Ein freundliches Winken ins Publikum, ein charmantes Grinsen für die Kameras, ein lässig-lockerer Gang ans Rednerpult. So wird es aussehen, wenn Barack Obama im "Schlachtfeld"-Staat Ohio am Samstag die erste offizielle Rede des Wahlkampfjahres halten wird. An seiner Seite wird Ehefrau Michelle stehen, eine der beliebtesten First Ladys, die es in den USA je gab. Doch eine weitere Charme-Offensive des Präsidentenpaares allein wird nicht reichen, um dem Demokraten die zweite Amtszeit zu sichern.
Die Demoskopen sagen ein äußerst knappes Rennen voraus, in dem die Stimmen weniger Bürger entscheiden werden. Nur eins ist sicher: 2012 hat bisher keinen Favoriten. Obama wird gegen Romney einen Kampf der politischen Ideologien führen müssen. Gleichzeitig wird er darauf vertrauen, dass sein Team mit Hilfe der Grasswurzel-Bewegung "Obama for America" in der Lage ist, ein ähnliches Wahlkampf-Feuer im Land zu entzünden, wie bei seinem fulminanten Wahlsieg vor vier Jahren. Eine schwere Aufgabe.
Schwarz-Weiß-Bilder von zwangsversteigerten Privathäusern, sich die Haare raufende Bänker, eine stetig abfallende Bilanzkurve, an deren Ende in roter Signalfarbe die Horrorzahl von 4,4, Millionen verlorenen Arbeitsplätzen prangt. Im offiziellen Wahlkampf-Spot zum Kick-Off der Kampagne erinnert das Obama-Lager an das düstere Szenario, das der Demokrat vorfand, als er im Herbst 2008 das Rennen um den Chefsessel im Weißen Haus gewann. Es folgen Bilder aus der ersten Amtszeit des Präsidenten: Obama beim Besuch der Autoindustrie in Detroit, Obama am Wohnzimmertisch im Gespräch mit Durchschnittsamerikanern, Obama beim Unterzeichnen der Wall Street-Reform, Obama, der den Tod von Osama bin Laden verkündet.
"Gerechtigkeit" statt "Hoffnung"
"Forward" (vorwärts) lautet der Titel des Kampagnenspots, der über die Leinwände flimmern wird, wenn Obama die Wahlkampfbühnen betritt. Die Botschaft der Bilderflut ist eindeutig: Vorwärts statt zurück zu der Politik, die "uns erst in den Schlamassel geführt hat". Das ist Obamas Leitparole für 2012. Die Wahl eines Republikaners bedeute demgemäß weitere Steuererleichterungen für Reiche, tiefe Einschnitte in die Sozialprogramme, altbekannte Muskelspiele in der Außenpolitik.
Keine Frage: Obama wird in den kommenden Monaten ein deutliches Schwarz-Weiß-Bild skizzieren. Das so wunderbar anmutende "Hoffnung", "Wandel" und "Yes, we can!" war im letzten Jahrzehnt. In 2012 werden härtere Geschütze aufgefahren. Es geht um "Fairness" und "Gerechtigkeit". Der Präsident, vor vier Jahren angetreten, um überparteilich zu arbeiten und Brücken zwischen den gespaltenen Lagern zu bauen, begibt sich in die Niederungen eines Lagerwahlkampfes.
Die Obamania ist lange vorbei
Zwar ist der Dauer-Parteienzwist in Washington den US-Bürgern zunehmend zuwider - zumindest auf dem Papier bezeichnen sich derzeit so viele Amerikaner als "parteilich unabhängig" wie nie zuvor -, doch gleichzeitig hat der seit Monaten tobende Schlagabtausch zwischen Demokraten und Republikanern die für Wahlen so wichtige Mitte schrumpfen lassen. Selten war die politische Positionierung der Bürger in so zementiert wie in 2012. Die Zahl der klassischen Wechselwähler hat stark abgenommen.
Für Obama heißt das: Er muss vor allem seine eigene demokratische Basis dazu bewegen, im November an die Wahlurne zu schreiten. In größtmöglicher Zahl. Eines der wichtigsten Instrumente dazu ist seine Unterstützerbewegung "Obama for America". Mithilfe eines millionenschweren E-Mail-Verteilers (ein gut gepflegtes Überbleibsel aus 2008) posaunt das Netzwerk Obamas Parolen ins Land hinaus, versucht freiwillige Arbeitskraft zu generieren und Spendengelder zu sammeln. "Grasswurzel-Unterstützung, besonders online, ist unser Weg, gegen unsere Gegner zu bestehen. Ohne werden wir nicht gewinnen", heißt es in einer der jüngsten Mobilisierungs-Emails.
Doch Obamas Strategen werden sich in diesem Jahr weitaus schwerer damit tun, bei Wahlkampfauftritten Bilder elektrisierter Massen hervorzuzaubern. Die "Obamania" ist der politischen Realität gewichen. Der Demokrat, einst als Heilsbringer Amerikas gefeiert, ist als Präsident hart auf dem Boden aufgeschlagen.
Wahlversprechen nicht gehalten
Die Achillesferse des 44. Präsidenten von Amerika ist zweifellos die anhaltend schwache Konjunktur. Auch zuletzt positive Zahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Supermacht aus dem Tritt geraten ist. Die Arbeitslosenquote ist verstörend hoch, die Kluft zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander, der Staat balanciert finanziell am Abgrund und führt ein Leben auf Dauerpump. Der berühmte "american spirit" ist in weiten Teilen des Landes verflogen - und das quer durch nahezu alle Gesellschaftsschichten. Neben der instabilen Wirtschaftslage schweben der Atomkonflikt mit dem Iran und die Unruhe in der arabischen Welt wie Damoklesschwerter über diesem Wahljahr.
Auch nicht gehaltene Wahlversprechen werden Obama in den kommenden Monaten um die Ohren fliegen. Wie beispielsweise die "Einwanderungsreform". "Die Einwanderungsreform kommt innerhalb eines Jahres nach meinem Amtsantritt", hatte Obama versprochen - und nicht geliefert. Gerade die Latinos, eine der wichtigsten Wählergruppen der USA, werden den Präsidenten an solchen Aussagen messen.
Veränderte Landkarte
Doch die Demokraten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Während sich die Republikaner im Vorwahlkampf gegenseitig bekriegten, feilte das Obama-Lager bereits an der 2012er Taktik. Sie scheinen zu wissen, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, um dem Präsidenten die zweite Amtszeit zu sichern. Ein Kernelement von Obamas Kampagne ist die "Operation Vote". Das Projekt zielt auf die direkte Ansprache spezifischer - dem Demokraten zugeneigter - Wählergruppen ab: Frauen, Jungwähler, Latinos, Afroamerikaner, Homosexuelle. Ihre Stimmen sind elementar, um Obamas Wiederwahl zu sichern.
Auch die politische Landkarte hat Obamas Team seit Monaten studiert. Einst unantastbare republikanische Hochburgen wie die alten Südstaaten Virginia und North Carolina oder Arizona und Nevada im Südwesten verändern durch Zuwanderung und neue Bildungsklassen ihr Gesicht. Solche Verschiebungen haben im Wahlsystem der USA massive Auswirkungen. Durch geschickte Wahlkampfmanöver könnten nun einige konservative Bastionen an Obama fallen.
Sechs Monate vor dem Wahltag ist der Ring frei für den Schlagabtausch Links gegen Rechts. Es wird ein offenes Rennen. Und bis November kann und wird noch viel passieren.