Orhan Pamuk Politik interessiert ihn nur am Rande

Wegen "Herabsetzung des Türkentums" steht der türkische Erfolgsautor Orhan Pamuk vor Gericht. Er spricht offen das Massaker an den Armeniern an und setzt sich für eine offene und tolerante Gesellschaft ein.

Der Schriftsteller Orhan Pamuk versteht sich auf leidenschaftliche Plädoyers für eine Integration der Türkei in die EU. Für sein zwischen islamischer Tradition und westlicher Moderne zerrissenes Land wünscht sich der 53-jährige Romanautor "eine offene und tolerante Gesellschaft".

Weil der international bekannteste türkische Gegenwartsautor auch vor Tabu-Themen wie den Massakern an den Armeniern im Ersten Weltkrieg nicht zurückschreckt, erntete er nationalistische Hasstiraden, Morddrohungen - und einen Prozess wegen "Herabsetzung des Türkentums".

Stichwort

Auf "Herabsetzung des Türkentums" steht eine Strafe von sechs Monaten bis drei Jahren. Wenn die Äußerung allein Kritik zum Ziel hatte, wäre ein Freispruch fällig. In der Türkei ist angesichts des Kurdenkonflikts eine politische Debatte über die Definition von "Türke" oder "Türkentum" entbrannt. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan brachte "übergeordnete" (Bürger der Republik Türkei) und "untergeordnete Identitäten" (Kurden und andere) ins Gespräch.

Dabei interessiert ihn Politik eigentlich nur am Rande. Vor die Wahl gestellt würde Pamuk, der in einer westlich orientierten bürgerlichen Familie in Istanbul aufwuchs, dem literarischen Elfenbeinturm allemal den Vorzug geben. Eigentlich möchte der jungenhaft wirkende Erfolgsautor, dessen vielfach ausgezeichnete Bücher in 34 Sprachen übersetzt wurden und auch in der Türkei hohe Auflagen erzielen, von seinen Lesern geliebt werden.

Romankunst, osmanisch-türkische und europäische Geschichte, das verzwickte Mit- und Gegeneinander von Orient und Okzident sind seine Themen. Davon zeugen seine Romane "Die weiße Festung", "Rot ist mein Name" und zuletzt "Schnee", mit denen er auch in Deutschland bekannt wurde. "Wenn er nicht über Politik spricht, wächst er über sich hinaus", kommentierte die türkische Zeitung "Hürriyet", als Pamuk im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm.

Kritiker, die ihm feindlich gesonnen sind, unterstellen gerne, mit seinen provozierenden politischen Äußerungen gehe es ihm allein um den Literaturnobelpreis - "auf kürzestem Wege". Einblicke in sein Privatleben gibt der Autor eher selten - es sei denn in Form nostalgischer Kindheitserinnerungen wie in seinem zuletzt erschienenen "Istanbul"-Buch. Zur großen Überraschung der türkischen Öffentlichkeit brachte Pamuk zur Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche seine 14-jährige Tochter Rüya mit.

DPA
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