Krim-Krise "Putin kann sich unsterblich machen"

Ein Erfolg auf der Krim könnte Putin in Russland zum Helden machen. Wie Putin tickt und warum die Ukraine sich abhängig vom Westen macht: der Russland-Experte Ewald Böhlke im Interview.

Herr Böhlke, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, Putin lebe in einer eigenen Welt. Was ist das für eine Welt?
Putin hat sich eine Herrscherwelt aufgebaut, zwar nicht aus altsowjetischer Sicht, aber er regiert wie ein Herrscher aus zaristischer Zeit. Er muss alleine alles entscheiden. Und da ist es für ihn immer wichtig zu fragen: Wen habe ich neben mir? Wem kann ich vertrauen? Er lässt nur Berater an sich heran, die vollkommen loyal sind. Und allein aus Macht- und Bürokratielogik heraus werden sie Putin nie besonders kritisch gegenüber stehen. Damit gibt Putin fremden Ideen keinen Raum und isoliert sich.

Auf der Krim leben knapp 60 Prozent Russen. Angenommen, die Krim-Bewohner stimmen am 16. März für eine Angliederung an Russland. Warum kann der Westen sie nicht ziehen lassen?


Man muss bedenken: auf der Krim leben zwei Millionen Menschen. Das sind rund 250.000 Krim-Tartaren, tausende Ukrainer, Deutsche, Juden, das ist ein riesiges Gemisch aus Ethnien. Bei einem Referendum muss man auch fragen: Was heißt das für die Tartaren? Was passiert mit den Ukrainern? Eine Abspaltung ist ein extrem komplizierter Prozess und kann nur funktionieren, wenn er rechtsstaatlich läuft.

Die Position des Westens ist klar: Merkel bezeichnete das Referendum als "illegal"


Genau, aber das ist nicht entscheidend. Ich vermute, dass beim Referendum für eine Angliederung an Russland entschieden wird und dann kann es sehr schnell gehen. Tatsächlich könnte die Krim sich selbst schon Ende März zu Russland zählen, aber der Westen wird das nicht hinnehmen. Denn wenn die Krim sich aus der Ukraine herausreißt, kommen andere Gebiete auf die gleiche Idee. Dann befinden wir uns schnell in einem schleichenden Prozess, in dem die Ukraine zerfällt.

Schließe die Krim sich Russland an, was wäre in diesem Fall als nächstes von Putin zu erwarten?


Zunächst einmal würde Putin sich in Russland von den Patrioten feiern lassen können, dafür, dass er ein Gebiet zurückgeholt hat. Sollte ihm das jetzt tatsächlich gelingen, und zwar friedlich, ohne einen Schuss, macht Putin sich unsterblich. Es wurden schon viele Gebiete mit hunderten Toten hart umkämpft. Das hat Misstrauen auch in Russland hervorgebracht. Die russische Gesellschaft könnte jetzt sehen, dass Putin eine Lösung gefunden hat, die Gebiete friedlich zurückzuholen.

Friedlich? Russland hat Truppen auf der Krim stationiert. Der Westen spricht von Invasion, Putin sagt, er sei nur einem Hilferuf gefolgt. Ist Russland jetzt Besatzungsmacht oder Befreiungsland?


Grundlage ist doch die: Es gibt in dem Land tausende paramilitärische Verbände. Das sind keine einfachen Bürgerwehrgruppen, sondern die sind bestens organisiert. Das müssen nicht unbedingt russische Kräfte sein, beim Westen entsteht trotzdem der Eindruck einer russischen Invasion. Die Russen in der Ukraine haben Angst vor Entscheidungen in Kiew, die sie zu Bürgern zweiter Klasse machen könnten und sehen Russland sicher als eine Art Befreier. Der Knackpunkt sind aber diese paramilitärischen Verbände. Sie erzeugen Druck und Anspannung, unter dem die Krim-Bewohner wichtige Entscheidungen wie das Referendum eigentlich gar nicht fällen können. Das ist kein militärischer Krieg, sondern einer, der in den Köpfen ausgetragen wird.

Ewald Böhlke

Ewald Böhlke leitet das Berthold-Beitz-Zentrum an der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er hat zahlreiche Publikationen zu Russland und Osteuropa verfasst.

Warum kann Russland dem Westen nicht mehr vertrauen?
Seit zwei Jahren schon ist der russische Präsident auf der Suche nach Antworten zur Frage: Was ist Russland? Es gibt Debatten um die Minderheiten, um Außenpolitik, jetzt um die Grenzziehung. Das ist ein Patriotismus, der sich selbst sucht.

Und es ist eine Frage des Lebensstils. Von den Ideen bewegt Russland sich noch im 19. Jahrhundert und prallt mit einer vernetzten, individualistischen westlichen Welt zusammen. Die westlichen Werte findet man aber höchstens in Moskau und St. Petersburg wieder. In den meisten kleinen Städten ist der Lebensstil sehr aufs Kollektiv besinnt.

Die EU will der maroden Ukraine elf Milliarden Euro Finanzhilfen geben. Aus Russland flossen bereits zwei Milliarden Dollar. Wird die Ukraine gerade versteigert?


Man hat zumindest den Eindruck, ja. Aber die Orientierung der Ukraine ist seit 2010 pro-europäisch. Daran werden auch Finanzhilfen aus Russland erstmal nichts ändern.

Wie abhängig macht sich die Ukraine von Europa?


Eine Abhängigkeit entsteht in jedem Fall, die Schulden werden die Ukraine jahrelang begleiten. Zumal es mit Wachstumsimpulsen zurzeit finster aussieht. Die Landwirtschaft ist der einzige starke Wirtschaftsfaktor. Die Stahlindustrie ist nicht konkurrenzfähig. Und das Kohle-Gebiet bei Donezk ist schon lange nicht mehr rentabel.

Seit dem Umsturz in der Ukraine hat Russland den Geldhahn abgedreht. Kann es eine Situation geben, bei denen die EU und Russland parallel Geldgeber für die Ukraine sind?


Diese Situation ist essentiell für den Frieden. Das muss parallel passieren, sonst bauen wir die alte Welt wieder auf. Der internationale Währungsfonds wäre eine gute Institution, um darüber zu sprechen. Hier sitzen noch alle beteiligten Parteien an einem Tisch.

Jens-Peter Hiller