Marina Owssjannikowa Protestaktion im Staatsfernsehen: Russische Journalistin meldet sich nach Urteil zu Wort

Protestaktion im Staatsfernsehen: Russische Journalistin meldet sich nach Urteil zu Wort
Marina Ovsyannikova spricht nach einer Anhörung vor dem Moskauer Bezirksgericht Ostankino mit Journalisten
© Mikhail Japaridze / TASS / Picture Alliance / DPA
Sehen Sie im Video: Protestaktion im Staatsfernsehen – russische Journalistin meldet sich nach Urteil zu Wort.




Marina Owssjannikowa, jene Mitarbeiterin des russischen Fernsehsenders Channel One, die im live Fernsehen gegen den Krieg in der Ukraine protestiert hatte, wurde zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel verurteilt, umgerechnet etwa 260 Euro. "Ich möchte mich bei allen für ihre Unterstützung bedanken, bei meinen Freunden und Kollegen. Ich hatte zwei unruhige Tage, die ich schlaflos verbracht habe. Das Verhör dauerte mehr als 14 Stunden. Ich durfte meine Verwandten nicht kontaktieren und bekam keine juristische Hilfe und befand mich in einer sehr schwierigen Situation. Morgen wird es mehr Kommentare geben, aber heute muss ich mich erst ausruhen." Owssjannikowa hatte am Montagabend während einer Nachrichtensendung ein Schild mit der Aufschrift "No War" hochgehalten und davor gewarnt, die russische Propaganda zu glauben. Das russische Staatsfernsehen stellt die Invasion als eine "spezielle Militäroperation" dar und verschweigt dabei die humanitäre Krise, die Zerstörung der Städte und die steigende Zahl der Todesopfer in der Ukraine. Ob Owssjannikowa noch weitere, schwerwiegendere Strafen drohen, wurde zunächst nicht bekannt.
Die Journalistin Marina Owssjannikowa äußert sich nach Gerichtsurteil: Die Mitarbeiterin eines russischen Fernsehsenders hatte während einer Nachrichtensendung gegen den Ukraine-Krieg protestiert. Ob ihr weitere Strafen drohen, blieb zunächst unklar.

"Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg." – Mit diesen Sätzen auf einem Plakat hat Marina Owssjannikowa im Moskauer Staatsfernsehen für einen Eklat gesorgt. In der russischen Tagesschau – den Abendnachrichten "Wremja" des Ersten Kanals – hielt sie das Transparent in die Kamera, lief hin und her, während Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa über Sanktionen des Westens sprach. "Nein zum Krieg!" rief Owssjannikowa, bevor die Sendung unterbrochen und ein anderer Beitrag eingeblendet wurde.

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Der Vorgang gilt in dem fast militärisch streng geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens mit kremltreuen und sehr gut bezahlten Propagandisten als beispielloser Vorgang. Von der 44-Jährigen, die in den sozialen Netzwerken am Dienstag international als mutige Heldin gefeiert wurde, fehlte stundenlang am Dienstag jede Spur. Am Nachmittag dann veröffentlichte der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow in seinem Telegram-Kanal ein Foto von Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude.

Geldstrafe für Marina Owssjannikowa

Wenig später erging das Urteil: 30.000 Rubel (226 Euro) Ordnungsstrafe, weil sie in einem Video zu Protesten gegen den Krieg von Kremlchef Wladimir Putin in der Ukraine aufgerufen hatte. Zunächst war befürchtet worden, die Mutter von Kindern im Altern von 17 und 11 Jahren könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russische Armee verurteilt werden. Wer das Ansehen von Putins Streitkräften durch vermeintliche oder reale Falschmeldungen beschmutzt, dem drohen neuerdings in Russland bis zu 15 Jahre Gefängnis. Auch die EU hatte sich nach dem zeitweiligen Verschwinden Owssjannikowas besorgt gezeigt. "Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen", sagte ein Sprecher des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell. Der Protest sei das jüngste Beispiel einer mutigen Haltung, welche die Lügen und Propaganda des Kreml widerlege. Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Vorfall als "Rowdytum", die Senderleitung müsse sich darum kümmern. Nicht einmal Staatsmedien kamen umhin, wegen der großen Öffentlichkeit darüber zu berichten.

"Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen"

Im Netz verbreitete sich zudem ein vor dem TV-Auftritt aufgenommenes Video, in dem die Frau sagt, sie schäme sich dafür, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. "Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen." Verantwortlich für die Aggression sei nur Russlands Präsident Putin. Sie rief ihre Landsleute dazu auf, gegen den Krieg zu protestieren. "Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden." Die Behörden könnten nicht alle einsperren. Owssjannikowa, die in dem Video eine Kette mit den Farben der Flaggen Russlands und der Ukraine trägt, erzählt auch, dass sie Tochter eines Ukrainers und einer Russin sei – "und sie waren nie Feinde". "Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können."

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Welle der Anerkennung für Journalistin

Nach ihrem Protest wurde ihr weltweit eine Welle der Anerkennung zuteil. Der Mitschnitt der Szene, in der sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht, wurde am Dienstag vielfach unter anderem bei Twitter und bei Telegram geteilt. "Was Mut wirklich bedeutet", schrieb etwa Pianist Igor Levit dazu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr. Er lobte Russen, "die versuchen, die Wahrheit zu sagen". Und auch das Lager des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny bedankte sich bei ihr, nachdem sie in dem Video kritisierte, dass der Kremlgegner vergiftet worden sei. Bis heute leugnen Kreml und Russlands Staatsfernsehen, dass Nawalny 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte. Nawalny, der im Straflager sitzt und dem in einem neuen umstrittenen Prozess viele Jahre Haft drohen, hatte Putin persönlich für das Attentat mit dem verbotenen chemischen Kampfstoff verantwortlich gemacht.

Team um Nawalny bietet Unterstützung

Nawalnys Team kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen. Mann wolle die Strafe zahlen, die gegen sie verhängt werden könnten, schrieb Maria Pewtschich von Nawalnys Team am Dienstag bei Twitter. Russische Journalisten dürfen nicht von Krieg sprechen, sondern nur von einer "militärischen Spezial-Operation". Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bot der Journalistin Hilfe an. "Wir werden selbstverständlich diplomatische Schritte einleiten, um Ihrer Kollegin Schutz zu gewähren, entweder in der Botschaft oder im Asyl", sagte Macron am Dienstag auf die Frage eines französischen Journalisten. Er werde diese Lösung sehr direkt und konkret in seinem nächsten Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin vorschlagen.

DPA · Reuters
mth