Parlamentswahl in Großbritannien Keine Mehrheit für niemanden

Die Briten haben gewählt, doch niemand weiß, wen genau: Zwar haben die Tories gewonnen, allerdings nicht die Mehrheit. Und Verlierer Gordon Brown versucht, weiter Premierminister zu bleiben.

Bei der Unterhaus-Wahl in Großbritannien haben die oppositionellen Konservativen unter David Cameron die meisten Mandate errungen, die absolute Mehrheit aber verfehlt. Damit ist unklar, wer die künftige Regierung des Königreichs stellen wird.

Nach Auszählung von 626 von 650 der Stimmen entfielen hochgerechnet 301 Parlamentssitze auf die Konservativen und 255 auf Labour. Für eine absolute Mehrheit wären 326 der künftig 650 Mandate nötig. Enttäuschend dagegen das Ergebnis der Liberalen: Ihr Spitzenkandidat Nick Clegg hatte sich in den drei TV-Debatten so gut verkauft, dass bereits von einer "Cleggmania" die Rede war. Sein Ziel war es, die Zahl der Abgeordneten zu verdoppeln. Doch nach dem aktuellen Stand der Dinge hat seine Partei sogar sechs Sitze gegenüber der letzten Wahl verloren und liegt nun bei 56. Dennoch könnte ihm die Rolle des Züngleins an der Waage zukommen.

Weil keine der Parteien die absolute Mehrheit im Unterhaus haben wird, gibt es erstmals seit 1974 ein sogenanntes hung parliament, also ein Patt. In diesem Fall sieht das britische Wahlrecht vor, dass der amtierende Regierungschef das Vorrecht auf die Regierungsbildung hat. Sollte Gordon Brown dieses Vorrecht in Anspruch nehmen, müsste er sich um eine Koalition bemühen.

Königsmacher Nick Clegg

Clegg fällt dabei die Rolle des Königsmachers zu. Sowohl Brown als auch Cameron sind auf seine Mitarbeit angewiesen - und noch ist völlig offen, wie sich die Liberalen entscheiden werden. Erst am Samstag wird die Partei über eine mögliche Zusammenarbeit und eine denkbare Regierungsbildung mit den konservativen Tories oder der Labour-Partei entscheiden. Die neu gewählten Abgeordneten und Partei-Spitzen wollten dann zu einem privaten Treffen zusammenkommen, berichtete die Nachrichtenagentur PA. Das sehen die Parteistatuten vor. Die Pläne wurden bekannt, bevor ein eindeutiges Ergebnis der Parlamentswahlen feststand.

Trotz Übereinstimmungen mit Labour in ihren politischen Positionen dürfte die Bereitschaft der Lib Dems aber gering sein, dem unpopulären Brown zu einer weiteren Amtszeit als Premier zu verhelfen. Ein weiteres Problem könnte darin bestehen, dass Labour und Liberaldemokraten auch gemeinsam nicht auf die absolute Mehrheit von 326 der 650 Unterhaussitze kommen. Unter Umständen müssten weitere Abgeordnete ins Boot geholt werden, zum Beispiel die erstmalig im Parlament vertretene Grünen-Chefin Caroline Lucas.

Brown hat bereits deutlich gemacht, dass er nicht an einen Rückzug denkt. Er sehe seine Aufgabe darin, "meinen Part in der Bildung einer starken, stabilen und prinzipientreuen Regierung für Großbritannien zu spielen", sagte er in seinem Wahlkreis Kirkcaldy. Der Chef der Labour-Partei werde dies damit begründen, dass eine Koalition in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten besser sei als eine Minderheitsregierung unter den konservativen Tories, zitierte PA Kreise in der Downing Street, wo der Premierminister residiert.

Offen für ein Bündnis mit den Liberaldemokraten

Führende Kabinettsmitglieder zeigten sich offen für ein Bündnis mit den Liberaldemokraten. Auf diese Möglichkeit angesprochen sagte Wirtschaftsminister Peter Mendelson dem Sender Sky News: "Sie müssen nicht ganz so entsetzt klingen. Offensichtlich wären wir bereit, das zu prüfen." Auch Energieminister Ed Miliband und Innenminister Alan Johnson schlossen diese Möglichkeit nicht aus.

Oppositionsführer Cameron forderte Brown dagegen zum Rücktritt auf. Schon vor dem Abschluss der Stimmenauszählung sei deutlich geworden, "dass die Labour-Regierung ihr Mandat, unser Land zu regieren, verloren hat", sagte der Tories-Chef in seinem Wahlkreis Witney.

Eine Regierung müsste bis zum 25. Mai gebildet werden. Dann eröffnet Queen Elizabeth II. offiziell die Legislaturperiode und der designierte Premierminister muss sich einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen.

Reuters
AFP/Reuters