Der Held ist müde geworden. Paul Adams hat Mühe, tief und ruhig zu atmen. Jedes Husten schmerzt, beide Lungenflügel sind schwer geschädigt. Es war im Juli. Der Sanitäter saß in seinem Krankenwagen und wartete auf den nächsten Notruf, als er plötzlich keine Luft mehr bekam. Paul musste unwillkürlich an den 11. September denken. An diese unendlich langen sieben Minuten vor zwei Jahren, als er wenige hundert Meter vom World Trade Center entfernt nur noch Staub und Schutt in Mund und Nase spürte. Als er einfach aufhören musste zu atmen, 30 Sekunden lang, 40 Sekunden lang, weil es war, als stecke sein Kopf in einem Staubsaugerbeutel. Mein Gott, ging es ihm damals durch den Kopf, lass es doch einfach nur vorbei sein, bitte.
Auch beim Zusammensturz des zweiten Turms war er mitten in dieser chemisch stinkenden Wolke. Aber sie haben ihn immer beruhigt, dass alles gut sei mit seiner Lunge. Geröntgt wurde er damals, Blutgase wurden analysiert. Als er jetzt im Juli nicht mehr atmen konnte, als ihm sein Arzt bescheinigte, dass die Schäden auf seiner Lunge gut anderthalb Jahre gebraucht haben, um so schlimm zu werden - da hat ihn sein Arbeitgeber, die Feuerwehr von New York, im Stich gelassen. Der 36-Jährige war voller Panik, als er dort seine Kernspintomografie vorzeigte - sein Job hing schließlich daran, sein Lebensinhalt. Und was sagt ihm dieser Feuerwehrarzt? Nein, das könne keine berufsbedingte Krankheit sein.
"Ich fühlte mich wie ein Verbrecher"
Es hat Paul Adams die Sprache verschlagen: "Ich fühlte mich wie ein Verbrecher, der seine Unschuld beweisen musste! Vier Ärzte musste ich aufsuchen, die mir den Zusammenhang mit Ground Zero bestätigten. Vier Ärzte! Mein Gott, bin ich sauer!" Erst als seine Gewerkschaft drohte, den Helden des 11. September mit seinen kaputten Lungen ins Fernsehen zu bringen, gaben sie nach: Paul ist beurlaubt, berufsbedingt.
Paul Adams ist seit 15 Jahren Sanitäter, ein Retter aus Leidenschaft. Er konnte seine Vorgesetzten in den Wahnsinn treiben, weil er immer mehr tun wollte, als er sollte. Am Morgen des 11. September sollte Paul im New Yorker Stadtteil Queens warten, nachdem das erste Flugzeug das World Trade Center getroffen hatte. "Ich dachte, die spinnen! Das war eine Katastrophe, die brauchten dort jeden Mann!" Paul Adams drehte einfach den Funk ab, und als er aus dem Midtown Tunnel Richtung Manhattan fuhr, schlug das zweite Flugzeug in den Südturm ein. Ihr Krankenwagen hielt vor dem Friedhof nahe Vesey Street, und er kann es bis heute nicht fassen: In all dem Chaos fragte ihn eine Vorgesetzte, ob er die vorgeschriebenen Identifizierungskarten dabeihabe. Grün für Leichtverletzte, Rot für Schwerverletzte und Schwarz für hoffnungslose Fälle. Paul fuhr einfach weiter: "Tausende starben gerade, und die wollte den Überlebenden grüne Schildchen umhängen."
Paul brüllte in die wartende Menschenmenge vor den Türmen, sie sollten sofort Richtung Norden laufen. Er hatte die ganze Zeit nur einen Gedanken - die Türme werden einstürzen. Er hat keine Erklärung dafür, weshalb dieser Gedanke keinem Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt gekommen ist: "Die Türme waren doch in ihrer Struktur getroffen. Man hätte nur eine einzige Durchsage machen sollen, immer wieder: Raus da, raus da, raus da!" Er sagt, zu viele wollten an diesem Tag nach einstudierten Regeln vorgehen: "Aber das war kein Nach-den-Regeln-Tag. Das Abwarten hat eine Menge Leben gekostet."
Paul Adams wartete nicht. Kaum war er vor dem Trade Center angekommen, wankte ihm eine schwerstverbrannte Frau entgegen, Elaine Duch. Zwei Drittel ihres Körpers waren versengt, ihre Kleider mit der Haut verschmolzen. 88 Treppen war sie hinuntergestolpert, danach brach sie zusammen. Paul stand daneben, als ein Priester ihr den letzten Segen gab. Aber Elaine überlebte. Sie ist inzwischen eine gute Freundin von Paul. Er besuchte sie regelmäßig im Krankenhaus, hielt ihre Hand, als sie im Koma die großen Schmerzen zwischen den sieben Hauttransplantationen durchlebte. Als Elaine im Juli 2002 nach zehn Monaten aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wollte sie Paul dabeihaben. Da war er schon ein Held, mehrfach ausgezeichnet und Teil eines Kartenspiels über den 11. September.
Verdampft zwischen 1,5 Milliarden Kilogramm Trümmern
Paul trägt seine Dienstmarke mit Stolz. An der Kette hängt eine Hundemarke mit dem Namen Carlos Lillo. Sein Kollege starb im World Trade Center. "Ich muss tun, was ich tun muss", waren seine letzten Worte an Paul, als er aus dem Krankenwagen sprang und zum Nordturm hechtete. Dort arbeitete seine Frau Cecilia. Er wollte sie retten und kam nie wieder. Cecilia überlebte. Was ihr von Carlos blieb, waren ein Gürtel und vier winzige Teile seines Körpers.
Paul ist froh, dass es eine Beerdigung von etwas gab, das einmal Carlos war, wenigstens etwas. Denn von über 1260 Toten wurde bis heute nichts gefunden. Ihre Körper sind verdampft zwischen den 1,5 Milliarden Kilogramm Trümmern der Türme, oder ihre sterblichen Überreste sind zu winzig, zu verkohlt, zu zerstört, um einem der Opfer zugeordnet zu werden. Gezählt hat man sie: 12 419 Körperteilchen sollen in der Gedenkstätte an Ground Zero zur Ruhe kommen, bis es neue Methoden der DNA-Analyse gibt.
Paul mag die Pläne für Ground Zero. "Sie sollen endlich anfangen zu bauen, um den Toten die Ehre zu geben", sagt er. Seit dem 11. September hat er Angst vor Donner und Sturm. Die Geräusche erinnern ihn an den Zusammenbruch der Türme. Erinnern ihn daran, wie er einen Block entfernt vom Südturm gerade eine Frau mit einem Herzinfarkt behandelte. Wie alle plötzlich aufschauten und die schwerkranke Frau in Panik aufsprang und an Paul vorbeilief. Er selbst stolperte über einen Feuerwehrschlauch, fiel auf seine Knie, und Leute rannten über seine Hände und trampelten auf seinen Rücken. Paul schaffte es nur bis zu einem Parkhaus. Als die Wolke kam, schützte er sich und einen FBI-Agenten mit seinem Helm gegen die fliegenden Trümmer. Ein Tisch traf ihn an der Schulter, dem FBI-Mann blieb ein Metallstück im Rücken stecken.
Paul machte weiter an diesem Tag, auch wenn ihm der Atem ausblieb. Er fuhr Krankenwagen zum St. Vincent's Hospital, suchte nach Kollegen in der Trümmerwüste, bis man ihn zwang, selbst ins Krankenhaus zu gehen. Dort wurden ihm die Augen ausgespült, und seine Lunge wurde geröntgt. Sie sagten ihm, alles sei okay.
Gestank von Tod und Chemie
Anderthalb Wochen später sollte Paul in der Leichenhalle am Ground Zero arbeiten. Das hielt er nicht aus, diesen Gestank von Tod und Chemie. Aber als dann zwei Monate später der American-Airlines-Flug 587 über Queens abstürzte, war er wieder da und sortierte Tote, 260 Körper und 306 Leichenteile. Das sei schlimmer gewesen als am 11. September, sagt Paul. Seit dem Flug 587 kann Paul nicht mehr fliegen - obwohl er selbst einen Pilotenschein für kleine Maschinen hat.
Paul wollte weiter arbeiten, wollte wieder auf die Straße, nachdem er ein paar Monate in der Verwaltung eingesetzt war. Aber dann versagten seine Lungen. Am Tag des großen Stromausfalls im August dieses Jahres meldete er sich trotz Krankschreibung auf der nächsten Feuerwache und übernahm dort elf Stunden lang die Versorgung seiner Kollegen. Er sammelte in allen Restaurants der Gegend das Essen aus nicht funktionierenden Kühlschränken und baute ein riesiges Buffet auf.
Aber jetzt hat er genug. Er kann seinen Vorgesetzten nicht verzeihen, dass er ihnen beweisen musste, wie kaputt seine Lungen sind. Paul warnt alle Kollegen, sich nicht mit den Beteuerungen der Verwaltung zufrieden zu geben. Seine Röntgenbilder waren mehr als anderthalb Jahre lang in Ordnung - bis ihm plötzlich die Luft wegblieb.
Leiser Unmut unter den Helden
Es regt sich leiser Unmut unter den Helden. Nur 48 Familien verstorbener Feuerwehrmänner und Polizisten haben bisher einen Antrag auf Entschädigung beim staatseigenen Ausgleichsfonds gestellt. 48 von 406. Auch die Angehörigen der 3016 Toten halten sich zurück. Erst für 1240 Opfer haben sie die Formulare ausgefüllt, das sind 41 Prozent. Die Antragsfrist läuft am 22. Dezember ab. Bisher wurden im Durchschnitt 1,6 Millionen Dollar pro Fall ausgezahlt. Aber wer das Geld nimmt, gibt sein Recht auf, vor Gericht zu ziehen. 69 Klagen sind zurzeit anhängig, wegen fehlender Evakuierungspläne, fahrlässiger Sicherheitskontrollen bei den Fluglinien und Konstruktionsfehlern der Türme.
Paul Adams will nicht klagen. Er will seine Frühpensionierung durchbringen und dann nach Las Vegas ziehen. Er mag die Stadt, weil sie so anders ist als New York. Vielleicht kehrt er aber auch nach Glasgow zurück, in seine Heimatstadt, die er mit 15 Jahren zusammen mit seiner Mutter nach dem Tod des Vaters verlassen hat. Am Jahrestag des 11. September wird er an die Stelle gehen, an der Carlos starb. Und wenn er wegzieht, nach Las Vegas oder wohin auch immer, wird sein orangefarbener Helm zurückbleiben in New York. Er hängt in der Kneipe McSorley's, 7. Straße, zwischen 2. und 3. Avenue in Manhattan neben Erinnerungsstücken von Soldaten, die nie aus dem Krieg zurückgekommen sind. Über allem liegt eine dicke Schicht Staub: "Auch schon auf meinem Helm, ist das nicht erstaunlich?"