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Schicksal Dieser Junge rührt die Welt

Sein Bild wird in Erinnerung bleiben wie das des Mädchens nach dem Napalm-Angriff in Vietnam. Ali Ismail Abbas verlor im Bombenhagel von Bagdad beide Arme. Vater, Mutter und Bruder starben beim Angriff der Amerikaner.

Ein kleiner Junge liegt in einem Bagdader Krankenhaus, in seinen dunklen Augen stehen Tränen, seine Lippen hat er zusammengepresst. Der schmale Oberkörper ist von Verbrennungen entstellt. Wo seine Arme waren, ragen nur noch Stümpfe hervor.

Vor drei Wochen war Ali Ismail Abbas ein Junge wie viele andere im Irak. Mit den Eltern und sieben Geschwistern wohnte er in einem ärmlichen Vorort von Bagdad. Sein Vater Ismail war Taxifahrer. Die Mutter kümmerte sich um die Kinder. Hätte ein Journalist ihn damals gefragt, was er einmal werden wolle, Ali hätte gesagt: "Ich will zur Armee und Offizier werden." Doch niemand fragte den Zwölfjährigen. Die Welt wusste nichts von dem Jungen, dessen Gesicht das Gesicht des Krieges werden sollte.

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Handicap International mobilisiert derzeit Spezialisten in Orthopädie-Technik und Physiotherapie für die Hilfe Kriegsverletzter im Irak. Gemeinsam mit Unicef organisieren sie eine Aufklärungskampagne zu den Gefahren, die sich für die Bevölkerung aufgrund verstreuter Munitionsreste ergeben.

Als die Rakete um ein Uhr morgens einschlägt, liegt Ali in seinem Bett und schläft. Die schwangere Mutter, der Vater und Alis Bruder sind sofort tot. Die sechs Schwestern werden schwer verletzt. Nachbarn ziehen den bewusstlosen Jungen aus den Trümmern. Es ist Samstag, der 29. März, Tag neun des Krieges. Zwei Tage nach dem Raketenangriff besucht Jon Lee Anderson, ein Reporter des US-Magazins "New Yorker", das Al-Kindi-Krankenhaus. Eine Assistentin zeigt ihm Bilder der jüngsten Opfer. Auf einem ist Ali zu sehen.

Der Junge liegt nackt im Operationssaal. An seinem Penis hängt ein Katheter. Die Beine sind glatt, aber sein gesamter Oberkörper ist schwarz. Das Fleisch beider Arme ist verkohlt, eine Hand zu einer Klaue zusammengeschmolzen. Aus einem Arm ragen nur noch zwei Knochen hervor. "Es sah aus wie etwas, das man in einer Grillstelle findet", schreibt Anderson. Als der Reporter an Alis Bett steht, weiß der Junge noch nicht, dass Eltern und Bruder tot sind. Seine Verbrennungen sind so tief, dass viele Nerven nicht mehr funktionieren. Deshalb fühlt er kaum Schmerz.

Ein Arzt übersetzt.

Ali geht in die sechste Klasse. "Mein Lieblingsfach ist Erdkunde", sagt er. Er spielt gern Fussball und Volleyball. Dieses Mal fragt ihn der Reporter nach seinem Berufswunsch. "Offizier", sagt Ali. Dann stockt der Arzt. Erst auf Nachfrage übersetzt er, was Ali danach erzählt hat: "George Bush ist ein Verbrecher, und er kämpft um das Öl." Alis Tante steht stumm dabei und streicht dem Jungen übers Haar. Dem Arzt stehen Tränen in den Augen. Er glaubt nicht, dass Ali die nächsten drei Wochen übersteht.

In den folgenden Tagen besuchen immer mehr Reporter und Fotografen das Krankenhaus. Einer macht das Bild des kleinen Ali, das nun um die Welt geht. Wie kein anderes bringt es die Schrecken dieses Krieges in die Wohnzimmer der Menschen. Am stärksten sind die Reaktionen in Großbritannien. Unter Überschriften wie "Wir beten mit dem tragischen kleinen Ali für ein Wunder" berichtet die Zeitung "Daily Mirror" fast täglich über den Jungen. Eine indische Fürstin schreibt, sie wolle die Kosten seiner Behandlung übernehmen. Auch Heather Mills-McCartney, die Frau von Beatle Paul McCartney, die selbst ein Bein bei einem Autounfall verloren hat, engagiert sich für Ali. Gleichzeitig hat die britische "Limbless Association" mit Unterstützung der konservativen Abgeordneten Caroline Spelman einen Ali-Fund eingerichtet. Der Junge soll ins Londoner Queen Mary's Hospital geflogen und dort behandelt werden.

Das Mitleid ist auch in Italien groß.

"Lasst uns Ali adoptieren, weil er allein ist", schreibt "Il Giornale". Wenn es nach dem Blatt geht, wird der Junge nicht in London, sondern in Mailand behandelt. Der arabische Fernsehsender al Jazeera zeigt immer wieder das Bild des kleinen Jungen mit den Armstummeln. Im Nahen Osten ist das Foto zum Symbol der Ungerechtigkeit dieses Krieges geworden. Das ist nicht überall so. Unlängst gab die britische Baronin Emma Nicholson in der Londer "Times" Saddam Hussein die Schuld am Schicksal des Zwölfjährigen. "Ali und die anderen toten und verwundeten Zivilisten sind der Preis, der gezahlt werden muss", schreibt Nicholson, die Abgeordnete im Europäischen Parlament ist. "Das ist der Krieg wert."

Und der ist noch nicht zu Ende. Am Mittwoch vergangener Woche dringen Plünderer in das Al-Kindi-Krankenhaus ein. In ihrer Raffgier ziehen sie sogar den Patienten die Matratzen unter den Körpern weg. Ali und die anderen Verletzten werden mit Doppeldeckerbussen ins "Saddam Hospital" im nordöstlichen Stadtteil Saddam City gebracht, eines der wenigen, die in Bagdad noch funktionieren. Den Transport übersteht Ali trotz seiner Verletzungen. Kurz darauf besucht ihn wieder ein Reporter am Krankenbett. Was Ali denn später werden will, will auch dieser Journalist wissen. "Arzt", sagt Ali dieses Mal - und fügt hinzu: "Aber wie soll das gehen, ohne Arme?"

Steffen Gassel print

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