Tagen kursieren dutzende Karikaturen der "Grüner-Damm-Schlampe" im chinesischen Internet. Ein Manga-Mädchen, oft halbnackt, manchmal gefesselt, gerne auch in Polizistinnenuniform. Das ist die Art der chinesischen Jugend, sich über die Staatsmacht lustig zu machen. Eine ganze Subkultur ist so in den vergangenen Wochen entstanden. Am prominentesten ist das Caonima, ein haariges pferdeähnliches Tier, das zum Symbol der Anti-Zensur-Bewegung geworden ist.
Mit dem Satz "Cao ni ma" wird man aufgefordert, mit seiner Mutter Geschlechtsverkehr zu haben. Weil die drei Schriftzeichen sofort wieder aus dem Internet verschwinden, schreiben junge Surfer inzwischen "Grass-Schlamm-Pferd", was auf Chinesisch fast gleich ausgesprochen wird. Die automatisierte Software hat die Wortschöpfung lange nicht bemerkt. Das Grassschlammpferd gibt es inzwischen als T-Shirt und Stoffpuppe. Die Regierung indes bleibt hart. Die Deadline zur Einführung der Filtersoftware am 1. Juli werde nicht zurückgenommen, verkündete die staatliche Tageszeitung "China Daily".