Madeleine Albright "Amerika kann nicht alles allein tun"

Madeleine Albright, US-Außenministerin unter Bill Clinton, über die Fehler von Präsident George W. Bush, der sich auf Kuscheltour durch Old Europe befindet.

Frau Albright, wann haben sie zuletzt mit Ihrer Amtsnachfolgerin Condoleezza Rice gesprochen?

Kurz vor ihrer Ernennung, wir trafen uns bei einem Abendessen. Wir kennen uns schon lange über meinen Vater. Sie hat an der Universität Denver bei ihm studiert.

Die Vorlesungen Ihres Vaters Josef Korbel, eines Emigranten aus der Tschechoslowakei, sollen Rice so begeistert haben, dass sie ihr Musikstudium aufgab und sich fortan der Sowjetunion widmete ...

Das ist alles lange her. Aber ich erinnere mich noch genau, wie es war, als mein Vater 1977 starb. Überall standen Blumen, Beileidsbekundungen. Dazwischen ein Keramiktopf in der Form eines Pianos, darin waren Blumen. Ich fragte meine Mutter, woher dieses Klavier kam. Und sie sagte: von der Lieblingsstudentin deines Vaters, Condoleezza Rice.

Blieben Sie in Kontakt?

Zehn Jahre später suchte ich außenpolitische Berater für den Wahlkampf des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Michael Dukakis und rief sie an. Sie sagte: "Ich muss Ihnen gestehen, ich bin Republikanerin." Ich war ganz entrüstet. "Wie konnte das geschehen?", fragte ich, "wir haben doch sozusagen denselben Vater." Später haben wir darüber gelacht.

Zur Person

Geboren wurde sie als Marie Jana Körbelova 1937 in Prag. Ihre Familie flüchtete nach dem Einmarsch der Deutschen nach London, emigrierte später in die USA. Ihr Vater, der ehemalige Diplomat Josef Korbel, lehrte als Politikprofessor an der Universität Denver, eine seiner Studentinnen war Condoleezza Rice. Von ihrer jüdischen Herkunft wusste Madeleine Albright jahrzehntelang nichts. Erst 1996 erfuhr sie, dass ihre Großeltern in Auschwitz ermordet wurden. Die Mutter von drei Töchtern beriet demokratische Präsidenten. Unter Bill Clinton wurde sie zunächst UN-Botschafterin und 1997 erste Außenministerin der USA. Heute leitet Madeleine Albright eine Consulting-Firma in Washington. Schwerpunkt, wen wundert's, Politikberatung.

Was haben Sie Ihrer Nachfolgerin geraten?

Ich habe ihr gesagt, dass sie den besten Job der Welt hat. Ich habe ihr auch gesagt, dass Außenpolitik unabhängig sein muss von Parteipolitik. Und dass es in diesem Job durchaus Vorteile hat, eine Frau zu sein.

Welche denn?

Es klingt vielleicht merkwürdig, aber es ist schlicht leichter, eine Frau als Außenministerin zu begrüßen. Man bekommt einen dicken Blumenstrauß, manchmal eine Umarmung. Einer Frau gegenüber herrscht viel eher eine natürliche Freundlichkeit, Höflichkeit. Es ist einfacher, Beziehungen aufzubauen. Das Eis bricht viel leichter. Aber irgendwann sitzt man an einem Verhandlungstisch. Und dann ist es völlig egal, ob Mann ob Frau.

Der mächtigste Mann der Welt, George W. Bush, ist nächste Woche auf Europatour. Worauf muss sich die Welt in seiner zweiten Amtszeit einstellen?

Man kann zurzeit nur spekulieren. Aber die Rede zu seiner Amtseinführung war Präsident Bush wirklich sehr sehr wichtig. Er hat ganz lange daran gearbeitet.

Er sprach davon, Frieden und Demokratie in die Welt zu tragen und Tyrannei zu beenden ...

Ja, und diese Ideen und die ganz besondere Rolle der USA wird er weiterhin vertreten. Das klingt sehr idealistisch. Doch werden solchen hehren Worten auch Taten folgen? Die Realität sieht eben oft ganz anders aus.

Für uns klang es eher wie die Fortschreibung des Bekannten: Dominanz der USA, unverhohlene Drohungen, Regimewechsel ...

Man kann Demokratie nicht erzwingen. Das ist ein Widerspruch in sich. Man kann Demokratie nur anbieten. Doch Bush und seine Leute haben in den vergangenen vier Jahren eine Menge gelernt. Und zu diesen Erfahrungen gehört offenbar auch, dass man anders mit Menschen umgehen muss als bislang. Der Stil ändert sich. Und das ist ja immerhin etwas.

Der Stil mag sich ändern. Aber damit auch die Substanz? Vizepräsident Cheney spekuliert öffentlich über einen Militärschlag des Verbündeten Israel gegen den Iran.

Ich kann die Verwirrung und Unsicherheit der Europäer sehr gut nachvollziehen. Aus dem Weißen Haus kommen tatsächlich widersprüchliche Signale. Andererseits hören wir von Rice, ein Militärschlag sei derzeit keine Option. Und ich glaube auch nicht, dass es zu einem Krieg kommt.

Was macht Sie da so sicher?

Präsident Bush hat vielleicht verstanden, dass es mit dem unilateralen Anspruch seine Grenzen hat. Man kann nicht alles allein machen - nicht einmal die USA können das. Auch wir brauchen Hilfe. Die Tatsache, dass der Iran möglicherweise dabei ist, sich Atomwaffen zu beschaffen, ist nicht nur für die Vereinigten Staaten ein Problem. Es ist auch eines für Europa. Die nuklearen Ambitionen des Iran müssen gestoppt werden. Das geht nur mit Hilfe echter Kooperation zwischen Europa und den USA. Die Iraner versuchen ja gerade, diese alte Partnerschaft zu spalten, um Zeit zu gewinnen.

Ihr Land will sich an Verhandlungen nicht einmal beteiligen. Wie soll denn dann echte Kooperation aussehen?

Man muss eine Art Rollentausch vornehmen. Die USA müssen offener werden und dem Iran eine Perspektive aufzeigen: Falls das Land auf Nuklearwaffen verzichtet und Terrorismus nicht weiter unterstützt, könnten wir einen Dialog mit euch beginnen. Zugleich müssen die Europäer viel härter vorgehen.

Was meinen Sie mit "viel härter"?

Die Europäer müssen ganz klar machen, dass der Iran ernsthafte politische und wirtschaftliche Konsequenzen fürchten muss, wenn das Land nicht einlenkt. Europa sollte weniger mit Belohnungen locken. Europa sollte bereit sein, harte Maßnahmen zu ergreifen und zu drohen. Zum Beispiel mit der Einschränkung der Handelsbeziehungen.

Oder mit dem UN-Sicherheitsrat?

Oh, ja. Die USA wollen das schon lange. Denn die Iraner haben zugegeben, dass sie die Welt betrogen haben. Sie spielen knallhart auf Zeit. Wir sind in einer unglaublich schwierigen Situation und müssen zusammen handeln. Wir haben keine andere Chance. Iran als Atommacht wäre eine unglaubliche Bedrohung.

Auch der Irak galt als unglaubliche Bedrohung. Und nun lässt sich die Bush-Regierung für die ersten freien Wahlen feiern. Das war aber nicht der Grund für die Invasion.

Das ist richtig. Es ist keine Frage, dass die Menschen im Irak selbst etwas Großartiges geleistet haben. Und keiner weint Saddam Hussein eine Träne nach. Aber lassen Sie uns nicht vergessen: Am Wahltag ging im ganzen Land nichts mehr. Es war faktisch abgeschottet. Die Geschichte eines demokratischen Irak hat gerade erst begonnen. Egal, was man über diesen Krieg denkt oder über Bush: Wir können alle nur hoffen, dass es funktioniert.

Sie selbst sagten, die Lage in Irak sei schlimmer als seinerzeit die in Vietnam.

Dieser Krieg hat zu einer chaotischen Situation im Irak und in der gesamten Region geführt. Die Entwicklung dort kann den gesamten Nahen Osten destabilisieren. Die USA haben diesen Krieg begonnen. Es war eine freiwillige Entscheidung. Wir mussten ihn nicht führen. Aber inzwischen haben wir keine Wahl mehr: Wir müssen den Irak zu einem Erfolgsmodell machen. Und wir brauchen die Hilfe der Europäer, der Deutschen.

Was könnten die Deutschen denn tun?

Mehr als bislang. Wirtschafts- und Wiederaufbauhilfe gehören dazu. Vor allem sollte man sich noch viel stärker an der Ausbildung der irakischen Armee und der Sicherheitskräfte beteiligen. Das muss beschleunigt werden. Zurzeit garantiert allein die US-Armee Sicherheit.

Sollten sich Europäer auch militärisch engagieren, etwa im Rahmen der Nato?

Für den Irak glaube ich nicht an einen Einsatz von Nato-Truppen. Jede fremde militärische Macht würde im Irak genauso als Besatzer angesehen wie die USA.

Welchen Einfluss könnte der Waffenstillstand zwischen Israel und den Palästinensern auf die gesamte Region haben?

Wissen Sie, wie weit wir vor gut vier Jahren waren? Damals haben wir über einen echten Frieden verhandelt ...

Die Verhandlungen in Camp David sollten Bill Clintons Präsidentschaft und Ihre Zeit als Außenministerin krönen.

Zwei Wochen lang lief ich damals in Camp David durch den Regen. Wir standen kurz vor einem Friedensabkommen. Jetzt feiern wir einen Waffenstillstand. Das ist wichtig, aber es ist nur ein kleiner Schritt. Die Menschen, im Irak wie in Palästina, müssen spüren, dass ihr Leben besser wird. Dass sie etwas zu essen haben, dass es Schulen gibt und Arbeitsplätze. Demokratie muss sich für die Menschen auszahlen. Jetzt müssen wir alle den Palästinensern helfen - zum Beispiel bei der Entwicklung des Gazastreifens. Vier Jahre lang haben sich die Amerikaner überhaupt nicht engagiert. Das müssen sie jetzt. Ohne Amerika wird es nicht gehen. Auch dort nicht.

Zitat:

"Ich habe mit Kim Jong Il zwölf Stunden verhandelt. Er will ganz sicher von Demokratie nichts wissen, aber er ist nicht verrückt"

Die größte Bedrohung für die Welt sehen Sie in der illegalen Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Ist das eine größere Gefahr als fundamentalistischer Terror?

Es ist die Kombination. Da werden Massenvernichtungswaffen in der Welt verbreitet wie auf einem Markt. Terrorgruppen könnten sich dort bedienen. Dies wird unsere größte Herausforderung sein.

Und jetzt gibt Nordkorea offiziell zu, Atombomben zu besitzen. Beginnt damit der Showdown zwischen Präsident Bush und dem Diktator Kim Jong Il?

Nordkorea ist heute der gefährlichste Ort der Welt. Das Land könnte sechs bis acht Atombomben besitzen oder zumindest die Fähigkeit haben, sie zu bauen. Nordkorea hat vom Irak gelernt. Denn es sieht ja so aus, als ob wir Länder angreifen, die keine Atomwaffen besitzen. Wer welche hat, wird verschont. Warum dann nicht so schnell wie möglich welche bauen?

Auch Nordkorea hat die Welt jahrelang betrogen.

Ja, aber Rüstungabkommen schließt man eben nicht mit seinen Freunden, sondern mit seinen Feinden. Ich habe Kim Jong Il getroffen. Wir haben zwölf Stunden lang verhandelt. Er will ganz sicher von Demokratie nichts wissen, aber er ist nicht verrückt. Über unsere Gespräche habe ich auch meine Nachfolger Colin Powell und Condoleezza Rice informiert. Doch die Bush-Regierung stoppte den Dialog. Dieser Mangel an Engagement hat uns um Jahre zurückgeworfen. Das ist gefährlich. Denn wenn man erst mal Massenvernichtungswaffen hat, kann man einige davon, oder das nötige Plutonium, auch an Schwarzhändler oder Terroristen verkaufen.

Nordkorea möchte nur direkte Verhandlungen mit den USA, ohne die anderen vier, die bisher mit am Tisch sitzen.

China, Russland und andere Länder können sicher Druck ausüben. Aber die USA dürfen die Abwehr dieser enormen Gefahr für unsere nationale Sicherheit nicht einfach anderen überlassen. Nordkorea will unbedingt von den USA anerkannt werden. Dafür muss es auf seine Nuklearwaffen und sein Langstreckenraketen-Programm verzichten. Und zwar nachprüfbar.

Bleiben die USA auch weiterhin die "unverzichtbare Nation", wie Sie Ihr Land einmal genannt haben.

Ohne Zweifel. Wir haben die Fähigkeit, unsere Macht vielfältig zu nutzen. Wir müssen uns einfach für den Rest der Welt interessieren, ob wir wollen oder nicht. Wir sind ein reiches, ein demokratisches Land. Wir tragen Verantwortung. Wir können Menschen helfen - und nicht nur Krieg führen. Ja, wir sind unverzichtbar. Aber das bedeutet eben nicht, dass wir allein handeln können. Ja, wir sind ein außergewöhnliches Land. Aber wir können nicht fordern, dass man Ausnahmen für uns macht. Wir müssen uns an internationales Recht halten. Wir dürfen keine Sonderrechte für uns beanspruchen.

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