Es war ein triumphaler Moment. Kaum war US-Präsident George W. Bush am 1. Mai im Kampfjet auf dem Flugzeugträger "USS Abraham Lincoln" eingeschwebt, erklärte er die "Hauptkampfhandlungen" im Irak für beendet. Niemand störte es, dass Bush, anders als sein Vater, die Pilotenmontur nur als telegenes Kostüm trug. "Mission accomplished" (Auftrag durchgeführt) stand auf einem Banner, das sich über die Brücke des Flugzeugträgers spannte.
Verschwendung, Chaos und Vetternwirtschaft
Genau ein halbes Jahr später prangt Bushs Porträt auf dem Titelbild des US-Nachrichtenmagazins "Newsweek", eingerahmt von wenig schmeichelhaften Schlagzeilen: "Bushs 87-Milliarden-Dollar-Flop. Verschwendung, Chaos und Vetternwirtschaft. Die wahren Kosten für Iraks Wiederaufbau".
Im Irak läuft nämlich nichts so, wie es sich Washingtons Kriegsplaner vor dem Einmarsch oder selbst noch am 1. Mai ausgemalt hatten. Zwar hatte die US-Armee dank ihres High-Tech-Monopols den "heißen" Krieg in nur drei Wochen für sich entschieden. Saddams Regime fiel schon am 9. April. Doch das Land versank im Chaos, Plünderer wüteten und zerstörten die Infrastruktur. Die US-Strategen hatten keine Vorkehrungen für das Machtvakuum nach dem Sturz des Regimes getroffen.
"Kampf um Herz und Hirne der Iraker"
Nur mit Mühe gelang es der Besatzungsverwaltung, nach mehreren Monaten ein Minimum an öffentlicher Sicherheit und Dienstleistungen wiederherzustellen. Doch den "Kampf um die Herzen und Hirne" der Iraker droht sie zu verlieren. Nur 15 Prozent der Bevölkerung empfinden die Amerikaner nach einer jüngsten Umfrage des Irakischen Zentrums für Forschung und Strategische Studien als Befreier. Nach dem 9. April waren es immerhin noch 43 Prozent.
Die Amerikaner hatten den Krieg mit der Bedrohung durch Saddams Arsenal von Massenvernichtungswaffen begründet. In den Monaten danach wurde trotz intensiver Suche nichts davon gefunden. "Wie sollen wir ihnen trauen, wenn sie in einer so zentralen Frage gelogen haben?", gibt der Politikwissenschaftler Omar Wamid Nadhmi eine weit verbreitete Stimmung wieder. Die Besatzer würden lediglich ein Marionettenregime installieren, um den Ölreichtum des Landes ungehindert ausbeuten zu können, glauben viele Iraker.
Destabilisierender Terrorkrieg
Die Versäumnisse der ersten Stunde, das unsensible Auftreten im Umgang mit der Bevölkerung und deren Misstrauen schüren einen bewaffneten Widerstand, der immer intensiver wird. Der Krieg nach dem Krieg ist längst im Gange. Täglich sterben US-Soldaten durch Sprengfallen, bei Panzerfaust-Angriffen, in Hinterhalten. 117 waren es seit Bushs Erklärung am 1. Mai, drei mehr als im Krieg. Fundamentalistische Gotteskämpfer aus dem ganzen Nahen Osten sickerten in großer Zahl über die ungesicherten Grenzen ins Land. Sie tragen - wie die Anschlagsserie gegen das Rote Kreuz und Polizeiwachen am vergangenen Montag in Bagdad zeigte - ihren eigenen destabilisierenden Terrorkrieg gegen den "Großen Satan" USA in das besetzte Land.
Mit dem von Bush beim US-Kongress beantragten 87-Milliarden-Dollar-Paket erhofft sich die US-Verwaltung Fortschritte im Alltag, die die Iraker am Ende umstimmen würden. Bezahlt wird das von den amerikanischen Steuerzahlern. Einige von ihnen haben nicht vergessen, was ihnen US-Spitzenpolitiker vor dem Krieg versichert hatten: der ölreiche Irak werde schnell in der Lage sein, den Wiederaufbau selbst zu finanzieren. Der desolate Zustand der irakischen Ölindustrie wurde freilich sträflich unterschätzt.
Trugschluss
Am vergangenen Sonntag entging US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz auf einer Bagdad-Visite in seinem Hotel einem Raketenwerfer-Anschlag. Er gilt als einer der treibenden Motoren hinter dem Irak-Krieg. Der gewaltsame Sturz Saddams sollte den Weg zu einer «demokratischen Neuordnung» im ganzen Nahen Osten freimachen. Auch das erwies sich als Trugschluss. "Der Kriegsausgang hat einen der übleren Tyrannen beseitigt", schreibt der US- Militärwissenschaftler Antony Cordesman in seiner 427-Seiten-Studie "Lektionen aus dem Irak-Krieg", "aber weder hat er den Nahen Osten grundlegend verändert noch die wesentlichen Spannungslinien entschärft."
Nach Informationen des Nachrichtensenders CNN ist ein enger Vertrauter Saddam Husseins ist für einige der Terroranschläge im Irak verantwortlich. Der Sender berichtete am Mittwoch, der frühere irakische Vizepräsident, General Isset Ibrahim el Duri, organisiere die Anschläge. Dies gehe aus Befragungen von Gefangenen hervor, berichtete CNN unter Berufung auf Informationen aus dem Pentagon. Isset Ibrahim el Duri ist im amerikanischen Kartenspiel der meistgesuchten Iraker die Nummer 6, der Kreuz-König. Der Vize-Chef des Revolutionären Kommandorats und Kommandeur der irakischen Nordarmee stammt wie Saddam aus Tikrit und gilt als dessen Vertrauter. Er soll sich aber zur Zeit nicht an dem selben Ort wie Saddam versteckt halten.
Hilfsorganisationen ziehen Mitarbeiter ab
Zwei Tage nach dem blutigen Selbstmordanschlag auf den Sitz des Roten Kreuzes in Bagdad kündigte das Internationale Rote Kreuz kündigte am Mittwoch in Genf an, die Zahl ihrer rund 30 ausländischen Mitarbeiter im Irak zu verringern. Der Direktor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Pierre Krähenbühl, betonte jedoch, das IKRK werde seine humanitäre Arbeit im Land fortsetzen. Krähenbühl erklärte, die rund 600 irakischen Mitarbeiter würden besser geschützt werden. Dabei wolle das Rote Kreuz die Besatzungsmächte jedoch nicht um Hilfe bitten.
Auch die Vereinten Nationen ziehen bis auf weiteres alle Mitarbeiter aus der irakischen Hauptstadt Bagdad ab. Die UN-Vertreter seien zu Gesprächen über die Zukunft ihres Einsatzes abberufen worden, teilte UN-Sprecherin Marie Okabe am Mittwochabend in New York mit.