In Hatyai ist schönes Wetter. Die Sonne scheint, ein paar vereinzelte Schönwetterwolken setzen weiße Farbtupfer am blauen Himmel. Eine leichte Brise macht die heißen Temperaturen etwas erträglicher. Wäre da nicht die Blockade des Flughafens des wirtschaftlichen Zentrums von Thailands Süden, niemand würde etwas merken von der tiefen politischen Krise, in der Thailand steckt, von dem Ausnahmezustand, den Premierminister Samak Sundaravej jetzt über das Königreich verhängt hat.
Auch in Bangkok geht das Leben am zweiten Tag des Ausnahmezustands seinen gewohnten Gang. Nur sind die Bürger in Thailands Hauptstadt etwas nervöser als ihre Landsleute in Hatyai. Niemand weiß, was als nächstes passiert. Lässt sich die Pattsituation zwischen der "Volksallianz für Demokratie" (PAD) und der Regierung mit friedlichen politischen Mitteln lösen? Oder steht das Land am Rande eines Gewaltausbruchs? Geht es nach der PAD, die seit acht Tagen den Regierungssitz in Bangkok besetzt hält und den Rücktritt der erst im vergangenen Dezember aus freien und einigermaßen fairen Wahlen hervorgegangenen Regierung fordert, dann wird es zu Gewalt kommen. "Die Führer der PAD haben deutlich klargemacht, dass sie auf eine Provokation durch die andere Seite hoffen", sagt Canan Atilgan, Repräsentantin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok.
Ist der Regierungschef nur eine Marionette
Die von einem Medienmogul, einem Ex-General, Gewerkschaftern und einem Anführer einer buddhistischen Sekte geführte PAD wirft Ministerpräsident Samak vor, eine Marionette des vor zwei Jahren im September 2006 durch einen Militärputsch gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra zu sein. Zudem ist die PAD überzeugt, Samak wolle durch eine Verfassungsänderung die Rückkehr des im August nach London geflüchteten Thaksin den Weg bereiten.
Die Verfassungsänderung ist jedoch längst vom Tisch. Samak hat das Thema auf Druck von Öffentlichkeit und Medien auf Eis gelegt. Das Problem der Regierung der "People Power Party PPP" als Nachfolgepartei von Thaksins inzwischen aufgelöster Machtmaschine Thai Rak Thai Partei (TRT), samt Regierungschef Samak wird aller Voraussicht nach durch das Verfassungsgericht gelöst. Die Wahlkommission hat jetzt einstimmig dem Verfassungsgericht empfohlen, die PPP wegen Wahlbetrugs aufzulösen.
"Es geht um die Frage, wer in Zukunft das politische System beherrscht"
Warum also wartet die PAD nicht in Ruhe den juristischen Prozess ab, an dessen Ende mit ziemlicher Sicherheit das Ende der PPP und damit der Regierung von Samak steht? "Es geht um die Frage, wer in Zukunft das politische System beherrscht", sagt Atilgan. "Die PAD ist der Sachwalter der traditionellen Elite aus Roylisten, Militär und Beamtenapparat. Deren Macht ist durch Thaksin als Repräsentant von Großkapital, der wirtschaftlichen Mittelschicht und der armen Bauern in Gefahr geraten. Dabei geht es nicht mehr nur um die Person Thaksin sondern um die 'Entthaksinierung' des Systems." Dieses Ziel will die PAD mit der Abschaffung der Demokratie erreichen. Siebzig Prozent der Parlamentsabgeordneten sollen künftig ernannt statt gewählt werden. Die Armen und die Bauern, mit anderen Worten die Machtbasis des 'Systems Thaksin' sind "zu dumm", um richtig zu wählen, so das Credo der PAD.
Es ist eine verkehrte Welt in diesem Herbst in Bangkok. Vor zwei Jahren erst hatte die PAD als Sachwalter der Demokratie mit monatelangen Massenprotesten den Weg zum Militärputsch gegen Thaksin bereitet. Thaksin, gegen den und dessen Gattin 13 Verfahren wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung laufen, war beileibe kein Demokrat. Dank der absoluten Mehrheit seiner TRT herrschte der Polizist aus Chiang Mai, der durch sein Telekommunikationsimperium zum Milliardär geworden war, autokratisch. Die Schaltstellen der Macht und der Verfassungsorgane hatte der thailändische Berlusconi mit seinen Vertrauten besetzt. Auf Kosten der bis zur ersten Wahl Thaksin im Jahr 2000 herrschenden traditionellen Elite.
Der Robin Hood Thailands
Es war Thaksins Image, es "denen in Bangkok zu zeigen" zusammen mit seiner Sozialpolitik, die ihn in den Augen vieler Thais bis heute als eine Art Robin Hood erscheinen lassen. "Nicht alles, wofür Thaksin stand, war falsch. Seine Amtszeit brachte ihm viel Popularität bei der ärmeren ländlichen Bevölkerung wegen seiner Sozialprogramme ein. Wirtschaftlich verfolgte er eine erfolgreiche Politik des freien Marktwachstums kombiniert mit der Ausdehnung des Wohlstands auf Thailands unterentwickelten Landwirtschaftssektor", so Atilgan. Die ärmere Landbevölkerung hatte plötzlich eine Stimme in Bangkok, auch wenn der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass Thaksins Sozialpolitik lediglich ein Vehikel zum Gewinn der Macht und zum Machterhalt war.
Die Restauration des Prä-Thaksin-Status-Quo durch den Putsch im September vor zwar Jahren ist rundum gescheitert. Erst versagte die von den Generälen eingesetzte Regierung kläglich. Dann wurde die PPP als Nachfolger der TRT stärkste Partei. Die "Thaksinierung" des Systems hatte sich als dauerhaft erwiesen. Die Koalitionsregierung von Samak ist aber alles andere als stark. Sie sieht sich einer genauen Kontrolle der (mehrheitlich von Thaksin-Gegnern besetzten) Verfassungsorgane gegenüber und steht unter dem Druck des Militärs und der Straße. Zudem ist das Land stärker als je zuvor politisch gespalten, was sich auch geographisch niederschlägt. Der Norden ist Thaksin-Land, der Süden und Bangkok sind die Hochburgen der Thaksin-Gegner.
Dabei erweist sich die Wahl zwischen PAD und PPP letztlich als eine zwischen Teufel und Beelzebub, glaubt man kritischen Intellektuellen und Akademikern. "Die beiden Seiten sind ihre gegenseitigen Spiegelbilder", sagt Giles Ji Ungpakorn, Chef der kleinen sozialistischen "Peoples Coalition Party" und Politologe. "Beide stehen fest im Lager der thailändischen kapitalistischen Elite. Beide sind nationalistisch und beide haben keine Scheu, Menschenrechte zu missachten." Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Thitinan Pongsudhirak von der Chulalongkorn Universität, sei die PAD um keinen Deut besser als Thaksin. "Jetzt missbrauchen seine ehemaligen Gegner ihre nicht aus Wahlen erhaltene Macht. Sie haben das ganze Land in Geiselhaft zur Durchsetzung ihrer Forderungen genommen und zeigen deutlich ihr Misstrauen und ihre Verachtung der Mehrheit der Wähler."
Die Regierung von Ministerpräsident Samak erweist sich auch nach Verhängung des Ausnahmezustands als zahnloser Tiger. Die Proteste in Hatyai und anderen Städten Thailands gehen weiter, der Regierungssitz ist weiter in der Hand der PAD. Das Militär, ohne dessen Hilfe Samak die Notstandsverordnungen nicht durchsetzen kann, hat sich dezidiert gegen den Einsatz von Gewalt und einen neuen Putsch ausgesprochen. Auch in den Thailands Medien, die bislang mehrheitlich der PAD wohlmeinend gegenüberstanden, ist die Stimmung in Richtung Anti-PAD gekippt. Gleichzeitig aber hat es sich Samak durch die Verhängung des Ausnahmezustands mit dem bisher eher neutralen, kleinen Pro-Demokratie-Camp verscherzt.
Am Ende bleibt alles beim alten
Ein Ende des Machtpokers in Thailand ist nicht Sicht. Ein Sturz der Regierung Samak, ob durch Druck der PAD oder nach der Auflösung der PPP durch das Verfassungsgericht, wird die PAD ihren eigentlichen Zielen nicht näherbringen. "Die PAD weiß, dass am Ende die Mehrheit der Wähler höchstwahrscheinlich wieder für eine Partei stimmen wird, die auf der erfolgreichen Wahlplattform von Thai Rak Thai und der PPP steht", sagt Thitinan. Atilgan sieht als einzigen Ausweg aus der Krise die Übernahme der "erfolgreichen politischen Ansätze des Ex-Premiers" durch die Thaksin-Gegner. "Ob die sich dazu überwinden können, bleibt abzuwarten. Eines aber ist gewiss: Sollte es der traditionellen Elite nur um den Erhalt ihrer Macht und die Vertretung der eigenen Interessen gehen, wird das Land sowohl wirtschaftlich als politisch darunter leiden."