Nach dem Neuwahl-Aufruf von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist der Machtkampf mit den radikal-islamischen Gegnern in der Regierung eskaliert. Der Beschuss eines Büros des gemäßigt Präsidenten in Gaza weckte Befürchtungen, die Unruhen könnten in einen Bürgerkrieg münden. Zwei Granaten verfehlten das Büro Abbas' nur knapp. Dabei wurden Sicherheitskräften zufolge mindestens fünf Mitglieder der Präsidentengarde verletzt. Abbas hielt sich unterdessen im Westjordanland auf.
Eine 19-Jährige starb, als sie bei Gefechten zwischen Anhängern der Hamas und der Fatah ins Kreuzfeuer geriet. Bei mehreren Schießereien wurden mindestens 20 Menschen verletzt, darunter auch ein französischer Journalist. Am Sonntag wurde der Fahrzeugkonvoi des Außenministers Mahmud al-Sahar attackiert, der zur Hamas gehört. Sahar wurde dabei nicht verletzt. Abbas' Elitetruppen riegelten die Residenz des Präsidenten in Gaza unterdessen vorsorglich ab. Maskierte Männer hatten zuvor ein Lager der Präsidentengarde gestürmt und einen Wachmann getötet. Sowohl Hamas als auch Fatah mobilisierten ihre Anhänger, die zu Zehntausenden im Gazastreifen und dem Westjordanland auf die Straße gingen.
Hamas-Kämpfer töten Präsidentengarde
Nachdem die regierende radikal-islamische Hamas die von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angekündigten Neuwahlen als Putschversuch abgelehnt hatte, geriet am Sonntag erstmals dessen Präsidentengarde unter direktes Feuer. Die maskierten Angreifer wählten einen mit nur acht Mann besetzen Posten unweit der Residenz von Abbas in Gaza zum Ziel.
Verbrannte Zelte und zerstörte Ausrüstung zeugen am Sonntag von dem Überfall auf die als schlagkräftig geltende Garde mit dem Namen "Kuwat 17". Erst hätten die maskierten Angreifer den Strom unterbrochen und die Kommunikation behindert, berichtet ein Anwohner. Im Verlaufe der folgenden zwanzig Minuten sei ein Gardist erschossen worden. Vier weitere wurden verletzt. Der Posten wurde gestürmt, die überwältigten Sicherheitskräfte zusätzlich verprügelt, um sie zu demütigen.
Mit Wut und automatischen Waffen
Der Schlagabtausch gewinnt immer mehr an Tempo. Die Hamas bestreitet eine Beteiligung an dem Angriff vehement. Kenner der Situation sagen aber, die Erklärung lasse nur darauf schließen, dass der Angriff nicht vom bewaffneten Arm der Hamas selbst, sehr wohl aber von der als Hilfstruppe bezeichneten Polizei-Miliz ausgeführt wurde. Im Gazastreifen geht nun die Angst vor einem Bürgerkrieg um.
Mit automatischen Waffen gerüstet und voller Wut und Zorn stehen sich die Milizen beider Seite gegenüber. Die Kräfteverhältnisse sind nicht sicher zu fassen. Die Polizei-Miliz unter Kontrolle der Hamas zählt etwa 6000 Mann. Auf rund 20.000 Mann wird der bewaffnete Arm der Hamas, die so genannten Kassam-Brigaden, geschätzt. Wegen der großen Anhängerschaft der Hamas im Gazastreifen beschränkt eigentlich nur die Menge der verfügbaren Waffen die Zahl der Kämpfer.
"Es geht um Sein oder Nichtsein"
Etwas mehr Männer unter Waffen zählen wohl die Einheiten unter Kontrolle der Fatah, darunter die offiziellen Polizeikräfte. "Aber die Hamas-Leute haben eine Ideologie, einen festen Glauben. Dagegen hat der seit Monaten unbezahlte Polizeioffizier nichts zu glauben. Er sorgt sich um sein Leben und das Wohlbefinden seiner Familie", sagt ein Palästinenser in Gaza. "Es geht um Sein oder Nichtsein", erklärt ein Fatah-Vertreter.
Der auch als Abu Masen bekannte Palästinenserpräsident Abbas beschreitet mit der Ankündigung von Neuwahlen einen gefährlichen Weg. Monatelangen Verhandlungen über die Bildung einer Einheitsregierung blieben erfolglos. Die Fatah wirft Hamas vor, sich nicht ausreichend bewegt zu haben. Hamas-Vertreter sind sich sicher, dass die Fatah ihnen von Anfang an nur ein Scheitern in der Regierung erlaubt und dabei mit Israel und den USA gemeinsame Sache gemacht haben. "Abu Masen, oh Spion", skandierten protestierende Hamas-Anhänger am Wochenende.
Dagegen hofft die Fatah bei Neuwahlen auf eine Rückkehr an die im Januar verlorene Macht. Denn mit der internationalen Finanzblockade und dem weiteren Niedergang der Wirtschaft ist auch der Stern der Hamas gesunken. Nach einer vor einer Woche veröffentlichten Umfrage unter Wählern erhielte die Fatah inzwischen wieder 39 Prozent, die Hamas ist auf 28 Prozent abgestürzt. Doch die radikal-islamische Organisation ist nicht bereit, nach nur einem Jahr abzutreten.
Verhandlungen noch möglich?
Gibt es angesichts des drohenden Bürgerkrieges einen Ausweg? Die Parlamentsabgeordnete Hanan Aschrawi hält neue Verhandlungen noch für möglich, zumal die Wahlen wohl erst im kommenden Sommer organisiert werden sollen. "Präsident Abbas hat die Tür für einen nationalen Dialog über eine Einheitsregierung offen gelassen. Erst dann will er einen Termin festlegen", sagte sie.