Die Bundesregierung bewertet die Lage in Nordafghanistan inzwischen als Bürgerkrieg. Nach sorgfältiger Prüfung qualifiziere die Bundesregierung die Situation als "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts", sagte Außenminister Guido Westerwelle am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Bundestag. "Ob uns das politisch gefällt oder nicht: So ist die Lage." Das Wort Bürgerkrieg nahm Westerwelle zwar nicht in den Mund. Völkerrechtler sprechen heute aber nicht mehr von Krieg oder Bürgerkrieg, sondern von bewaffneten Konflikten zwischen Staaten beziehungsweise einem Staat und Aufständischen.
"Die Intensität der mit Waffengewalt ausgetragenen Auseinandersetzung mit Aufständischen und deren militärische Organisation führen uns zur Bewertung, die Einsatzsituation von Isaf auch im Norden Afghanistans als bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts zu qualifizieren", sagte Westerwelle. Diese Lage klar beim Namen zu nennen, sei die Politik all denen schuldig, die sich in Afghanistan den damit verbundenen Gefahren aussetzten.
Die Klarstellung verbessert die rechtliche Lage der deutschen Soldaten im Norden Afghanistans. Anders als die Truppen zahlreicher anderer Staaten am Hindukusch sind sie in ihrem Vorgehen bisher dem zivilen Strafrecht unterworfen, das auf die Situation eines Bürgerkriegs aber nur begrenzt angewendet werden kann.
Mit Feststellung eines bewaffneten Konflikts gilt das Kriegsvölkerrecht, das die Anwendung militärischer Gewalt gestattet. Bei militärischen Angriffen dürfen laut Kriegsrecht als Nebenfolge auch Zivilisten umkommen, ihre Tötung darf aber nicht unverhältnismäßig sein. Dem deutschen Oberst Georg Klein dürfte die Anwendung des Kriegsrechts bei der juristischen Bewertung seines Falls zugutekommen. Er hatte im September einen Luftangriff nahe Kundus angeordnet, bei dem auch Zivilisten ums Leben kamen. Die Bundesanwaltschaft prüft die Einleitung von Ermittlungen, außerdem befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit dem Fall.