Wahl-Analyse Warum Italien sein Schicksal in die Hände der Populisten legt

Luigi Di Maio, 31 Jahre alt, greift nach der Macht
Luigi Di Maio, 31 Jahre alt, greift nach der Macht: Er, der Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, will Italiens neuer Premier werden
© Filippo Monteforte/AFP
In keinem anderen Land der EU waren Populisten bisher so erfolgreich wie in Italien. Dort könnten sie bald den Premier stellen. Warum ist das so? Der Philosoph Paolo Flores d’Arcais antwortet im stern-Interview.
Paolo Flores d’Arcais
© Stephanie Gengotti

Paolo Flores d’Arcais

Paulo Flores d’Arcais, 73, lebt in Rom. Er ist Philosoph, Autor und Herausgeber des gesellschaftspolitischen Magazins „Micromega" und gilt als einer der bedeutendsten Theoretiker der politischen Linken Italiens. Im Gespräch verriet er, dass auch er Sympathien für die „Fünf-Sterne-Partei“ hege. Nicht wegen ihrer undefinierten politischen Inhalte. Sondern wegen ihrer Kritik an den etablierten Parteien und ihrem Personal. Die „Fünf Sterne“ seien für ihn eine experimentelle politische Bewegung, an der sich viel über die Stimmung und die Probleme im Land ablesen ließen.

Herr d'Arcais, die Protestbewegung der Fünf-Sterne-Partei hat bei den Parlamentswahlen die meisten Stimmen bekommen. Was bedeutet dieser Erfolg?

Wahlsieger ist eine Partei die damit kokettiert, keine politische Ideologie zu haben. Sie wollen weder rechts noch links sein. Das Besondere ist, dass sie die gesamte politische Klasse "korrupt" nennt und sie abschaffen will. Das macht sie zum Sammelbecken jener, die von der Politik enttäuscht sind, die das Gefühl haben, dass es den Parteien und ihren Akteure vor allem um sich selbst geht. Die Enttäuschten kommen dabei vor allem aus dem linken Spektrum. Es geht den Wählern darum, "basta" zu sagen. Die Fünf Sterne füllen die Lücke einer fehlenden linken Politik und offenbaren, wie kritisch die Italiener dem politischen Establishment gegenüber stehen.

Wird die Fünf-Sterne-Partei am Ende eine Koalition eingehen? Womöglich sogar mit der rechtspopulistischen Lega Matteo Salvinis?

Das wäre wohl selbstzerstörerisch. Aber die Situation in Italien ist wirklich sehr unüberschaubar – wie eine Regierung aussieht, ist noch nicht abzusehen. Matteo Salvini von der Lega feiert sich als Gewinner. Der Erfolg der Lega ist das Symptom der Krise, genau wie der Erfolg der Fünf Sterne: Die Wähler fühlen sich den großen Parteien der Mitte nicht mehr zugehörig. Sie reagieren damit auf eine Politik, die in den vergangenen Jahren zugelassen hat, dass die soziale Ungerechtigkeit immer größer wird. Von dieser Wut profitieren die Populisten. Der Erfolg der Populisten ist die Antwort auf das Versagen und die Fehler der Linken.

Inwiefern?

Neben den individuellen politischen Fehlern, die Matteo Renzi an der Spitze des Partito Democratico gemacht hat, zeichnet sich in Italien nun das ab, was wir auch in Frankreich oder in Deutschland sehen: Die Schwäche der linken Mitte, der Sozialdemokratie. Sie hat sich dem Wirtschaftsliberalismus geöffnet und sozialstaatliche Errungenschaften abgebaut. Und seit der Eurokrise erleben viele Italiener auch die EU nur noch als eine Instanz, die Sparmaßnahmen durchdrückt. Wieso sollten sie eine sozialdemokratische Linke wählen, die kein Profil mehr hat? Also wenden sich die Leute den extremen Rändern des politischen Spektrums zu. 

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