Wer im polnischen öffentlich-rechtlichen Sender TVP am Mittwoch Nachrichten sehen wollte, wurde enttäuscht: Statt der Sendung gab es nur einen Platzhalter mit dem Logo und einem Weihnachtssternchen. Der Nachrichtensender TVP Info und sein Internetportal waren sogar komplett abgeschaltet. Eine technische Panne war das nicht: Die neue proeuropäische Regierung von Donald Tusk hat mit dem Großreinemachen bei den öffentlich-rechtlichen Medien begonnen.
Auch am Abend fielen die Hauptnachrichten auf TVP um 19.30 Uhr aus. Stattdessen sahen die Zuschauer den bekannten Fernsehjournalisten Marek Czyz, der einst den Sender verlassen musste. "Jeder polnische Bürger, der die öffentlich-rechtlichen Medien finanziert, hat das Recht, von ihnen sachliche, professionelle und ehrliche Information zu verlangen", sagte Czyz. Daher werde es ab Donnerstag eine andere Art von Nachrichtensendung geben: "Keine Suppe, sondern klares Wasser."
Kulturminister Bartlomiej Sienkiewicz feuerte eine Woche nach Amtsantritt der Tusk-Regierung mit einem Schlag die gesamte Führung der Öffentlich-Rechtlichen. Die Entscheidung betreffe die Vorstandschefs und die Aufsichtsräte von TVP, des polnischen Radios sowie der Nachrichtenagentur PAP, teilte sein Ministerium am Mittwoch mit. Neue Aufsichtsräte seien bereits ernannt, diese würden neue Vorstände wählen. Bei der Agentur PAP wollte der bisherige Chef Wojciech Surmacz seine Absetzung nicht hinnehmen, wie das Portal gazeta.pl berichtete. Gleichzeitig sei der neue Leiter Marek Blonski im Haus und habe erste Personalveränderungen angeordnet.
PiS-Politiker besetzen Fernsehzentrale in Polen
Das Kulturministerium berief sich dabei ausdrücklich auf eine Resolution des Parlaments, mit der die Unparteilichkeit der öffentlich-rechtlichen Medien wiederhergestellt werden soll. Diese galten jahrelang als Sprachrohre der rechtsnationalistischen Vorgängerregierung.
Das Parlament hatte die Resolution zur Wiederherstellung "der Unparteilichkeit und Zuverlässigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien" am Dienstag mit der Fraktionsmehrheit der neuen Koalition unter Ministerpräsident Donald Tusk verabschiedet. Darin hieß es, diese Medien hätten ihren gesetzlichen Auftrag verloren, zuverlässige und unparteiische Informationen zu liefern, und seien zu Parteimedien geworden. Das Kulturministerium sowie das Ministerium für Staatsbeteiligungen, das über Eigentümergremien an den Anstalten beteiligt ist, müsse nun korrigierend eingreifen. Die meisten Abgeordneten der bislang regierenden, rechtspopulistischen PiS boykottierten die Abstimmung.
Schätzungsweise eine Million Polen bei Oppositionsdemo gegen die Regierung

Nach der Abstimmung besetzten PiS-Politiker in der Nacht zum Mittwoch das Gebäude des Fernsehens TVP, um nach eigenen Angaben den "Medienpluralismus" zu verteidigen. "Es gibt keine Demokratie ohne Medienpluralismus oder starke regierungskritische Medien, und in Polen sind das die öffentlich-rechtlichen Medien", sagte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der sich gemeinsam mit Ex-Regierungschef Mateusz Morawiecki den Protestierenden anschloss. Ein AFP-Reporter sah auch Polizisten, die sich in der Zentrale des öffentlich-rechtlichen Fernsehens postierten.
Polens Präsident kritisiert neue Tusk-Regierung
Morawiecki sprach von einem "gewaltsamen Eindringen" der neuen Führungsriege des Fernsehens. "Wir sehen den ersten Schritt in Richtung einer Diktatur", hob er vor Journalisten hervor. Nach Kaczynskis Angaben wollen die PiS-Politiker ihre Proteste im Wechsel fortsetzen. Der PiS-Abgeordnete Marek Suski bekräftigte am Mittwoch, dass es um die Verteidigung der "Medienfreiheit" gehe. Auch am Donnerstag protestierten PiS-Politiker.
Der der PiS nahestehende Präsident Andrzej Duda kritisierte das Vorgehen der neuen Regierung im Medienbereich. Im Onlinedienst X, vormals Twitter, rief er Regierungschef Tusk und sein Kabinett auf, "die polnische Gesetzesordnung zu respektieren". Er fügte einen Brief an Tusk bei, in dem er betonte, "eine parlamentarische Resolution hat keine Gesetzeskraft". Duda nannte das Vorgehen "völlig unrechtmäßig" und eine Verletzung der Verfassung. Wer andere Regeln für die Leitung der Medien wolle, müsse zuerst das entsprechende Gesetz ändern, sagte am Donnerstag Duda dem Radiosender Zet. "Das ist Anarchie. Es ist Anarchie, das geltende Recht zu umgehen", sagte er.

Tusk reagierte umgehend und wies das Ansinnen von Duda zurück. "Wie ich Sie bereits informiert habe, zielt das Vorgehen heute entsprechend unserer Absicht darauf ab, die Gesetzesordnung und den allgemeinen Anstand im öffentlichen Leben wiederherzustellen." Duda könne mit der "eisernen Entschlossenheit" der Regierung in dieser Hinsicht rechnen.
Internationale Organisationen bemängeln Pressefreiheit in Polen
Nach ihrem Wahlsieg im Oktober hatten Tusk und seine Bündnispartner am Mittwoch vergangener Woche die Regierung übernommen. Der Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählt zu den Prioritäten der Regierung Tusk. Opposition und Nichtregierungsorganisationen hatten der PiS zuvor immer wieder vorgeworfen, in ihren acht Jahren an der Macht die Medienfreiheit mehr und mehr einzuschränken, erhebliche Finanzmittel in die staatlichen Medien zu schleusen und diese zu Sprachrohren der Regierungspropaganda umzubauen. Das besondere Augenmerk gilt dabei TVP, im Volksmund auch "TVPiS" genannt.
Die polnische Zeitung "Rzeczpospolita" kommentierte den Medien-Umbau am Donnerstag so: "Schon bei der Vereidigung der neuen Regierung von Donald Tusk in der vergangenen Woche war klar, dass die ersten Maßnahmen (...) vier Bereiche betreffen würden: die öffentlichen Medien, die Rechtsstaatlichkeit, die Beziehungen zur EU sowie die staatlichen Unternehmen. Und das taten sie auch. Auf den Fluren des Parlaments war aufseiten der Koalition zu hören, dass Veränderungen in den öffentlichen Medien noch vor Weihnachten notwendig seien. Die Wähler der Koalition sollten schon während der Weihnachts- und Familienfeiertage das Gefühl haben, dass die neue Regierung wirklich funktioniere. Und das wichtigste Symbol sollten das polnische Fernsehen und vor allem sein Flaggschiff, die (Nachrichtensendung) 'Wiadomosci', sein."
Internationale Organisationen hatten die einseitige Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien über den Wahlkampf kritisiert. Diese hätten sich "vollständig in einen Propagandaarm der regierenden PiS verwandelt" und beteiligten sich an der Verunglimpfung ihrer Kritiker, hieß es etwa ein einem Bericht des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF), das hauptsächlich von der EU-Kommission finanziert wird.
Die OSZE-Wahlbeobachtermission rügte, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe die PiS in seiner Berichterstattung "klar bevorzugt und gleichzeitig offene Feindseligkeit gegenüber der Opposition an den Tag gelegt". Gesellschaftspolitische Ereignisse seien durchweg verzerrt und offen parteiisch dargestellt worden.
TVP unter PiS-Gegnern verhasst
Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hatte 2020 festgestellt, dass einseitige Berichterstattung und "Hassreden" bei den staatlichen Medien in Polen nach wie vor an der Tagesordnung seien. Die Staatsmedien seien in "Propaganda-Sprachrohre der Regierung" verwandelt worden. In seinem Bericht 2023 stellte die Organisation fest, dass die PiS-Regierung auch verstärkt versuche, private Medien unter ihre Kontrolle zu bringen.
Unter vielen PiS-Gegnern in der Bevölkerung wurde besonders TVP Info zum Hassobjekt. Nachdem ein Moderator des Senders Tusk als "rothaarig und gemein" bezeichnet hatte, erschienen während des Wahlkampfes bei einer Großdemonstration gegen die PiS viele Teilnehmer mit rothaarigen Perücken.
Hinweis: Dieser Artikel wurde nach seiner Veröffentlichung aktualisiert.