Presseschau: Ägyptens Präsident Mursi Vom demokratischen Hoffnugsträger zum Diktator

Mursi will die Macht ganz an sich reißen, befürchten seine Gegner. Die Pläne für ein umstrittenes Referendum trieben Tausende Oppositionelle auf die Straße. Die internationale Presse reagiert empört.

Noch vor wenigen Tagen schlug das Magazin "Time" Mohammed Mursi als Mann des Jahres vor, nun steht der erste islamistische Staatschef Ägyptens vor einem Scherbenhaufen. Nicht genug, dass ihn die säkularen Oppositionsparteien als "schlechte Mubarak-Kopie" beschimpfen. Auch aus dem Ausland hagelt es Kritik.

Frankreich: "Liberation"

Die französische Tageszeitung "Liberation" kommentiert am Samstag die Entwicklung in Ägypten:

"Mursi, hau ab!" Ägyptische Demonstranten haben den symbolischen Schlachtruf gegen Mubarak aus dem Februar 2011 übernommen, nach 30 Jahren absoluter Macht, Korruption, ohne wirklich demokratische Wahlen oder ein reales politisches Leben. Mit dem Vorwurf konfrontiert, alle Instrumente der Macht monopolisieren zu wollen, könnte Mursi das gleiche Schicksal nach sechs Monaten an der Spitze des Staates erwarten. Er sollte nicht zu schnell als Präsident und Vertreter der mächtigen Muslimbruderschaft abgeschrieben werden. Mursi ist rechtmäßig zum Präsidenten gewählt, der einzige in der Geschichte Ägyptens und der einzige nach allgemeinen Wahlen in der arabischen Welt. Diese unbestreitbare Legitimation bedeutet keinen Freifahrtschein, seine islamistische Vision der Welt einem Volk aufzuzwingen, das seit zwei Jahre seine Vielfalt in vielen Bereichen erkennen lässt."

Österreich: "Der Standard"

Zum Ringen um eine neue Verfassung in Ägypten schreibt "Der Standard" in Wien am Samstag:

"Ob nun die Muslimbrüder und andere Islamisten ihr Programm durchdrücken und dafür sogar eine 'demokratische Legitimation' durch Referendum und Wahlen erhalten oder ob ihre Gegner diesen Prozess stoppen in der ebenfalls legitimen Auffassung, dass eine Verfassung von der gesamten Gesellschaft ausgehandelt werden muss: Die Wunde der vergangenen Tage wird jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang offen bleiben. Wenn sie nicht sogar noch weiter aufgeht: So absurd Bürgerkriegswarnungen angesichts der relativ homogenen ägyptischen Bevölkerung vor kurzem noch erschienen, so klar ist heute, dass eine lange Periode der Gewalt droht."

Ungarn: "Nepszava"

Zu den Entwicklungen in Ägypten schreibt die linke Budapester Tageszeitung "Nepszava" am Samstag:

"Nach dem letzten Israel-Gaza-Konflikt schien es, als ob sich (Ägyptens Präsident Mohammed) Mursi nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt im Wettstreit der regionalen Mächte den ersten Platz gesichert hätte. Als Vermittler (...) waren er und Ägypten plötzlich effizienter als Recep Tayyip Erdogan und die Türkei. Doch im Bewusstsein dieses Sieges schoss sich Mursi ein Eigentor. Mit dem Rückgriff auf diktatorische Methoden droht er die politische und materielle Hilfe Amerikas und Westeuropas zu verlieren, ohne die das 83-Millionen-Einwohner-Land nicht aus seinen Sorgen und aus der Armut herauskommen kann."

Schweiz: "Neue Zürcher Zeitung"

Zum Konflikt um die neue ägyptische Verfassung schreibt die "Neue Zürcher Zeitung" am Samstag:

"Präsident Mursi und die das Land politisch dominierenden Muslimbrüder sind von einer Mehrheit des ägyptischen Volkes gewählt. ... Mursi kennt sein Land, weiss, dass der Tahrir-Platz in Kairo nicht Ägypten ist. Das macht ihn in dieser imminent wichtigen Auseinandersetzung so stark. Und damit durchaus zum Risiko für die Demokratisierung und Modernisierung am Nil."

DEurschland: "Stuttgarter Zeitung"

Die "Stuttgarter Zeitung" bemerkt zu den Unruhen in Ägypten: "Das säkulare Ägypten bäumt sich auf. Das islamistische Ägypten macht mobil. Die ganze Nation spielt mit dem Feuer. Der Präsident weigert sich, an seinen Sondervollmachten zu rütteln. Auch beim Datum für das Referendum bleibt er eisern. Damit aber ist das neue Grundgesetz Ägyptens bereits vor seiner Geburtsstunde mit dem Makel von Gesetzlosigkeit und Anarchie behaftet. Was zum krönenden Manifest der Selbstbefreiung des Volkes werden sollte, ist nun beschmiert mit mörderischer Gewalt und politischer Erpressung."

DPA
ivi/AFP/DPA

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