Wählen durfte er nicht, aber das politische Engagement konnte ihm keiner nehmen. Christian Castro ging von Haus zu Haus, verteilte Handzettel - bis zum Tag der Wahl setzte er sich für seinen Kandidaten ein. Dann blieb ihm nichts weiter, als zu hoffen. Castro war damals vor vier Jahren 14 Jahre alt, sein Kandidat hieß George W. Bush.
Heute schüttelt er darüber nur den Kopf: Der Student aus New York hat sich gewandelt, in einer Familie von Republikaner-Wählern ist er der Rebell. Er trägt ausgefallene Sneakers, ausgefranste Jeans und einen Pulli. Castro wird am 4. November zum ersten Mal in seinem Leben wählen. Und zwar Barack Obama. "Auch wenn McCain immer mehr seine Rhetorik klaut", sagt Castro, "Obama bleibt der Mann des Wandels."
Amerika will den Wechsel. Und keiner hat das so früh und so gut verstanden wie Obama. Mit seinem Wahlversprechen "Change" rüttelte er eine Generation wach und füllte ganze Arenen mit Teenagern. Tritt er auf, wird jeder seiner Sätze beklatscht, der Jubel reicht in seiner Dezibelzahl an die Lautstärke in einem Footballstadion heran, wenn dem Heimteam kurz vor Schluss der entscheidende Touchdown gelingt. Das junge Amerika trägt Buttons, Pullis und Baseballkappen - die Botschaft des demokratischen Präsidentschaftskandidaten ist in, sie zu zeigen hat Stil.
Jugend verhilft Obama zum Sieg
Es könnte das Jahr der jungen Wähler werden: Schon bei den Vorwahlen sind die neuen Politikgroupies in Scharen zu den Abstimmungen geströmt. 6,5 Millionen Amerikaner unter 30 Jahren - fast doppelt so viel wie im Jahr 2000. Unter dem demokratischen Nachwuchs war Obama die Nummer eins. In 32 von 40 Staaten gewann er die Mehrzahl ihrer Stimmen. Der wichtigste Sieg gelang ihm in Iowa, bei der ersten Vorwahl der Demokraten. Nur mit der Jugend im Rücken konnte er an Hillary Clinton vorbei ziehen. Es war der Anfang seiner Siegesserie, die Geburt eines politischen Popstars.
Die Stimme der Jungwähler hat Gewicht: insgesamt sind es 44 Millionen. Jeder fünfte Wahlberechtigte ist zwischen 18 und 29 Jahre alt. Dürften sie allein entscheiden, wäre Obama neuer Präsident. Drei Viertel von ihnen sagen, Obama verstehe ihre Sorgen und Probleme - McCain vertrauen nur 12 Prozent
Ein Kandidat der zuhört und inspiriert
Obama hat es verstanden, eine Generation zu politisieren, die per se nicht politischer ist als die vorherigen Generationen. Sie will einen Präsidenten, der zuhört, integriert und inspiriert - all das verkörpert der Senator aus Illinois. Deshalb hat Barack Obama die jungen Wähler bei den Vorwahlen im Januar und Februar in Scharen zu den Wahlurnen gebracht und deshalb wollen sie ihren neuen Superstar im November zum ganz großen Triumph verhelfen.
Obama ist für die heutige Jugend schon jetzt ein Held, ein neuer John F. Kennedy. Er wurde zum Shootingstar des sinnsuchenden Amerikas, zum Idol der iPod-Generation, der ihre Medien nutzt, und ihre Sprache spricht. Obama hat es geschafft, sie für Politik zu begeistern. Lange hatte man ihnen vorgeworfen, Politik nur als uncoole Veranstaltung ergrauter Männer zu begreifen.
Er ging auf Tuchfühlung, gab ihnen das Gefühl, für sie da zu sein. Nach seinen Auftritten in Iowa traf er sich hinter der Bühne mit Schüler- und Studentenvertretern - ein Vorrecht, das sonst nur spendable Sponsoren genießen. Er sprach mit ihnen über ihre Träume. Über Hoffnung, Wandel, Glauben. Mit seinem Wahlkampfslogan setzt er eine ganze Generation in Ekstase.
Popstar mit Programm
Obama ist für sie ein Popstar - aber einer mit Programm. "Gegen McCain zu sein, weil er weiß und alt ist und für Obama zu sein, weil er schwarz und jung ist, reicht nicht", sagt Sabita Ramsaran. Sie interessiert sich vielmehr für die Inhalte. Es geht um das Gesundheits- und Sozialsystem, es geht um die Wirtschaft und vor allem geht es um das Ende des Kriegs im Irak - das sagen alle ihrer Altersgenossen. Auch die, die zugeben, nicht viel über Politiker und ihre Programme zu wissen. Wie Everol Archer, 18, der Gerichtsmedizin studiert: "Wir sind in einen unnützen, ungerechtfertigten Krieg gezogen - der muss endlich beendet werden."
Während der Vietnam-Veteran McCain zu kämpfen verspricht und eine längere Präsenz amerikanischer Truppen im Irak für notwendig hält, verspricht Obama einen schnellen Abzug aller US-Streitkräfte und gibt den großen Versöhner. Mit dieser Friedensparole eroberte er als Anti-Kriegs-Kandidat die Herzen der Jugendlichen. Schon einmal hat ein Krieg jugendliche Massen in die Wahllokale getrieben: Im Jahr 1972, als das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt wurde, war es Richard Nixon, damaliger Kandidat der Republikaner, der die Wünsche der jungen Wähler verstand. Seine Wahlkampfmotto: ein striktes "No" zum Vietnamkrieg. 55 Prozent der Unter-30-Jährigen gingen zur Wahl. Nixon gewann am Ende haushoch gegen den Demokraten George McGovern.
Ein Film soll Jungwähler mobilisieren
36 Jahre später will wieder eine Generation Geschichte schreiben - so viele junge Menschen wie nie zuvor werden am 4. November wählen gehen, hofft David Burnstein, Studienanfänger am Haverford College in Pennsylvania. Burnstein hat seiner Generation einen Film gewidmet. Dreieinhalb Jahre reiste er dafür durch das Land und führte über 150 Interviews mit Studenten, Professoren und Politgrößen wie Jeb Bush, Joe Lieberman und John Kerry. Der Film "18 in.08", der zurzeit in Jugendtreffs überall in den Staaten gezeigt wird, soll die Jungwähler mobilisieren.
Alle Hoffnungen der Jugend liegen auf dem Demokraten. "Gewinnt er, liegt es an ihm, die Jungwähler in die Politik mit einzubeziehen, die Bindung zu ihnen nicht zu verlieren", sagt Peter Levine, Direktor von CIRCLE, einem Forschungsinstitut für bürgerliches Engagement und Jugend an der Universität von Maryland. Und wenn er verliert? "Dann ist es unsicher, ob sich der politische Enthusiasmus - ein Trend, der schon bei den Wahlen im Jahr 2000 langsam begonnen hat - fortsetzt: Eine Niederlage gibt der Euphorie zumindest einen Knick."