Der Krieg in der Ukraine richtet sich nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala immer mehr gegen die Zivilbevölkerung. Masala sagt am Mittwoch im stern-Podcast "Ukraine – die Lage", die russischen Truppen würden zwar nicht "eins zu eins" ihre Strategien aus den Kriegen in Syrien oder Tschetschenien anwenden. "Aber", so ergänzt er, "es hat schon Züge eines Vernichtungskrieges in gewissen Teilen der Ukraine".
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Der Politikprofessor von der Bundeswehruniversität München fürchtet, dass der Hauptstadt Kiew und den vielen Hunderttausend Menschen dort schwere Tage bevorstehen. Erstaunt habe ihn der Beschuss der Schwarzmeerstadt Odessa von See aus. "Man hat keine russischen Truppen, die den Angriff unterstützen können", sagt er. Als eine denkbare Absicht hinter den Angriffen hält er "Terror" gegen die Bevölkerung für möglich.
Masala hält Einsatz von Chemiewaffen für unwahrscheinlich
Trotz der Eskalation erwartet Masala nicht den Einsatz von Chemiewaffen, vor dem in den vergangenen Tagen wiederholt gewarnt wurde. Ausschließen ließe sich das nicht. Aber: "Die Wahrscheinlichkeit sehe ich momentan noch nicht gegeben." Die Verwendung von Giftgas wäre ein Schock für die Menschen in der Ukraine selbst und auch in den westlichen Staaten. Das könne Russland nicht ignorieren. Masala sagt: "Dieser Krieg wird auch mit Blick auf die Stimmung in den europäischen Gesellschaften geführt – die ist ganz entscheidend für das Handeln der Allianz oder der Europäischen Union in diesem Konflikt."

Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Bundeswehruniversität München.
Als "Reise von hohem symbolischen Wert" bezeichnet Masala den Solidaritätsbesuch der Regierungschefs aus Polen, Slowenien und Tschechien im umkämpften Kiew. Die vom Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PIS, Jarosław Kaczyński, bei der Reise aufgebrachte Idee einer Friedensmission in der Ukraine wertet Masala als Versuch, die Unterstützung besonders herauszustellen – und weniger als konkreten Plan. "Ich würde die Idee eher in den Bereich von: 'Man muss etwas sagen, man muss etwas tun', einordnen", sagt er. Masala erinnert daran, dass auch Polen bislang sehr darauf bedacht gewesen sei, nicht unmittelbar in den Konflikt hereingezogen zu werden. Dies habe sich etwa bei der Diskussion um die – letztlich gescheiterte – Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine gezeigt.