Zerstörtes Sperrwerk Der Kachowka-Staudamm wurde bereits zweimal gesprengt: von der Sowjetunion und den Deutschen

Staudamm Dnipro
Der Staudamm am Dnipro wurde nicht zum ersten Mal zerstört
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Nun ist eingetreten, was die Ukraine bereits im Herbst befürchtet hat: Der riesige Kachowka-Staudamm ist zerstört. Es ist nicht das erste Mal, dass das Sperrwerk einem Krieg zum Opfer fällt. Bereits 1941 und 1943 wurde es gesprengt.

Schon im vergangenen Herbst war die Sorge vor dem Dammbruch groß. Im russischen Fernsehen wurden im Oktober Gerüchte gestreut, wonach ukrainische Soldaten und Kollaborateure bald den Kachowka-Staudamm bei Cherson sprengen würden. Die Ukrainer wiederum befürchteten, dass Russland die gleiche Aktion unter falscher Flagge durchführen könnte. "Leider ist es sehr wahrscheinlich, dass Russland den Damm zerstört", sagte damals Juri Sobolewskyj vom Regionsrat von Cherson.

18 Kubikkilometer Wasser laufen aus Kachowka-Staudamm

Er sollte Recht behalten haben. Jetzt, ein dreiviertel Jahr später, ist der Staudamm zerstört, 18 Kubikkilometer Wasser laufen aus. Die genauen Folgen sind noch nicht abzusehen.

Was Juri Sobolewskyjs Befürchtung genährt haben könnte, war der Umstand, dass der Damm schon einmal von Russen gesprengt wurde: am 18. August 1941 – damals war es der sowjetische Geheimdienst NKDW, der die Gegend wegen der vorrückenden deutschen Wehrmacht geflutet hatte. Mit Abertausenden von Überflutungsopfern und massiven Schäden an Ortschaften und Industrieanlagen. Die genaue Zahl der Toten hat unter Stalins Terrorregime nie jemand interessiert, es waren wohl mindestens 20.000.

Das Hochwasser erreicht das Gemeindezentrum der Stadt Nowa Kachowka
Das Hochwasser erreicht das Gemeindezentrum der Stadt Nowa Kachowka
© Alexei Konovalov / Tass / Imago Images
"Es ist unkontrollierbar, was da gerade passiert" – Wasserbau-Experte über Lage am Dnipro

Fast genau zwei Monate zuvor hatte Adolf Hitler die Sowjetunion überfallen und den Zweiten Weltkrieg weiter Richtung Osten ausgedehnt. Die Führung in Moskau war völlig überrascht, weil sie glaubte, wegen des Nichtangriffs-Pakts erst einmal Ruhe vor den Deutschen zu haben. Entsprechend unvorbereitet traf der Angriff die sowjetische Armee und entsprechend schnell kam die Wehrmacht in den ersten Wochen voran.

20 Tonnen Sprengstoff an der Staumauer

Schon damals staute eine gigantische Mauer den Fluss Dnipro zwischen Saporischschja und Cherson. Die Idee dazu stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts und wurde 1932 vollendet – auch mit Hilfe der USA. Der Staudamm lieferte Strom für die wichtige Metallindustrie, für die Verteidiger war also klar, dass diese Art von Infrastruktur nicht in die Hände des von Norden kommenden deutschen Panzerkorps fallen sollte.

Mit schätzungsweise 20 Tonnen Sprengstoff wurde die Staumauer bestückt und am 18. August gegen acht Uhr Abend Uhr in die Luft gejagt. Die Explosion riss ein fast 200 Meter langes und 20 Meter breites Loch in das Sperrwerk. Stundenlang quollen anschließend die Wassermassen den Dnipro hinab und rissen zahllose Menschen mit. Niemand hatte sie vor der geplanten Sprengung gewarnt. Auch viele Betriebe am Fluss, etwa eine Werft, wurden zerstört.

Den Vormarsch der Wehrmacht konnte Stalins Kurs der "verbrannten Erde" nur verzögern. Es dauert rund sechs Wochen, bis die Deutschen den Staudamm unter ihre Kontrolle bringen konnten. Ende 1942 hatten sie das gigantische Loch wieder geflickt und die Stromproduktion angekurbelt. Ein knappes Jahr später schlug die Rote Armee zurück, die Besatzer mussten sich zurückziehen. Und was taten sie? Sie sprengten ebenfalls Teile des Bauwerks.

Doch schon Anfang der 1950er-Jahre lieferte das Kraftwerk am Staudamm wieder Strom. Bis zum Morgen des 6. Juni 2023.