Der Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Serge Brammertz, will sich für ein zügiges und effizientes Verfahren gegen den ehemaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic einsetzen. Brammertz sagte, die letzte, aus dem Jahr 2000 stammende Anklage gegen Karadzic werde derzeit überprüft. Unter anderem solle festgestellt werden, ob Erkenntnisse aus anderen, inzwischen beendeten Prozessen im Verfahren gegen Karadzic genutzt werden können. Das würde die Beweisaufnahme vereinfachen. "Wir wollen den Fall so effizient wie möglich vorbringen", sagte Brammertz in Den Haag.
Er ging gleichwohl nicht von einem baldigen Prozessbeginn aus. Es werde "einige Monate" dauern, bis die Vorbereitungen abgeschlossen seien. Brammertz beabsichtigt nicht, den Karadzic-Prozess an einen der bereits laufenden Kriegsverbrecherprozesse anzuhängen, um das Verfahren zu beschleunigen. Sollte aber bald Karadzics noch flüchtiger Militärchef Ratko Mladic ebenfalls verhaftet werden, so könnte beiden gemeinsam der Prozess gemacht werden.
Brammertz bezeichnete die Verhaftung Karadzics und seine Überstellung an das UN-Tribunal als einen "Meilenstein". "Sie ist außerordentlich wichtig für die Opfer, die viel zu lange auf diesen Tag gewartet haben", sagte er. Sie sei auch wichtig für das internationale Recht, weil sie zeige, dass es für die Untergetauchten keinen sicheren Verbleib gebe.
Karadzic will sich selbst verteidigen
Karadzic war am Morgen, neun Tage nach seiner Festnahme, an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt worden und sitzt seit dem Morgen im UN-Gefängnis für Kriegsverbrecher in dem zu Den Haag gehörenden Badeort Scheveningen. Zuvor war er in der Nacht mit einem Flugzeug aus Serbien nach Rotterdam gebracht worden. Das Tribunal beschuldigt den 63-Jährigen unter anderem des Völkermordes, der Verschwörung zum Völkermord sowie zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Am Donnerstag soll Karadzic zum ersten Mal vor einen Richter des UN-Tribunals geführt werden. Diese nach den Regeln des Tribunals vorgeschriebene erste Anhörung ist für 16 Uhr angesetzt, wie das Gericht mitteilte. Bei der Anhörung soll der Richter sich davon überzeugen, dass der Angeklagte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe versteht und sich ihrer Bedeutung bewusst ist.
Karadzics Anwalt Sveta Vujacic kündigte an, dass sich sein Mandant dabei zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern wolle. Für eine Stellungnahme zu den elf gegen ihn erhobenen Anklagepunkten hat Karadzic 30 Tage Zeit. Er hat angekündigt, sich selbst verteidigen zu wollen. Auch der 2006 in UN-Haft gestorbene serbische Expräsident Slobodan Milosevic hatte auf einen Anwalt verzichtet und sich selbst verteidigt.
Die Regierung in Belgrad hatte in der Nacht erklärt, sie habe der Überstellung Karadzics an das internationale Jugoslawien-Tribunal zugestimmt. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher wurde wenige Stunden später in einem Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben vom Gefängnis im Zentrum Belgrads zum Flughafen gebracht. Kurz darauf hob ein Geschäftsreiseflugzeug ab, das offenbar mit Karadzic an Bord in die Niederlande flog. Am Morgen bestätigte ein Sprecher des UN-Tribunals, dass Karadzic im Gefängnis von Scheveningen eingetroffen sei. Offenbar wurde er mit einem Hubschrauber dorthin gebracht.
Karadzic wurde knapp 13 Jahre nach der Anklagerhebung gegen ihn als 44. Serbe dem Haager Tribunal überstellt. Der 63-Jährige hatte zuletzt als Arzt "Dr. Dragan Dabic" für alternative Medizin gearbeitet und unbehelligt in Belgrad gelebt. Mit einem Vollbart und langen Haaren hatte er sein Äußeres völlig verändert und glich eher einem New-Age-Guru als einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher.
Karadzic wird seit 1995 des Völkermordes beschuldigt, 1998 tauchte er unter. Er und der weiterhin flüchtige bosnisch-serbische Militärchef Ratko Mladic werden für Gräueltaten während des Bosnien-Krieges von 1992 bis 1995 verantwortlich gemacht. Karadzic gilt als Hauptverantwortlicher für die monatelange Belagerung Sarajevos und für das Massaker in Srebrenica, bei dem innerhalb einer Woche 8000 Bosnier getötet wurden. Dem Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995 fielen rund 250.000 Menschen zum Opfer, etwa 1,8 Millionen wurden vertrieben.
Gewalttätige Proteste der Ultranationalisten
Am Dienstagabend waren noch rund 15.000 serbische Nationalisten in Belgrad zu einer Großkundgebung zusammengekommen, um gegen die bevorstehende Auslieferung Karadzics zu protestieren. Für viele bosnische Serben gilt Karadzic noch als heldenhafter Verteidiger Serbiens. Bei gewaltsamen Ausschreitungen am Rande der Kundgebung wurden nach Behördenangaben 46 Menschen verletzt, darunter auch 27 Polizisten. Mehrere hundert serbische Ultranationalisten bewarfen Polizisten mit Steinen und Brandsätzen. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Randalierer vor. Einige Dutzend Randalierer seien festgenommen worden, berichten die Medien.