SCHWEIZ Die Rache des Versagers

Er war ein vorbestrafter Querulant, der es nicht weit gebracht hatte. Ein Streit um eine Belanglosigkeit ließ Friedrich Leibacher zum Amokläufer werden. Sein Anschlag auf das Parlament in Zug war die schwerste Bluttat in der Geschichte der Schweiz. Aus stern Nr. 41/2001.

Für die Schweiz ist es die schwerste Bluttat ihrer Kriminalgeschichte: Ein 57-jähriger Mann stürmte am Donnerstag vergangener Woche schwerbewaffnet in das Parlament des Kantons Zug und schoss wahllos auf die versammelten Räte und Journalisten.

Als fünf Minuten später die Polizei eintrifft, lautet die traurige Bilanz: 14 Verletzte und 15 Tote, Täter eingeschlossen. Im Auto vor dem Gebäude finden die Beamten ein Bekennerschreiben, in dem der Täter Friedrich Leibacher sein Motiv darlegt: Eine Polit-Mafia habe sich gegen ihn verschworen, um einen Busfahrer der Zugerland-Verkehrsbetriebe (ZVB) »vom Vorwurf des Alkoholismus reinzuwaschen«.

Ausgangspunkt der wirren Verschwörungstheorie war 1998 ein Wirtshausstreit zwischen dem Täter und dem Busfahrer, in dessen Verlauf Friedrich Leibacher den Busfahrer mit einer Pistole bedrohte und anschließend dessen Autoantenne abknickte. Er weigerte sich später, Schadenersatz zu zahlen, bezichtigte den Busfahrer stattdessen des Alkoholismus. Seine Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, also nahm er den Weg durch die Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Leibacher war den Behörden nicht unbekannt: 1970 wurde er zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Grund: Vermögensdelikte, Unzucht mit Kindern, öffentliche unzüchtige Handlungen und Urkundenfälschung. »Er war schon immer ein Hitzkopf«, sagt ein Bekannter aus seiner Jugend über ihn. Deshalb musste er die Schule wechseln. Zwischen 1999 und 2000 bedrohte er mehrmals Mitarbeiter des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums.

Wohlbehütet aufgewachsen

Leibacher hatte eine Lehre als kaufmännischer Angestellter gemacht, später arbeitete er sporadisch als Kellner. Laut Arbeitsamt sei es »wegen verschiedener Kompetenz- und Qualifikationsmängel zu keiner längeren Anstellung« gekommen.

In den vergangenen 30 Jahren zog er in der Welt umher. Er wohnte kurze Zeit in Barcelona und München. Bei einer geplanten Weltumsegelung blieb er in der Dominikanischen Republik hängen und heiratete eine 16 Jahre jüngere Frau, mit der er eine Tochter hat. Die Ehe ging bald in die Brüche. Leibacher kehrte zurück in die Schweiz, wo er zeitweise bei seiner Mutter wohnte. Offenbar stammte er aus einer frommen Familie und wuchs wohlbehütet auf. Im vergangenen Monat meldete er sich erneut ins Ausland ab. Seine Tochter soll in einem Internat in Australien leben. Bekannten zufolge rebellierte sie gegen die strenge Erziehung ihres Vaters.

Der Amoklauf von Zug hat in der Schweiz eine Diskussion über die Sicherheit von öffentlichen Gebäuden und Politikern angeheizt. Niemand rechnete mit einem Attentat. Hochstehende Politiker fahren in der Schweiz ohne die Begleitung von

Bodyguards mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder gehen ungeschützt in Bern einkaufen. Das Berner Bundeshaus ist eines der wenigen Parlamente, an die direkt ein öffentlicher Parkplatz angrenzt. Sicherheitskontrollen im Bundeshaus und den regionalen Parlamenten waren bisher unbekannt. Die Schweizer sollten so unbefangen wie möglich mit ihren Volksvertretern umgehen. Das ist nun vorbei, gleich nach der Tat wurden Sicherheitsschleusen im Bundeshaus installiert.

Leibacher besaß einen Waffenschein

Unklar bleibt, woher Friedrich Leibacher Sturmgewehr, Pump-Gun, Pistole und Revolver hatte. Es wird vermutet, er habe das Sturmgewehr einem privaten Händler abgekauft. Bei jedem Schweizer, der Militärdienst geleistet hat, steht ein Sturmgewehr im Schrank, das verkauft werden darf, sofern ein Bolzen nur Einzelfeuer zulässt. Der Bolzen kann allerdings problemlos entfernt werden. Leibacher besaß einen Waffenschein. Selbst nachdem er den Busfahrer mit der Pistole bedroht hatte, wurde ihm die nicht abgenommen.

Tilman Woertz