Der wegen Kriegsverbrechen verhaftete frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic ist erstmals dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorgeführt worden. Frisch rasiert und in einem dunklen Anzug betrat Karadzic den Verhandlungssaal unter der Aufsicht von zwei Gerichtspolizisten. Seine Antworten wurden - wie beim Tribunal üblich - von Dolmetschern übersetzt. Richter Alphons Orie wies ihn auf sein Recht zu Schweigen hin. Auf die Frage, ob er keinen Anwalt wünsche, antwortete Karadzic, er habe einen "unsichtbaren" Verteidiger. Er machte einen entspannten, aber konzentrierten Eindruck, während der Richter ihm die wesentlichen Punkte der Anklage vortrug.
Karadzic sagte, er wolle sich noch nicht zu den Anklagepunkten äußern, sondern die ihm zustehende 30-Tage-Frist nutzen. Er wies darauf hin, dass Chefankläger Serge Brammertz bereits eine Überarbeitung der Anklage angekündigt habe. Erst dazu wolle er sich äußern. Brammertz bestätigte, dass die Anklage noch verändert werden solle, konnte aber keinen Zeitpunkt dafür nennen.
Karadzic muss sich wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs von 1992 bis 1995 verantworten. Zusammen mit dem noch flüchtigen Ex-General Ratko Mladic wird er für die 43-monatige Belagerung Sarajewos und den Mord an 8000 bosnischen Muslimen 1995 in Srebrenica verantwortlich gemacht. Die beiden Vergehen gelten als grausamste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der 63-jährige Karadzic war am 21. Juli verhaftet und am Mittwoch in ein Gefängnis in Scheveningen gebracht worden. Er hatte unter falschem Namen mit langem Vollbart und wallender Mähne elf Jahre unerkannt in Serbien gelebt und als Arzt gearbeitet.
Karadzic will sich nach Angaben seines Anwalts vor dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien selbst verteidigen. Er folgt damit dem Vorbild des früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Dieser war 2006 im Haager Gefängnis kurz vor der Urteilsverkündung nach einem vier Jahre langen Prozess gestorben.
Nach Angaben seines Bruders wird Karadzic das UN-Tribunal nicht anerkennen. Er werde außerdem bei seiner Anhörung auf unschuldig plädieren, sagte Luka Karadzic der russischen Zeitung "Istwestija". Bei der Festnahme des 63-Jährigen in Belgrad seien ein Computer sowie mehr als 50 CDs mit Dokumenten beschlagnahmt worden, die der Beschuldigte dringend zu seiner Verteidigung benötige.
Sein Bruder habe sich gut auf einen Prozess vorbereitet, da er mit seiner Verhaftung gerechnet habe, sagte Luka Karadzic. Er habe ihn seit der Festnahme in Belgrad täglich gesehen. "Er sieht sehr gut aus, ist nach wie vor lustig und ein großer Optimist." Sein Bruder hoffe auf die Hilfe der russischen Diplomatie, sagte er. Das Außenministerium in Moskau hatte die Verhaftung als innere Angelegenheit Serbiens bezeichnet.
Chefankläger Brammertz geht davon aus, dass der Prozess gegen Karadzic in einigen Monaten beginnen kann. Bei der Handhabung des Verfahrens wolle aus dem immer wieder hinausgezögerten Milosevic-Prozess lernen, hat Brammertz angekündigt. "Es wird eine komplizierte Verhandlung, aber wir sind uns vollkommen im Klaren darüber, wie wichtig es ist, effizient zu sein."