Der Mann, ganz in schwarz, wandert unruhig auf der Bühne auf und ab, gestikuliert wild und seine Stimme wird zusehends schriller. Al Gore ist hörbar wütend. "Schamlos", ätzt der ehemalige US-Vizepräsident während seines Ted-Talks, habe die Öl-und Gasindustrie die Kontrolle über den COP-Prozess dieses Mal übernommen.
Gemeint ist die 28. UN-Klimakonferenz, die an diesem Donnerstag in den Vereinigten Arabischen Emiraten beginnt. Gores Empörung gilt dem Gastgeber des diesjährigen Gipfels: Sultan Ahmad al-Dschaber, Ingenieur, Ökonom und amtierender Industrie- und Fortschrittsminister der Vereinigten Arabischen Emirate. Und zugleich CEO des zwölftgrößten Ölkonzerns der Welt, der staatseigenen Abu Dhabi National Oil Company, kurz ADNOC.
Es ist ein einmaliger Vorgang in der 28-jährigen Geschichte der Klimakonferenzen. Nie zuvor stand der Boss eines Ölkonzerns der Weltklimakonferenz vor.
Die Entrüstung über al-Dschaber könnte größer kaum sein. Nichtregierungsorganisationen, Abgeordnete des US-Kongresses und des Europaparlaments warnen seit Monaten vor einer Vereinnahmung des Gipfels durch die fossile Industrie und fordern die Abberufung al-Dschabers. Denn wie glaubhaft kann der Boss eines staatlichen Ölkonzerns in einem Petrostaat für Klimaschutz kämpfen, also für die Abkehr von fossilen Energieträgern, wenn er und sein Land gerade mit dem Rohstoff Milliardengeschäfte machen?
Nach Schätzungen fördern die Vereinigten Arabischen Emirate Öl im Wert von rund 250 Mio. Dollar am Tag. Und al-Dschaber lenkt dieses Geschäft seit 2016. Lediglich ein paar wenige können der Besetzung etwas Positives abgewinnen, darunter der US-Klimabeauftragte John Kerry, der die umstrittene Personalie als "Experiment" bezeichnet, das funktionieren könne – oder auch nicht.
"Maximale Energie, minimale Emissionen"
Riskant ist sie in jedem Fall: Denn der 50-jährige al-Dschaber, der häufig im traditionellen weißen Gewand auftritt, macht keinen Hehl daraus, dass er auf der Konferenz eine größere Rolle spielen will als seine Vorgänger, die sich damit begnügten, zwischen den unterschiedlichen Länderinteressen zu vermitteln. Es werde einen "Paradigmenwechsel" geben, der politische Prozess müsse durch privates Kapital und unternehmerisches Denken ergänzt werden, sagte er jüngst der britischen Tageszeitung "Times". Kritiker befürchten wenig Gutes, wenn Ölfirmen den "Mindset" bestimmen, da sie zwar viel über nachhaltige Entwicklung und Klimaneutralität redeten, faktisch aber das Gegenteil täten.
Das Experiment könnte gründlich schiefgehen. Auf internationalen Konferenzen wirbt al-Dschaber gerne mit dem Slogan "maximale Energie, minimale Emissionen". Was erst einmal gut klingt, heißt aber praktisch, dass ADNOC sein Öl unverdrossen weiter fördert – und die Förderung sogar noch ausbaut. Und damit auch seine Emissionen.
So will das Unternehmen bis 2025 mehr als 150 Milliarden Dollar in "Wachstumsprojekte" investieren, darunter die Ausweitung seiner Rohölförderkapazität auf fünf Millionen Barrel pro Tag bis 2030 (ein Barrel sind 159 Liter). Zur Expansionsstrategie passt, dass ADNOC den Kunststoffhersteller Covestro für 11,6 Milliarden Euro übernehmen will und neuerdings auch die BASF-Öl- und Gastochter Wintershall Dea umwirbt.
ADNOC stößt mehr Klimaschadstoffe aus als ExxonMobil oder BP, es fehlt ein glaubwürdiger Reduktionsplan. Lediglich einen Bruchteil seiner Investments – 15 Milliarden Dollar – setzt der Konzern dafür ein, Emissionen zu verringern, die bei der Ölförderung entstehen: Offshore-Ölplattformen werden neuerdings mit Strom betrieben und mithilfe digitaler Tools will das Unternehmen besser darüber Bescheid wissen, wo Energie verschwendet wird. Außerdem hat ADNOC mit dem Bau von groß angelegten Projekten zur Abscheidung von Kohlenstoff begonnen, die dann in der Erde versenkt werden sollen. Zukunftstechnologien, die bisher nicht einmal ein Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes durch fossile Brennstoffe einsparen.
"Ein Interessenkonflikt bleibt ein Interessenkonflikt"
Das Selbstverständnis dahinter ist klar: Die Vereinigten Arabischen Emirate schwimmen buchstäblich im Öl. An die 100 Milliarden Barrel erschließbare Reserven liegen noch unter den Wüsten- und Meeresböden. Damit könnte Deutschland seinen heutigen Verbrauch rund 130 Jahre lang decken. 7000 Milliarden Dollar wären die Vorkommen heute wert. Welcher Geschäftsmann wollte da freiwillig verzichten?
Ahmad al-Dschaber sicher nicht. Der Mann ist selbst allzu abhängig vom Gutdünken seiner Förderer. Seine Karriere verdankt er vor allem der Firma, deren CEO er heute ist. Als junger Mann heuerte er dort an, ADNOC half großzügig mit Stipendien. Damit finanzierte er sein Chemieingenieurstudium in Kalifornien und promovierte später in Wirtschaftswissenschaften in England. Zurück in Abu Dhabi vertraute ihm die Herrscherfamilie rasch Schlüsselposten an, als eine Art Regierungssprecher, Staatsminister, Sondergesandter für den Klimawandel. Sein wichtigster Förderer dabei: Mohammed bin Zayed Al Nahyan, Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate.
Ein netter Kerl, smart und klug, so nennt ihn Al Gore, aber er mahnt auch: "Ein Interessenkonflikt bleibt ein Interessenkonflikt." Und wer noch an der Doppelzüngigkeit der Ölindustrie zweifelt, dem sei eine interessante Zahl genannt: Auch in diesem Jahr hat die fossile Energiewirtschaft laut Internationaler Energieagentur mehr als 1 Billion US-Dollar an neuen Mitteln in die Förderung von Kohle, Gas und Öl investiert. Schlimmer noch: Konzerne wie Shell haben ihre Investitionen von erneuerbaren zu fossilen Energien umgelenkt. Ausgerechnet in diesem Jahr, dass angesichts von Rekordtemperaturen, Dürren, Waldbränden und Flutkatastrophen dramatisch vor Augen geführt hat, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe sofort reduziert werden muss.