Wenn ein US-Politiker eine Nachricht möglichst effektiv unter's Volk bringen will, geht er am Sonntagvormittag zu "Meet the Press", der Interview-Sendung im US-Fernsehen. Zwar ist ein Gespräch mit dem versierten Star-Moderator Tim Russert niemals ein Zuckerschlecken, aber die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist dem Befragten sicher. An diesem Sonntag nun war bei Russert Barack Obama zu Gast, Senator aus Illinois, Liebling der linksliberalen Demokraten mit Mehrheits-Appeal, und heißer Kandidat für die Präsidentschaftskandidatur der Partei im Jahr 2008.
Entscheidung bis Januar
Hatte Obama vor wenigen Monaten eine Kandidatur noch eindeutig abgelehnt, gab er nun zu erkennen, dass er darüber nachdenke. "Ich will mich nicht schüchterner stellen als ich bin", sagte Obama. "Angesichts der Reaktionen, die ich in den vergangenen Monaten erhalten habe, habe ich über die Möglichkeit nachgedacht, jedoch noch nicht mit der Ernsthaftigkeit und der Tiefe, die meiner Meinung nach erforderlich ist." Nach den Kongresswahlen am 7. November werde er jedoch darüber nachdenken. Laut "New York Times" hieß es aus Obamas Umfeld, dass er sich bis Januar entscheiden wolle.
Spannung und Stirnrunzeln
Obamas Äußerungen sorgen bei den Demokraten für Spannung und Stirnrunzeln. Der Schwarze Obama zog erst vor zwei Jahren in den Senat ein. Seitdem hat er sich zu einem Sympathie- und Hoffnungsträger und zu einem Darling der Medien entwickelt. Der 45-Jährige hat den Charme des Neuen, des Unverbrauchten, des Außenseiters - alles Eigenschaften, die ihm in den Vorwahlen der Demokraten, aber auch im Wahlkampf gegen den republikanischen Kandidaten nützen könnten. Bislang gingen Beobachter allerdings davon aus, dass Obama möglicherweise ein Mann für 2012, nicht für 2008 wäre. Er müsse erst noch Erfahrung sammeln, hieß es. Noch sei er zu unerfahren, vor allem in der Außenpolitik. Nun scheint Obama jedoch die günstige Stimmung, die politische Dynamik nutzen zu wollen.
Kerry verspricht "großartige Auseinandersetzung"
Vor allem Hillary Clinton, Senatorin aus New York, die als Favoritin für die Kandidatur der Demokraten gilt, dürfte etwas gegen eine Kandidatur Obamas einzuwenden haben. Die "New York Times" schreibt, dass er ihr vor allem in der schwarzen Wählerschaft wichtige Stimmanteile abluchsen könnte. Allerdings hat Clinton selbst das Problem, dass sie in weiten Teilen der Partei unbeliebt ist. Ein weiterer möglicher innerparteilicher Konkurrent Obamas ist John Kerry, jener Senator aus Massachusetts, der die letzte Wahl gegen George W. Bush verlor. Er sagte am Sonntag bereits, dass er sich im fall der Fälle auf eine "großartige Auseinandersetzung" mit Obama freuen würde.
Republikaner leiden an Irak-Politik und Sex-Skandal
In den USA wird Anfang November ein neuer Kongress gewählt. Die Demokraten machen sich Hoffnungen, den Republikanern deren Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments abzujagen - im Abgeordnetenhaus und im Senat. Die Republikaner durchlaufen derzeit eine Phase eklatanter Schwäche. Die Unbeliebtheit von Präsident George W. Bush und seiner Regierung wegen der zermürbenden Besatzung im Irak färbt auf sie ab, und der Sex-Skandal im Repräsentantenhaus hat vor einigen Wochen das Übrige getan: Dem Abgeordneten Mark Foley war nachgewiesen worden, mit männlichen, minderjährigen Praktikanten kompromittierende SMS-Nachrichten ausgetauscht zu haben. Besonders bei der christlichen Rechten, einer wichtigen Basis der Republikaner, kommt so etwas gar nicht gut an.
John McCaine möglicher Kandidat der Republikaner
Ein Sieg der Demokraten bei diesen Parlamentswahlen hätte erheblich Auswirkungen auf den politischen Spielraum des Präsidenten, vor allem in der Außenpolitik. Bush liefe Gefahr, in seinen letzten beiden Amtsjahren zu einer "lame duck" degradiert zu werden, zu einer "lahmen Ente." Bei den Republikanern hat sich noch kein klarer Favorit für die Präsidentschaftskandidatur herauskristallisiert. Als Anwärter gilt jedoch auf jeden Fall John McCain, Senator aus Arizona. McCain, ein Vietnam-Veteran, tat sich im vergangenen Jahr immer wieder dadurch hervor, dass er sich der Politik des Präsidenten widersetzte - vor allem, was den Umgang mit dem Einsatz von Folter im Antiterrorkampf betrifft.