Das Palestine-Hotel in Bagdad hat seine besten Zeiten lange hinter sich. Der Empfangstresen ist ramponiert, von den sechs Fahrstühlen funktionieren nur zwei. Die Gänge sind eng, die Zimmer verwinkelt; die alten Teppiche geben einen muffigen Geruch ab. Es war der US-Sender CNN, der das Palestine kurz vor Kriegsbeginn entdeckte.
Am Tigris gelegen, bietet es
zur Rechten einen Blick auf sämtliche Brücken, gegenüber liegt Saddams Präsidenten-Palast, dahinter das Regierungsviertel, in der Ferne die Daura-Ölraffinerie. Fast das ganze Zielgebiet der US-Luftwaffe in Sichtweite. CNN bezog gleich die komplette 17. Etage. Darunter mietete sich Sky News aus England ein. Unter 250 Dollar Bakschisch für den Portier war bald kein Zimmer mit "River-View" zu bekommen.
Je näher die finale Schlacht rückt, desto mehr Journalisten verlassen ihren Logenplatz. Manche flüchten regelrecht, ohne ihre Klamotten mitzunehmen, ohne die Rechnung zu bezahlen. Gerüchte, dass das Hotel von den Republikanischen Garden gestürmt werden soll, haben ihnen die Gelassenheit geraubt, hinzu kommt die Angst, als Geiseln genommen zu werden. Ständig wird das Gepäck durchsucht. Auf jeder Etage sitzen Gestalten mit dunklen Bärten, die notieren, wer mit wem spricht, wer wen besucht, wer was mit sich herumträgt.
Informationsminister Mohammed al Sahaf stürmte vergangene Woche
mit gezogener Pistole in die Zimmer des arabischen TV-Senders al Jazeera. Er hatte sich über einen Bericht geärgert und zwang die Mitarbeiter für eine Nacht als menschliche Schutzschilde ins frühere Pressezentrum, das die Amerikaner bereits mehrfach beschossen hatten. Vier Reporter von US-Zeitungen wurden im Morgengrauen des 25. März von der Sicherheitspolizei festgenommen und ins berüchtigte Gefängnis von Abu Ghraib gebracht. Sie waren ohne Journalistenvisa nach Bagdad gekommen und hatten sich damit der Spionage verdächtig gemacht. Erst nach einer Woche ließ man sie nach Jordanien ausreisen.
Molly Bingham, früher Fotografin im Weißen Haus, schildert die Zeit als qualvolles Warten in Angst vor Folter, Vergewaltigung, Tod. "Während der stundenlangen Verhöre haben sie uns nicht angerührt", sagt sie, "aber sie haben immer darauf geachtet, dass du genau mitbekommst, was um dich herum passiert."
Jeder der vier saß in Einzelhaft.
Die Journalisten hörten, wie Gefangene geschlagen wurden, lauschten den Schmerzensschreien. Schließlich fand die in New York erscheinende Tageszeitung "Newsday" heraus, dass ihr Fotograf Moises Saman palästinensische Großeltern hat, und brachte Jassir Arafat dazu, sich für die Freilassung einzusetzen.
Dieser Krieg ist ein anderer Krieg. Nicht nur weil er ohne UN-Mandat geführt wird und es darum geht, ein Regime zu stürzen. Es ist das erste Mal, dass beide Seiten versuchen, Hunderte Journalisten kontrolliert für sich arbeiten zu lassen. Etwa 500 auf amerikanischer, gut 150 auf irakischer Seite. Im Golfkrieg von 1991 gab es keine "embedded reporters", die mit der Truppe in den Krieg zogen und von US-Panzern herab die Lage schilderten. Und der Irak hatte bis auf Peter Arnett von CNN zunächst sämtliche ausländische Medienvertreter des Landes verwiesen. Die Regeln, mit denen die Berichterstattung jetzt gesteuert wird, sind streng und unmissverständlich. In Bagdad darf kein Journalist ohne vom Regime gestellten Aufpasser das Hotel verlassen; die alliierten Streitkräfte bestrafen unerlaubtes Entfernen von der Truppe mit sofortigem Rauswurf.
Die unabhängig arbeitenden Reporter warten in Jordanien,
Kuwait, Syrien und im Nordirak darauf, ins umkämpfte Gebiet zu kommen. Im jordanischen Ruweshid kurz vor der irakischen Grenze tauchte neulich ein US-Offizier in Zivil auf und ließ alle Medienleute in einem Caf? versammeln. "Kameras aus!", befahl er. "Das ist ein inoffizielles Gespräch." Dann gab er den dringenden Rat, nicht auf eigene Faust in den Irak zu fahren. "Zwar schießt die US-Armee nicht auf alles, was sich bewegt. Aber alles, was sich bewegt, ist ein potenzielles Ziel." Eine Hand voll Reporter geht dennoch das Wagnis ein. Sie übernachten in Zelten in der Wüste oder auf den Rückbänken ihrer Jeeps. Zwei Israelis und ein Portugiese wurden zwischen Karbala und Najaf von amerikanischen GIs festgenommen und wegen Spionageverdachts drei Tage festgehalten. Ihre Berichte nach der Freilassung klingen keineswegs besser als das, was Molly Bingham und ihre Kollegen in Bagdad durchmachten.
Erst lagen sie mehrere Stunden mit den Gesichtern im Sand. Dann brachte man sie für die Nacht in ein Zelt, wo sie ununterbrochen stillstehen mussten. Der Kommandant drohte: "Bewegt euch nicht. Meine Soldaten sind wie Hunde, dressiert zum Töten." Es gab nichts zu essen, nichts zu trinken. Einem streunenden Hund stellten die Soldaten demonstrativ eine Schüssel Wasser hin. Als der Portugiese fragte, ob er seine Frau anrufen dürfe, schlugen ihn fünf Mann zusammen und brachen ihm mehrere Rippen.
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen"
wirft den alliierten Streitkräften vor, die Arbeit und Sicherheit von Journalisten zu missachten. Worauf weder Amerikaner noch Briten reagierten. Am Wochenende wäre beinahe der preisgekrönte BBC-Veteran John Simpson getötet worden. Er begleitete den Fahrzeugkonvoi von Amerikanern und Kurden, der irrtümlich unter Beschuss eines US-Kampfjets geriet. Zwölf Menschen kamen ums Leben. Darunter auch Simpsons Dolmetscher. Er selbst erlitt nur eine Beinverletzung. In den ersten 19 Tagen dieses Krieges starben acht Journalisten. Das letzte Opfer war ein deutscher Reporter, dessen Name bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt war. Er begleitete die 3. US-InfanterieDivision, die am Montag Ziel eines irakischen Raketenangriffs wurde.