Schuldenkrise Warum wir Griechen nicht noch mehr sparen können

  • von Natalia Sakkatou
Eine Griechin beschreibt, warum die normalen Bürger ihres Landes nicht weiter zurückstecken können - und bei welchen Griechen noch jede Menge zu holen wäre.

Ein neuer europäischer Rettungsschirm soll Griechenland vor dem Bankrott retten. Es ist verständlich, dass auch Deutschland fordert, die Griechen müssten alle Sparanstrengungen unternehmen, die sie versprochen haben. Ebenso ist es verständlich, dass viele Europäer skeptisch sind, wenn sie aus Athen hören, dass die Verschuldung nicht wie gefordert gesenkt wird. Doch stimmt das Bild der faulen Griechen, die sich gegen jede Sparmaßnahme zur Wehr setzen und sie rundum ablehnen? Von der Mehrheit der Bevölkerung kann man das objektiv nicht behaupten. Was bisher im Land eingespart wurde, ist aus der Reduzierung von Löhnen und Gehältern und Renten gekommen. Der Anteil aus anderen Quellen ist verschwindend gering. Wogegen sich das griechische Volk sträubt, ist die ungleiche Verteilung der Lasten. Es wehrt sich gegen Korruption, Betrug und So-tun-als-ob. Die Tatsache, dass Schulden da sind und sie in gemeinsamer Anstrengung über viele Jahre hinweg beglichen werden müssen, ist auch der Bevölkerung klar, auch die Tatsache, dass die letzten Jahre schwierig genug waren und die Aussichten auf die nächsten Jahre düster sind, ist längst akzeptiert. Dass jeder weniger hat, hat das so sogenannte einfache Volk längst gefressen. Nur, einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen. Wenn eine Rente von 520 Euro in Griechenland noch um 20 Prozent gekürzt wird, wobei die Lebenshaltungskosten genau so hoch sind wie in Deutschland, dann ist da ein Problem. Renten, Löhne und Gehälter waren in Griechenland seit jeher niedriger als im europäischen Durchschnitt, schon vor den Sparmaßnahmen, jetzt braucht man den Vergleich gar nicht mehr anzustrengen. Da gibt es nichts zu vergleichen.

Die Renten werden nicht ausgezahlt

Die Masse leidet. Und nicht nur, dass sie das alles aushalten müssen, sie werden auch noch über einen Kamm geschert mit Lügnern und Betrügern und pauschal als faul deklariert. Wie oft ich bei genauem Nachfragen gehört habe: "Ich brauche mich nicht zu schämen. Ich habe nie jemanden betrogen, ich habe nie jemanden bestohlen. Ich muss mich nicht verstecken." Und da sieht man Alte, die in ihrem Leben nicht nur einmal gegen politische Unrechtsregime und für soziale Gerechtigkeit gekämpft haben, gerade in Griechenland, und wieder sind sie gezwungen, auf die Strasse zu gehen, für Demokratie und ganz schlicht für´s Überleben. Gerade hat der größte griechische Rentenversicherungsträger IKA bekannt gegeben, dass die Kassen leer sind, und die Renten nicht ausgezahlt werden können. Ist das gerecht? Die "Empörten", die sich auf den Plätzen der griechischen Städte gesammelt haben, fordern genau das, soziale Gerechtigkeit und in Bezug auf die Schulden, vor allem Transparenz. Sie wollen eine Analyse der Schulden vorgelegt bekommen und sehen, woher sie kommen. Diese Forderung ist nun bald zwei Jahre alt. Sie wird von der griechischen Regierung permanent ignoriert.

"Musste ein Großreeder Steuern zahlen?"

Die in Deutschland gern pauschal kritisierte Bewegung, die sich "ich zahle nicht, ich zahle nicht" (den plirono, den plirono) nennt, fordert, dass das griechische Volk nur für seine eigenen Schulden gerade stehen muss. Die Schulden, die aus der Misswirtschaft entstanden sind, an der sich korrupte Politiker bereichert haben, sollen auch von diesen beglichen werden. Reichtum, den sie während ihrer Amtszeit angehäuft haben, sollte gegebenenfalls enteignet werden. Geld, das am Fiskus vorbei auf ausländische Konten abgeflossen ist, soll ausfindig gemacht werden. Großverdiener, die in Griechenland profitable Geschäfte machen, sollen den Gewinn auch im Lande versteuern.

Die Korruptionsskandale sind bekannt, die Namen derer, die daraus eigenen Profit gemacht haben, ebenfalls. Den beiden großen Parteien Pasok und Nea Demokratia steht diesbezüglich das Wasser bis zum Hals. Es gibt keine Geheimnisse mehr in Griechenland. Wer wie viel hat, wann er es bekommen hat und wo die Besitztümer stehen, alles ist bekannt. Hat man von Gerichtsverfahren gegen griechische Politiker gehört? Ist irgendeiner verurteilt worden? Musste irgendein Großreeder Steuern nach zahlen? Nein.

Natalia Sakkatou

Natalia Sakkatou wurde 1962 als Tochter griechischer Eltern in Leverkusen geboren, Studium der Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Philosophie an der Universität zu Köln. Danach freiberuflich im Bereich Promotion, Distribution und Konzertmanagement.

Sie lebte mehrere Jahre in London und mit einigen Unterbrechungen insgesamt mehr als 13 Jahre in Griechenland. Im Juli 2011 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie als freie Journalisten und Übersetzerin arbeitet.

Natalia Sakkatou ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder.

55 Milliarden Euro sind im Sumpf versickert

Exemplarisch steht der ehemalige Verteidigungsminister aus der vorigen Pasok- Legislaturperiode, Akis Tsochatsopoulos, vor Gericht und soll sich für den Deal mit deutschen U-Booten im Jahr 2002 verantworten. Bei den geschäftlichen Transaktionen sind 55 Milliarden Euro "versickert". Klar, Tsochatsopoulos hat durchaus keine weiße Weste und auch keine sauberen Hände, stattdessen aber Immobilien von sehr hohem Wert. Eine seiner Villen steht auf dem Athener Prachtboulevard zu Fuße der Akropolis und des Herodus Attikus Theaters, European Primeside und wird zurzeit auf 6,5 Millionen Euro geschätzt.

Vor seiner Villa - und auch von den prachtvollen Häusern einiger anderer Politiker - sammelt sich seit einiger Zeit, in einem regelmäßigen Rhythmus, ein Häufchen Leute und ruft, "Dieb, gib das Geld zurück!" Tsochatsopoulos steht jetzt vor Gericht, und es geht nicht mehr um die Frage, ob er schuldig ist, sondern nur noch darum wie sehr. Doch, wie dem auch sei, zu seiner Verteidigung sagte er, ´ich bin angeklagt, mich an dem Kauf der U-Boote bereichert zu haben, aber ich frage mich, wo die anderen elf sind, die den Vertrag ebenfalls unterschrieben haben?´ Da hat er nicht ganz unrecht.

"Wir wollen Ali Baba! Denn der hatte nur 40 Räuber"

Diese Tatsache humorvoll auf den Punkt bringend, hatten die Empörten im Sommer einen neuen Slogan kreiert, "Wir wollen Ali Baba! Denn der hatte nur 40 Räuber!" Die Forderung auf den Plätzen ist, dass alle Politiker, die irgendwie in Korruptionsskandale verwickelt waren oder sind, oder in einer Form gehandelt haben, die ihnen eigene Vorteile gebracht hat, ihre Posten räumen sollen, und zwar ausnahmslos.

Das ist auch der Grund, warum der Protest nicht aufhört, denn die Bevölkerung ist diesmal entschlossen, nicht klein bei zu geben. Sie hat sich zu oft Dinge beschönigen lassen und wohlwollend noch einmal geglaubt, dass der gute Wille zur Änderung da ist, wie auch bei der letzten Wahl 2009. Georgios Papandreou hatte wieder und wieder betont, dass Geld da sei und dass er den Karren aus dem Dreck ziehen werde. Er würde das Land nach vorne bringen und aus der Talsohle heraus, durch Investitionen, vor allem im Bereich erneuerbare Energien und durch die qualitative Aufwertung des Tourismus. Doch bisher ist nichts Wesentliches passiert. Diese Allgemeinplätze werden in ein paar Tagen bei der traditionellen Rede des Ministerpräsidenten zum Abschluss der Industriemesse in Thessaloniki erneut zu hören sein und verständlicherweise auf den Unmut der griechischen Bevölkerung stoßen.