Die USA stehen an der Seite Israels. Das galt vor dem Überfall der Hamas – und gilt seit dem Massaker vom 7. Oktober mehr denn je. Zumindest klang es so, als US-Präsident Joe Biden den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen Kriegskabinett wenige Tage nach dem Beginn der Eskalation in Nahost traf. "Ich glaube nicht, dass man Jude sein muss, um Zionist zu sein, und ich bin ein Zionist", sagte Biden damals. Klare Worte für jemanden, der ein Land repräsentiert, das selbst gar nicht mehr genau weiß, wie es sich in dem Konflikt positionieren soll.
Das zeigt sich gerade vor allem im US-Kongress. Dort stellt einer Gruppe linker Demokraten um die amerikanisch-palästinensische Politikerin Rashida Tlaib den Israel-Kurs der US-Regierung schon seit einigen Jahren in Frage. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel sind diese kritischen Stimmen lauter geworden. Tlaib etwa wertete die Nahost-Politik von Präsident Biden als Unterstützung eines Völkermordes im Gazastreifen und machte sich für eine Feuerpause in dem umkämpften Küstenstreifen stark.
Das missbilligte der Kongress: 234 Kongressabgeordnete stimmten dafür, dass Tlaib wegen ihrer pro-palästinensischen Aussagen gerügt wurde. Von den Abgeordneten waren 22 Demokraten. 18 von ihnen sollen laut einem Bericht der Investigativplattform "The Lever" Geld von einer Organisation angenommen haben, die in den USA als pro-israelische Lobby-Organisation bekannt ist: Aipac (Kurzform für American Israel Public Affairs Committee).
Jüdische Geldspenden für Demokraten und Republikaner
Ob sie die Belange der Juden oder allein die israelische Regierung unterstützt, ist unter Experten umstritten. Eigenen Angaben zufolge will Aipac die israelisch-amerikanischen Beziehungen stärken und zählt mehr als drei Millionen Mitglieder. Ihr Vorläufer, das American Zionist Committee for Public Affairs, sollte in den 1950er Jahren den Ruf Israels verteidigen. Nach einem blutigen Angriff israelischer Truppen auf ein Dorf im Westjordanland, bei dem 60 palästinensische Zivilisten starben, wurde die Organisation umbenannt. Als Aipac sorgte sie in den 1960er Jahren mit dafür, dass die USA Israel mit Waffen versorgten, obwohl Washington dem jungen Staat kritisch gegenüberstand (mehr dazu lesen Sie hier).
Aipac ist nicht die einzige israelische Lobby-Gruppe in den USA. Aber sie gilt als die Mächtigste. Liberalere Gruppen wie J Street oder Pro-Israel-America können sich gegen die als rechtskonservativ eingestufte Organisation kaum durchsetzen. Kritiker werfen ihr vor, die US-Regierung zu einer kriegstreibenden Außenpolitik zu drängen.
Dass im Kongress nun pro-palästinensische Stimmen lauter werden, brachte Aipac dazu, sich erstmals aktiv ins Wahlgeschehen einzumischen. Konkret geht es um die Kampagnenfinanzierung bei den Vorwahlen der Demokraten. Dafür blätterte die Lobbyorganisation in den vergangenen zwei Jahren so viel Geld hin wie sonst keine andere pro-israelische Gruppe: Laut der Plattform Open Secrets handelt es sich um Beträge von mehr als 23 Millionen Dollar, die die Schwesterorganisation United Democracy Project in politische Kampagnen investierte. Weit abgeschlagen folgen der Verband J Street (sechs Millionen Dollar) und Pro-Israel-America (knapp 2,7 Millionen Dollar).
Wahlkampffinanzierung für Israel-Unterstützer
Von den Spenden profitierten sowohl Republikaner als auch Demokraten, etwa die Kongressabgeordneten Shontel Brown, Haley Stevens und Glenn Ivey. Sie gehören laut Open Secret zu den Spitzen-Profiteuren der Aipac-Spenden – sind aber nicht die einzigen:
- Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, erhielt im vergangenen Jahr 25.000 Dollar – mehr als von jeder anderen Gruppe. Allerdings stammten lediglich 10.000 Dollar vom politischen Aktionsausschuss der Aipac (PAC), den Rest spendeten Einzelpersonen aus der Gruppe.
- Chuck Schumer, demokratischer Mehrheitsführer im Senat, bekam zwischen 2017 und 2022 Wahlkampfspenden in Höhe von 95.000 Dollar. Zuletzt unterstützte er die Senatsresolution zugunsten Israels, die am 19. September verabschiedet wurde. Vor der Abstimmung bekräftigte Schumer Israels Recht auf Verteidigung und verurteilte "die abscheulichen, bösartigen Angriffe der Terrorgruppe Hamas".
- Der demokratische Abgeordnete Josh Gottheimer profitierte im vergangenen Jahr von 217.000 Doller aus den Reihen der Aipac. Jüngst stimmte er für das 14 Milliarden Dollar schwere Hilfspaket der USA für Israel.
- Der Republikaner Michael McCaul erhielt 2022 fast 8000 Dollar aus den Kreisen der Aipac. Zuletzt wurde eine von ihm eingebrachte pro-israelische Resolution im Repräsentantenhaus angenommen.
Das Geld soll offenbar auch jene Kandidaten ausbooten, die keiner eindeutig pro-israelischen Linie folgen und sich möglicherweise mit der israel-kritischen linken Riege in den Reihen der Demokraten verbünden könnten.
Der Fall Andy Levin
Prominentes Beispiel: Andy Levin aus dem Bundesstaat Michigan. Der Demokrat im US-Parlament und ehemalige Präsident einer Synagoge mit pro-israelischer Haltung sprach sich auch für die Rechte der Palästinenser aus. Mit einer Resolution im Kongress plädierte er zudem für das Ende der "israelischen Besetzung auf palästinensischen Territorien" und befürwortete eine Zwei-Staaten-Lösung.
Laut einer internen Mail sah die Aipac nun "eine seltene Gelegenheit, das wohl ätzendste Kongress-Mitglied für die Beziehungen zwischen den USA und Israel zu besiegen", berichtet "The Lever". Die Lobby-Gruppe mobilisierte fast vier Millionen Dollar, um Levins Herausforderin Haley Stevens zu unterstützen – die schließlich auch gewann. Im Gespräch mit dem Sender MSNBC sagte Levin, ohne menschliche Rechte für die Palästinenser gebe es auch keine sichere Heimat für die jüdischen Menschen. Die Aipac könne nicht ertragen, dass er diese These vertrete. "Das ist alles."
Wie treu sind die USA den Israelis?
Auch US-Präsident Joe Biden gehörte zu den Aipac-Profiteuren. Zu seiner Zeit als Senator in Delaware erhielt er von 1990 bis 2009 insgesamt 4,2 Millionen Dollar. Inwieweit die Spenden seine heutige Haltung gegenüber Israel beeinflussen – ungewiss. Dass sich der US-Präsident selbst als Zionist betitelt, mag wohl auch an seinem Vater liegen, der nach dem Holocaust die Gründung des Staates Israels vehement unterstützte.
Während seiner gesamten politischen Karriere beschäftigte sich Biden mit dem israelisch-arabischen Konflikt. Als Vizepräsident brachte er die eine oder andere Schieflage zwischen Barack Obama und Benjamin Netanjahu wieder ins Lot. "Wann immer die Dinge mit Israel aus dem Ruder liefen, war Biden die Brücke", sagte Nahost-Berater Dennis Ross der Nachrichtenagentur Reuters. "Sein Engagement für Israel war so stark ... Und das ist der Instinkt, den wir jetzt sehen."
Ähnlich wie seine Anhänger im Kongress steht auch die US-Bevölkerung nicht so geschlossen hinter Bidens Israel-Solidarität. Mitte November war ein Drittel der Befragten US-Bürger laut Reuters der Meinung, dass die USA ein neutraler Vermittler im Nahost-Krieg sein und sich nicht auf Israels Seite schlagen sollten. Ebenfalls ein Drittel meinte das Gegenteil.
Eine Umfrage der Quinnipiac-University aus demselben Zeitraum ergab, dass mehr als die Hälfte der Befragten mit Israel und ein Viertel mit den Palästinensern sympathisieren. Bemerkenswert sind diese Zahlen, wenn man sie mit den Umfragewerten aus dem Oktober vergleicht: Damals sympathisierten noch 61 Prozent mit Israel und nur 13 Prozent mit den Palästinensern. Und: Gerade jüngere Menschen unter 30 positionieren sich eher pro-palästinensisch.
Die ideologischen Unterschiede zwischen den Generationen beobachtet auch der Direktor des Center for Middle East Policy, Natan Sachs. Gerade jüngere Menschen würden "den israelisch-palästinensischen Konflikt eher durch die Brille der Menschen- und Bürgerrechte, anstatt unter dem Vorzeichen von Sicherheit und Terrorismus" betrachten, sagte er der Deutschen Welle. Das zeigt sich auch bei jungen Demokraten. Fraglich ist, wie die Spendengelder der Aipac die Haltung der Partei künftig beeinflussen können.
Quellen: Harvard Kennedy School, Stiftung Wissenschaft und Politik, Open Secrets, "The Lever", "Washington Post", "Süddeutsche Zeitung", "Guardian", "In These Times"