Der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 war ein tiefer Einschnitt im Leben von Millionen Menschen. Drei Ukrainer erzählen der Nachrichtenagentur AFP, wie sie den Beginn der Kämpfe erlebt haben und was sich für sie verändert hat:
Vom Gouverneur zum Soldaten: Von Explosionen geweckt
In der Nacht des russischen Einmarsches hat Serhij Ossatschuk, damals Gouverneur der Region Tscherniwzi im Westen der Ukraine, kaum geschlafen. Am Vortag hatte er einen Bericht erhalten, wonach eine Invasion unmittelbar bevorstand. "Ich bin durch die Explosionen aufgewacht und von Nachrichten auf meinem Telefon, dass die massive Invasion der Ukraine begonnen hat", erzählt er.
Ein halbes Jahr später hat der 50-jährige seinen Anzug in den Schrank gehängt und dafür seine Soldatenuniform angezogen. Als Oberstleutnant bei den Grenztruppen ist er im Kriegsgebiet im Osten der Ukraine eingesetzt. "Im Moment bin ich hier glücklicher, als wenn ich als Gouverneur geblieben wäre. Es ist eine große Verantwortung."
"In den ersten sechs Monaten des Jahres habe ich die Mobilmachung in Tscherniwzi organisiert", berichtet Ossatschuk. Als diese Aufgabe erledigt war, habe er sich sofort selbst zum militärischen Dienst gemeldet. Er werde die Uniform so lange anbehalten, wie es nötig sei, sagt Ossatschuk, der in der heftig umkämpften Stadt Bachmut stationiert ist. "Hier entscheidet sich gerade die Zukunft der Ukraine und der freien Länder der Welt".
Russisch-sprachige Ukrainerin: "Alles ist anders"
Vor dem Krieg hat Katerina Mussjenko aus dem Schwarzmeerstadt Odessa nur Russisch gesprochen und Leute verachtet, die lieber Ukrainisch sprachen oder Ukrainisch-Russisch gemischt. Aber seit dem Beginn des Krieges sei "alles anders", erzählt die 24-Jährige. Im März wurde ihr Großvater bei einem Angriff auf Odessa getötet.
"Ich war so überwältigt, dass ich nicht einmal Trauer empfunden habe, nur Abscheu und Hass auf alles, was mit Russland zu tun hatte", erzählt sie. So wie sie früher konsequent Russisch gesprochen habe, spreche sie nun ausschließlich Ukrainisch. Wie Mussjenko weigern sich jetzt viele Ukrainer, Russisch zu sprechen.
Ihr Engagement ist noch einen Schritt weitergegangen, als sie in den Online-Netzwerken dazu aufgerufen hat, Statuen von Alexander Puschkin, dem großen Dichter der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts, zu zerstören. Zudem gründete sie eine Initiative zum Schutz des Ukrainischen.
Eisenbahn-Helden: "Mein Bart ist grau geworden"
Der Krieg hat Zugführer Andrij Jerjomenko tief geprägt. "Mein Bart ist grau geworden", scherzt der 53-jährige, der aus einer Eisenbahnerfamilie kommt. Jerjomenko hat zu Kriegsbeginn mit 20 anderen bei der Evakuierung von Kiew mitgeholfen. Die Leute drängten sich auf den Bahnhöfen. "Alle standen unter Schock: Kinder, Hunde, Katzen, Erwachsene, ältere Leute", erzählt er. "Wir haben so viele wie möglich in die Züge gestopft, manchmal zehn oder zwölf Menschen in ein Vier-Personen-Abteil."
Wenn ein Zug bis zum Anschlag gefüllt war, begann die mehrstündige Fahrt durchs Land, manchmal ohne Licht, um nicht zur Zielscheibe für russische Angriffe zu werden. Am schlimmsten sei es gewesen, die Kinder und die verschreckten Tiere zu sehen, sagt Jerjomenko. Einmal habe ein kleines Mädchen sich auf den Boden geworfen und gerufen: "Wir werden bombardiert."
Vor dem Krieg gab es viel Kritik an der ukrainischen Eisenbahn, aber der Betrieb wurde trotz der Bombenangriffe fortgesetzt, sodass Millionen von Menschen fliehen konnten. Heute gelten Eisenbahner wie Andrij Jerjomenko als "Helden".