Als Paradebeispiel für die hohe Kunst der Diplomatie wird ihr schmissig dahingesagtes "Fuck the EU" sicher nicht in die Geschichte eingehen. "Scheiß auf die EU", sagte also die Europa-Beauftragte im US-Außenministerium, Victoria Nuland, über die Rolle Brüssels im Ukraine-Konflikt. Sie sagte das natürlich nicht in der Öffentlichkeit, sondern am Telefon in einem vertraulichen Gespräch. Irgendjemand aber nahm den Mittschnitt an sich, veröffentlichte ihn auf Youtube und nun fragen sich Interessierte, wer der Übeltäter wohl gewesen sein könnte.
Absichtliche Durchstechereien, versehentliche Indiskretionen und plumper Verrat gehörten schon immer zur Diplomatie - denn die Sprache unter Souveränen ist gespickt mit höflichen Floskeln und codierten Phrasen, aber so gut wie nie mit offener Deutlichkeit. Da ist es natürlich umso interessanter zu erfahren, was abseits des Protokolls gedacht und gesagt wird. Denn nur selten blamiert man sich öffentlich, wie etwa jüngst UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, der den Iran damit brüskierte, dass er ihn erst zur Syrien-Konferenz ein- und dann wieder auslud.
Neben diesem Weg gibt es im Wesentlichen zwei weitere Möglichkeiten, auf dem äußerst glatten diplomatischen Parkett auszurutschen: halböffentlicher Spott vor geöffneten Mikrofonen und ungeniertes Lästern im Glauben auf Vertraulichkeit.
Ein paar Beispiele:
- Auf dem G20-Gipfel 2011 in Cannes lästerten US-Präsident Barack Obama und Frankreichs damaliger Staatschef Nicolas Sarkozy über Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu: "Ich kann ihn nicht mehr sehen, er ist ein Lügner", soll Sarkozy gesagt haben. Antwort Obama: "Du bist ihn leid, aber ich habe jeden Tag mit ihm zu tun." Ohrenzeugen waren eine Reihe von Anwesenden, die sich im Sitzungssaal befunden hatten.
- Auf dem G8-Gipfel 2006 in St. Petersburg beschwerte sich der damalige US-Präsident George W. Bush über den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan: Dieser halte langatmige Reden. Und: Der damalige Konflikt zwischen Israel und dem Libanon sei ein "Scheiß", der beendet werden müsse. Zu hören gewesen wegen eines noch offenen Mikrofons.
- Beinahe schon ein Klassiker in der Rubrik 'Worte, die nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht sind' stammt aus dem Jahr 1984: Vor einer Radioansprache machte der damalige US-Präsident Ronald Reagan einen wenig geschmackvollen Scherz über den Erzfeind Sowjetunion: "Wir haben die Sowjets gerade für vogelfrei erklärt und beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung." Bekannt wurde die mehr als saloppe Bemerkung, weil die Bänder zur Aufzeichnung bereits liefen.
- Nicht nur US-Präsidenten, selbst Engländer neigen manchmal zu deutlichen Worten: Gordon Brown, 2010 britischer Regierungschef, war während des Wahlkampfs von einer Bürgerin genervt: Sie sei "verbohrt", sagte er ihr noch ins Gesicht und später zu einem Mitarbeiter: "Das war ein Desaster - sie hätten mich niemals mit dieser Frau zusammenbringen dürfen." Bekanntgeworden, weil Brown noch das Mikro eines TV-Senders an seinem Hemd hatte.
- Ebenfalls Opfer eines funktionierenden Mikrofons wurde Tschechiens Ministerpräsident Jiri Rusnok im Dezember 2013. Als es hieß, er müsse zur Trauerfeier von Nelson Mandela fahren, sagte er: "Jetzt ist auch noch der Mandela gestorben. Ich zittere davor, dort hinfahren zu müssen. Ich habe Termine, und wer soll das bezahlen?" Seine Worte waren im Fernsehen zu hören gewesen.
Einen schier unerschöpflichen Fundus an unerhörter Diplomatie bieten die 2010 über Wikileaks veröffentlichten US-Depeschen aus allen Botschaften der Welt. Natürlich war das eine höchst unfeine Geste, schließlich möchte auch sonst niemand, dass seine Lästereien über Chefs, Nachbarn oder Kunden an die Öffentlichkeit gelangen. Aber gut, Information ist schließlich die stärkste Waffe für Aufklärung und Denunziation - vor allem in der internationalen Politik.
- Über die deutsche Bundeskanzlerin: "Angela Teflon Merkel"
- Über den früheren libyschen Revolutionsführer Muammar al Gaddafi: "Reist praktisch nicht mehr ohne die Begleitung einer vollbusigen ukrainischen Krankenschwester."
- Über den damaligen Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy: ein "Kaiser ohne Kleider"
- Hillary Clinton über die nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat strebenden Inder: "selbsternannte Sitzgrabscher"
- Über Fidel Castro: "Hatte eine Darmblutung während eines Fluges nach Havanna und verweigerte wegen eines öffentlichen Auftritts zunächst eine OP." Die US-Vertretung für Kuba mit Sitz in Venezuela schätzte den Gesundheitszustand Castros als ernst ein.
- Über den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan: "führt sein Land in eine islamistische Zukunft"
- Über Russland: "stark zentralisiert, manchmal brutal und unabänderlich zynisch und korrupt." Der frühere US-Verteidigungsminister Robert Gates wird mit dem Satz zitiert, die russische Regierung sei "eine von den Sicherheitsbehörden geführte Oligarchie".