Mauretanien Militärcoup in "Putschistan"

Er hatte sich selbst in Mauretanien 1984 an die Macht geputscht und musste seitdem mehrere Umsturzversuche abwehren. Jetzt nutzten Militärs eine Reise des Staatschefs Maouia Ould Taya, um die Kontrolle über den Wüstenstaat zu übernehmen.

In einem unblutigen Putsch haben Offiziere am Mittwoch die Macht in dem westafrikanischen Land Mauretanien übernommen. In Abwesenheit von Staatschef Maouia Ould Taya rissen Truppen der Präsidentengarde die Kontrolle über den staatlichen Rundfunk und den Amtssitz des Staatschefs an sich und besetzten das Hauptquartier der Streitkräfte in der Hauptstadt Nouakchott. Anschließend gab eine Gruppe, die sich als "Militärrat für Gerechtigkeit und Demokratie" bezeichnete, über die amtliche Nachrichtenagentur den Sturz Tayas bekannt. Soldaten bezogen an strategischen Stellen mit Artilleriegeschützen und Luftabwehrraketen Position. Der Flughafen wurde geschlossen. Das Staatsfernsehen zeigte lediglich Koransuren. Büros, Banken und Geschäfte blieben geschlossen. Einige Straßen und wichtige Gebäude wurden von Soldaten abgeriegelt. Zeitweise waren Schüsse zu hören.

Der Putsch war von Offizieren der Präsidentengarde unter Führung ihres Chefs, Mohammed Weld Abdel Aziz, ausgegangen. Sie präsentierten sich als Befreier: "Die Streitkräfte und Sicherheitskräfte haben einstimmig beschlossen, den totalitären Praktiken des abgesetzten Regimes ein Ende zu bereiten, unter dem unser Volk in den vergangenen Jahren stark gelitten hat", verkündeten sie. In den zwei Jahren ihrer Herrschaft wollen sie "offene und transparente" demokratische Institutionen schaffen.

In Nouakchott gingen hunderte Menschen auf die Straßen und feierten die Erklärung des Militärrats. "Es gab hier keine Demokratie. Hier gab es nur Sklaverei. Wir sind von einer Diktatur befreit worden", rief ein Beobachter der Demonstration. Ein Demonstrant ergänzte: "Es ist, als ob wir Jahrzehnte lang eingesperrt gewesen wären. Ich bin so glücklich. Der Wechsel ist gut. Wir sind vom Regime enttäuscht worden." Ein Beamter in Nouakchott sagte: "Die gesamte Armee ist auf den Straßen. Sie blockiert die Straßen zum Präsidentenpalast und die Hauptrouten durch die Stadt." Nach Angaben eines Augenzeugen an der Grenze zum Senegal hinderten Grenzsoldaten in Mauretanien Menschen am Verlassen des Landes.

Junta ernennt neuen Präsidenten

Einen Tag nach dem Putsch hat die Militärjunta den langjährigen Polizeichef Mauretaniens Ely Ould Mohammed Vall zum neuen Präsidenten ernannt. Wie der staatliche Rundfunk am Donnerstag in Nouakchott berichtete, führt der 55-jährige Oberst den "Militärrat für Gerechtigkeit und Demokratie" an. Vall agierte bisher ruhig und ist äußerst wortkarg. Der 55 Jahre alte Oberst galt überdies als enger Vertrauter des gestürzten Taya. In der Erklärung der Offiziere wurden 16 weitere Personen genannt, die in den kommenden zwei Jahren den militärischen Rat bilden und das Land regieren wollen. Bis auf einen führen alle den Rang eines Oberst und damit den höchsten der mauretanischen Streitkräfte.

Der Präsident, der das Land wegen der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen saudi-arabischen König Fahd verlassen hatte, traf inzwischen in der Hauptstadt Nigers, Niamey, ein. Der frühere Offizier Taya war selbst durch einem Militärputsch 1984 in der Islamischen Republik an die Macht gekommen. Er hat seither mehrere Putschversuche überstanden. Im Juni 2003 war ein Putsch von Soldaten gegen ihn nach zwei Tagen mit viel Mühe niedergeschlagen worden. Nach Angaben der Regierung scheiterten 2004 zwei weitere Staatsstreiche. Bereits der Staatsgründer und erste Präsident Mokhtar Ould Daddah wurde 1978 von Militärs gestürzt.

Der 62-Jährige hatte sich von seinen Bürgern entfremdet. Er war ursprünglich ein Anhänger des ehemaligen irakischen Herrschers Saddam Hussein gewesen, unternahm aber vor einem Jahrzehnt einen radikalen Kurswechsel. Durch seine Annäherung an die USA und Israel hat er den Ärger vieler Araber auf sich gezogen. Mauretanien ist eines von lediglich drei arabischen Ländern, das neben Ägypten und Jordanien diplomatische Kontakte zu Israel unterhält. Seine Regierung ging zudem scharf gegen moslemische Extremisten vor. Moslemischen Oppositionellen wurden Verbindungen zu den algerischen Salafisten vorgeworfen, die mit al Kaida verbündet sind. Eine Hungersnot infolge einer zweijährigen Dürre und einer Heuschreckenplage verschärften die Lage. Der ohnehin öffentlichkeitsscheue Präsident kapselte sich immer mehr ab. Schließlich verlor auch die Armee das Vertrauen in ihn.

Die USA haben den Militärputsch verurteilt und die Rückkehr des gestürzten Präsidenten an die Macht gefordert. "Wir schließen uns der Afrikanischen Union an und rufen zu einer friedlichen Rückkehr zur Ordnung im Sinne der Verfassung auf", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Tom Casey, in Washington. Mauretanien war unter Taya ein enger Verbündeter der USA gewesen. Teile der mauretanischen Streitkräfte sind in den vergangenen Monaten von US-Ausbildern geschult worden. Zuletzt im Juni hatten die USA Spezialkräfte nach Mauretanien entsandt, um die dortigen Soldaten im Anti-Terror-Kampf zu trainieren.

Die Afrikanische Union (AU) und die Vereinten Nationen verurteilten den Staatsstreich. In einer Erklärung aus New York hieß es, UN-Generalsekretär Kofi Annan verurteile "jeden Versuch, die Regierung jedweden Landes unter Verstoß der Verfassung zu ändern". Ähnlich äußerte sich AU-Kommissionspräsident Alpha Oumar Konare. In der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes hieß es, das Militär habe strategisch wichtige Stellen in der Stadt Nouakchott besetzt. Die Lage in der Hauptstadt sei unübersichtlich. Bis zur Klärung der Situation werde daher geraten, auf Reisen nach Mauretanien zu verzichten.

Veramtes Land am Rand der Sahara

Mauretanien zählt zu den ärmsten Ländern der arabischen Welt. Es ist einer der Staaten, denen die G8-Finanzminister im Juni die Auslandsschulden erließen. Das Land ist mit rund einer Million Quadratkilometer etwa drei Mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, hat aber nur rund drei Millionen Einwohner. Amtssprache in dem Land zwischen der West-Sahara, Niger und Senegal, das auch eine 750 Kilometer lange Atlantikküste besitzt, ist Arabisch. Aber in der ehemaligen französischen Kolonie, die 1960 unabhängig wurde, sind auch Französisch sowie verschiedene Niger- und Kongosprachen gängig. Fast alle Mauretanier sind Muslime.

Rund 62 Prozent der Bevölkerung können weder lesen noch schreiben, 57 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 20 Prozent. Das Land exportiert Fisch, Eisenerz und Gold, vor allem nach Japan, Italien und Frankreich. Lediglich 0,5 Prozent des Landes kann für die Landwirtschaft genutzt werden. Das verarmte Land erwartet 2006 die ersten Einnahmen aus seinen umfangreichen Ölquellen vor der Küste. "Es ist durchaus möglich, dass die Verträge mit ausländischen Mineralölkonzernen und die erhofften Öl-Dollars die Offiziere dazu brachte, zur Tat zu schreiten", mutmaßte die französische Zeitung "Libération".

DPA · Reuters
vuk mit Material von AP/DPA/Reuters