Ukraine Der Aufstand der Diplomaten

  • von Katja Gloger
300 ukrainische Diplomaten haben in einem offenen Brief den Terror und den massiven Wahlbetrug Janukowitschs kritisiert. Im stern.de-Interview spricht Alexander Scherba über das perfekt organisierte System aus Angst, Druck und Erpressung.

Es war ein gewaltiger Karrieresprung für den jungen Diplomaten Alexander Scherba, 34, als er Anfang dieses Jahres nach Washington versetzt wurde. Neben Russland gelten die USA als wichtigster Partner der Ukraine im Ausland. Ein weiterer Aufstieg schien dem Kiewer Politologen sicher. Damit könnte es jedoch möglicherweise vorbei sein. Seit Montag dieser Woche gehört Scherba zu den Initiatoren eines Protestbriefes gegen die manipulierten Präsidentenwahlen in seinem Heimatland.

stern.de: Herr Scherba, war der Wahlausgang eine Überraschung für Sie?

Alexander Scherba: Nein. Wir wussten, dass es Versuche geben würde, die Wahlen zu manipulieren. Der gesamte Wahlkampf basierte auf groben Rechts-Verletzungen durch den Kandidaten der Macht, wie wir ihn nennen, Viktor Janukowitsch ...

... der auch rasch zum Sieger der Wahl erklärt wurde.

Zunächst hatten wir noch Hoffnung. Denn die Popularität von Viktor Juschtschenko ist ungleich höher als die von Janukowitsch. Wir hofften, dass die Macht keinen Konflikt mit dem Volk wagt. Aber unsere Hoffnung war falsch.

Welche Manipulationen haben Sie im Vorfeld der Wahlen festgestellt?

Es war eine perfekt organisierte Schmutzkampagne. Der Kandidat der Opposition erhielt so gut wie keinen Zugang zu den Medien. Über ihn wurde eine Informations-Blockade verhängt. Zugleich wurden über Juschtschenko gezielt Lügen verbreitet, von Leuten, die wir "Schattenmänner" nennen. Aber am schlimmsten für mich persönlich war, wie man den Wählern Angst eingejagt hat. Es war klare Erpressung.

Welche Beispiele haben Sie?

Zum Beispiel den Rektor der Kiewer Akademie für Steuerwesen. Er erklärte seinen Studenten unverblümt, sie von der Universität zu werfen, wenn sie ihre Briefwahlunterlagen nicht zur Verfügung stellen würden. Diese Unterlagen würden später als Stimmen für Janukowitsch gezählt. Wer damit nicht einverstanden sei, der brauche erst gar nicht mehr wiederzukommen, hieß es. Es gebe dann keinen Studienplatz mehr. Es war also ein beinahe perfekt organisiertes System von Angst, Druck und Erpressung. So wollte sich die Macht die Wahlen erkaufen.

Was passierte, als Sie am Montag dieser Woche zur Arbeit kamen?

Ich musste etwas tun. Mein Vater war in Kiew auf dem Platz der Unabhängigkeit und hat demonstriert. Drei Kollegen haben mich unterstützt. Und dann haben wir uns entschieden, einen offenen Brief zu schreiben. Zwei von uns haben übrigens russisch als Muttersprache, zwei ukrainisch.

Darin kritisieren Sie "Drohungen, Terror und massiven Wahlbetrug" und rufen Ihre Kollegen zum Protest auf.

Wenn wir schweigen und alles geschehen lassen, werden sich demokratische Nationen von der Ukraine abwenden. Das können wir nicht geschehen lassen.

Was passierte mit Ihrem Brief?

Wir schickten ihn per Internet in den Stab von Juschtschenko nach Kiew. Von dort aus gelangte er ins Außenministerium. Und dann schlossen sich immer mehr Diplomaten an. Zur Zeit haben rund 300 Mitarbeiter des Außenministeriums zwei offene Briefe unterschrieben. Es handelt sich, wenn Sie so wollen, um einen Aufstand der Diplomaten.

Jetzt ruft Viktor Juschtschenko zum Generalstreik auf. Das oberste Gericht fordert Aufklärung über die Vorwürfe der Wahlmanipulationen.

Das ist ein entscheidender Schritt. Wir hoffen, es kommt nicht zu Gewalttätigkeiten. Hoffentlich haben die Machthaber ein Einsehen, dass sie keinen Präsidenten inthronisieren können, gegen den das ganze Volk protestiert.

Doch schon werden Befürchtungen laut, die Ukraine könne sich in eine West- und eine Ostukraine teilen.

Die Gefahr besteht. Im Westen und im Zentrum hat man Juschtschenko als Präsidenten anerkannt. Im Osten wurde Janukowitsch zum Sieger erklärt. Das ist sehr gefährlich.

Warum unterstützte der russische Präsident Putin bislang den Kandidaten Janukowitsch so deutlich? Vorgestern schickte er ein zweites Glückwunschtelegramm nach Kiew. Darin hieß es, Janukowitschs Wahl bringe die strategische Partnerschaft zwischen Russland und der Ukraine auf eine neue Ebene.

Russland glaubt offenbar, Juschtschenko bedrohe Russlands Interessen, weil die Ukraine unter ihm Nato-Mitglied würde. Das wäre für Russland nicht hinnehmbar. Janukowitsch ist für Moskau hingegen der Garant dafür, dass die Ukraine unter russischem Einfluss bleibt und vom Westen isoliert wird. Damit würde die Ukraine zu Russlands Hinterhof.

Was soll nun passieren? Eine Neuauszählung der Stimmen, wie von Europa gefordert?

Das wird nicht helfen. Diese Wahlen waren nicht demokratisch. In einigen Wahlkreisen im Gebiet Donezk betrug die Wahlbeteiligung 104 Prozent. Und dort stimmten 100 Prozent für Janukowitsch. Es gibt nichts neu zu zählen. Wir brauchen Neuwahlen.

Was wissen Sie über russische Spezialeinheiten, die sich angeblich bereits in der Ukraine befinden sollen?

Ich habe gehört, dass sich russische Speznas-Truppen im Präsidentenpalast befinden sollen. Eine Bestätigung dafür gibt es bislang nicht. Wir wissen aber auch, dass ein Mitarbeiter des Flughafens in Kiew unter Protest gekündigt hat: Er weigerte sich, bei der Entladung von Ausrüstung für russische Spezialkräfte zu helfen. Dabei hatten wir doch schon immer engste Beziehungen zu Russland. Meine Muttersprache ist russisch, ich erziehe meine Kinder auf Russisch, und ich bin stolz darauf. Zugleich bin ich Ukrainer. Wir dürfen uns nicht teilen lassen.

Und was werden Sie jetzt tun?

Weitermachen. Ich riskiere wohl meinen Job, meine Zukunft. Doch darüber denke ich einfach nicht nach.