Drohnen über Flughäfen in Dänemark und Norwegen, Shahed-Kamikaze-Schwärme über Polen, Luftraumverletzungen vom Baltikum bis Rumänien: Nach Ansicht des Sicherheitsexperten Christian Mölling sind die Zwischenfälle der vergangenen Tage nur ein Vorspiel für weitere russische Provokationen, auf die sich die Nato in Europa einstellen muss. "Wir laufen auf viele Fragen zu, die Russland uns zwingt zu beantworten", sagt Mölling in der neuesten Ausgabe des stern-Podcasts "Die Lage – International". "Vielleicht schickt Moskau das nächste Mal nicht nur drei, wie neulich über Estland, sondern 20 Kampfjets auf einmal. Wir müssen damit rechnen, dass die Synchronität der Ereignisse im Nato-Luftraum – ob mit Drohnen oder Flugzeugen – steigen wird."
Russland habe die Produktionskapazität für Drohnen mit langer Reichweite zuletzt erheblich ausgebaut, so der Politikwissenschaftler vom Brüsseler Think Tank European Policy Center. Das sei bedrohlich für die europäischen Nato-Staaten, deren bisherige Reaktion auf die Luftraumverletzungen ein "Bild der Machtlosigkeit" hinterlasse. Noch kritischer seien Russlands neue Drohnenfähigkeiten aber für die Ukraine. "Man muss davon ausgehen, dass in Zukunft Angriffswellen mit 1000 bis 2000 Drohnen möglich sind", so Mölling. Es sei absehbar, dass solche Attacken die zur Verfügung stehenden Luftabwehrsysteme überfordern würden. "Die Ukraine läuft auf einen wirklich schrecklichen Herbst und Winter zu."
Drohnenkampf: "Perforierter Luftraum auf beiden Seiten"
Gleichzeitig erwartet Mölling, dass Kiew seine eigenen Drohnenschläge gegen die russische Energie-Infrastruktur fortsetzt. "Wir haben einen perforierten Luftraum auf beiden Seiten", so der Experte. Für die russische Führung werde die eigene Unfähigkeit, ukrainische Drohnenangriffe zu unterbinden, zusehends zum Problem. Offensichtlich seien derzeit schon 30 Prozent der russischen Raffineriekapazität infolge ukrainischer Angriffe ausgefallen, mit negativen Folgen für die finanziellen Ressourcen des Kremls.
Der eskalierende Konflikt mit Russland führt nach Ansicht des Sicherheitsexperten dazu, dass die Interessen von Europa und der Ukraine sich immer weiter annähern. "Jetzt sieht man, wie sehr die Sicherheit der Ukraine mit der Sicherheit der Nato verbunden ist. Genau die russischen Drohnen, die eigentlich für den Einsatz gegen die Ukraine hergestellt worden sind, tauchen jetzt im Nato-Luftraum auf", so Mölling. Die Europäer sollten sich nun die Frage stellen, wie man die Ukraine in ihren Anstrengungen unterstützen könne, die russischen Drohnenfabriken anzugreifen. Denn: "Wir haben ein eigenes Interesse daran, dass diese Produktionsstätten neutralisiert werden."