Das tschechische Parlament hat am Dienstag Ministerpräsident Mirek Topolanek das Misstrauen ausgesprochen und damit den amtierenden EU-Ratspräsidenten zum Rücktritt gezwungen. 101 der in Prag anwesenden Abgeordneten stimmten für den Antrag der Opposition aus Sozialdemokraten und Kommunisten und erreichten so exakt die notwendige absolute Mehrheit. Es ist das erste Mal in der Geschichte Tschechiens, dass eine demokratische Regierung per Misstrauensvotum gestürzt wurde. "Ich nehme das zur Kenntnis und werde mich verfassungsgemäß verhalten", sagte Topolanek nach Bekanntgabe des Ergebnisses. Seine Mitte-Rechts-Regierung muss nun ihren Rücktritt einreichen.
Bis der als EU-kritisch bekannte Staatspräsident Vaclav Klaus den Auftrag zur Regierungsbildung neu vergibt, bleibt das Kabinett geschäftsführend im Amt. Von den anwesenden 197 Abgeordneten stimmten lediglich 96 für den 52-jährigen Regierungschef, Enthaltungen gab es keine.
Klaus, dem nun eine Schlüsselrolle zufällt, hat sich bisher nicht zu seinen Plänen geäußert. Die Verfassung setzt ihm für eine Entscheidung kein Zeitlimit, er könnte also Topolanek auch bis zum Ende der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft am 30. Juni im Amt lassen. Danach übernimmt Schweden den EU-Vorsitz.
Bereits für den 5. April ist in Prag ein EU-USA-Gipfel mit US-Präsident Barack Obama geplant, noch in dieser Woche ein informelles Treffen der EU-Außenminister im südböhmischen Hluboka nad Vltavou.
EU-Kommission gibt sich optimistisch
Die EU-Kommission erwartet keine Beeinträchtigung der Prager EU-Ratspräsidentschaft. "Die Kommission vertraut darauf, dass die Verfassung es der Tschechischen Republik ermöglicht, die Ratspräsidentschaft so effizient wie bisher wahrzunehmen", hieß es in einer in Brüssel veröffentlichten Erklärung der Kommission. Es sei Sache der Tschechen, die innenpolitischen Fragen zu lösen: "Die Kommission ist zuversichtlich, dass dies in einer Weise geschieht, die das volle Funktionieren der Ratspräsidentschaft sichert." Auch die Bundesregierung in Berlin geht "davon aus, dass die Handlungsfähigkeit des EU-Ratsvorsitzes sichergestellt wird", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf Anfrage.
Demgegenüber befürchtet der CDU-Europaabgeordnete und Experte für Außenpolitik, Elmar Brok, das endgültige Aus für den Lissabon-Vertrag. "Ich mache mir große Sorgen", sagte der CDU-Parlamentarier der "Financial Times Deutschland". "Mit dem Verlust seiner Mehrheit hat der tschechische Premier das Druckmittel auf seine eigenen Parlamentarier verloren, für den Vertrag zu stimmen. Damit hätte Tschechiens europaskeptischer Präsident Vaclav Klaus sein Ziel erreicht, den Vertrag endgültig zu kippen."
Der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten, Jiri Paroubek, sprach sich für die Bildung einer "Experten-Regierung" aus. Topolanek hatte für den Fall einer Abstimmungsniederlage Neuwahlen nicht ausgeschlossen, wäre dafür aber auf Oppositionsstimmen angewiesen, um eine verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen.
Wirtschaftskrise trifft Tschechien hart
In der von Wirtschaftsfragen geprägten Debatte vor dem Misstrauensvotum warf Paroubek dem Regierungschef vor, er könne "die Folgen der globalen Krise nicht mildern". Hunderttausende Tschechen müssten deshalb unter einem "Kapitalismus des 19. Jahrhunderts" leiden. Topolanek warnte unterdessen vor instabilen politischen Verhältnissen und einer Rückkehr der Kommunisten in die Regierung.
Der Sturz der Prager Regierung könnte auch Auswirkungen auf die Ratifizierung des EU-Reformvertrags in Tschechien haben. Der Lissabon-Vertrag liegt derzeit dem konservativ geprägten Senat zur Abstimmung vor, die dortigen Vertreter von Topolaneks Bürgerpartei (ODS) gelten überwiegend als EU-kritisch. Kommentatoren und Diplomaten in Prag spekulieren, dass der Senat den EU-Reformvertrag kippen könnte, wenn die ODS-Senatoren sich nach der Demontage Topolaneks nicht mehr an die Parteilinie gebunden fühlen.
Im Parlament stützte sich die Koalition aus ODS, Christdemokraten und Grünen schon seit Amtsantritt im Januar 2007 auf fraktionslose Abgeordnete, weil sie über keine eigene Mehrheit verfügte. Topolanek hatte so auch vier Misstrauensvoten überstanden. In Fragen der Gesundheitsreform und angesichts der internationalen Wirtschaftskrise hatten sich zuletzt aber immer mehr Differenzen mit den ungebundenen Parlamentariern ergeben.