Zum ersten Mal seit vier Jahren besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag die Türkei. An ihrer Ablehnung eines EU-Beitritts des muslimisch geprägten Landes hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Schon vor Merkels Treffen mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan bekräftigten beide in Interviews ihre Positionen in politischen Streitfragen, zu denen auch der Visumszwang für Türken bei Reisen nach Westeuropa gehört. Merkel und Erdogan wissen aber auch, dass ihre Länder viele gemeinsame Interessen haben, und um diese soll es beim Türkei-Besuch der Kanzlerin vornehmlich gehen.
In einer Art Ritual tauschten Merkel und Erdogan vor dem Besuch der Kanzlerin in der Türkei ihre gegensätzlichen Haltungen in der Frage des türkischen EU-Beitrittswunsches aus. Merkel bot den Türken noch einmal eine "privilegierte Partnerschaft" als Alternative zur EU-Mitgliedschaft an. Erdogan beharrte auf dem Ziel des EU-Beitritts. Etwas anderes komme für die Türkei nicht in Frage, sagte der Ministerpräsident.
Auch in der Diskussion über die türkische Forderung nach Abschaffung des Visumszwangs bei Reisen von Türken nach Westeuropa ist kaum Bewegung zu erwarten. Merkel erklärte, Ankara habe noch viel zu tun, insbesondere bei der Rückübernahme von Flüchtlingen aus Europa und bei der Sicherung ihrer östlichen und südlichen Außengrenzen. In Ankara heißt es dagegen, die Regierung werde innerhalb kürzester Zeit die Voraussetzungen für den visafreien Reiseverkehr schaffen. Das Rückübernahmeabkommen mit der EU solle noch in diesem Jahr unterzeichnet werden, bei der Grenzsicherung hat die EU nach türkischen Angaben finanzielle Hilfe versprochen.
Merkel lehnt außerdem Erdogans Forderung nach türkischen Gymnasien in Deutschland ab. Das führe nicht weiter, sagte sie der "Passauer Neuen Presse" vom Freitag. "Grundsätzlich sollten türkischstämmige Kinder und Jugendliche bei uns in deutsche Schulen gehen."
Diese Differenzen sollen das Klima bei dem Besuch aber möglichst nicht stören. Merkel und Erdogan hätten ein sehr gutes, sehr freundschaftliches und sehr offenes persönliches Verhältnis zueinander, heißt es auf deutscher Seite. Zudem wissen beide Regierungschefs, dass die Interessen ihrer Länder auf vielen Gebieten miteinander verschränkt sind. Die Türkei ist heilfroh, dass die europäische Großmacht Deutschland unter Merkel die seit 2005 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen trotz der Skepsis der Kanzlerin nicht torpediert. Die Deutschen wiederum betrachten die Türkei als wichtigen Partner an der Nahtstelle zwischen Europa, dem Kaukasus und dem Nahen Osten.
Angesichts von rund drei Millionen türkischen und türkischstämmigen Bürgern in Deutschland und jährlich vier Millionen deutschen Touristen in der Türkei hätte keiner viel zu gewinnen, wenn das Verhältnis von Streit geprägt wäre. Deshalb werden Merkel und Erdogan kommende Woche voraussichtlich die Gemeinsamkeiten betonen. Dazu gehört zum Beispiel die geplante türkisch-deutsche Universität in Istanbul.
Außerdem sind mittlerweile mehr als 4000 deutsche Firmen in der Türkei vertreten. Bei ihrem Besuch wird Merkel von einer hochkarätigen Unternehmerdelegation begleitet. Die Türkei ist ohne größere Katastrophen durch die Wirtschaftskrise gekommen und gilt als vielversprechender Wachstumsmarkt. Merkel verwies zudem auf die Bedeutung des Pipeline-Projekts Nabucco, das die Türkei zu einem wichtigen Faktor bei der Gasversorgung Westeuropas macht.
Merkel und Erdogan werden daher wohl trotz ihrer Differenzen zumindest nach außen alles tun, um das deutsch-türkische Verhältnis in einem guten Licht dastehen zu lassen. Das gab die Kanzlerin in einem Interview mit türkischen Journalisten schon zu verstehen: "Wir sind Freunde", wurde sie zitiert, "aber wir können auch einmal verschiedener Meinung sein."