Sie haben selbst nicht mehr daran geglaubt. Die Anhänger, die am späten Abend in die Turnhalle der Southern New Hampshire University ziehen, haben auf eine möglichst knappe Niederlage Hillary Clintons gehofft, vielleicht fünf Prozent hinter Barack Obama, das wäre erträglich. Es werden eher zehn Prozent, sagen die letzten Umfragen voraus, eher 15 Prozent, prognostizierten die Experten auf CNN, vielleicht gar 20. Ein Desaster. Eine Beerdigung. Keine Frau im Weißen Haus. Keine Rückkehr von Bill. Das Ende einer Ära.
Anhänger feiern ihre Kandidatin
Auch in Clintons Wahlkampfteam rechnete man mit dem Schlimmsten und begann bereits mit den Vorbereitungen für eine Generalüberholung des Apparats. Neue Berater, neue Slogans, vielleicht eine ganz neue Strategie - und dann das: Um halb elf am Abend steht es fest, Clinton siegt in New Hampshire mit 39 Prozent vor Obama (37) und John Edwards (17). Eine Sensation ohne Erklärung. Ein Sieg aus dem Nichts. Die Wähler haben sich nicht an die Prognosen und Medienberichte gehalten, sie haben sich für den Underdog entschieden.
Hillary Clinton kommt nicht zu Wort. Es ist kurz nach elf, gerade hat Obama ihr zum Sieg gratuliert, die Menschen im Saal rufen Minuten lang "Hillary, Hillary" und halten ihr die Schilder entgegen: "Ready." Ein Wort nur. "Ready." Sie ist bereit für den Job, soll das heißen. Sie ist erfahren. Kein Anfänger wie ihr Konkurrent.
Hillary Clinton strahlt. Zum ersten Mal in diesen schweren Tagen strahlt sie befreit, erleichtert, ein befreites, ein authentisches Strahlen. Hinter ihr auf der Bühne hat ihr Wahlkampfteam junge Menschen platziert, damit ihr Wahlkampf an die Zukunft erinnert und nicht die Vergangenheit, wie noch in Iowa. Sie begrüßt ihr Tochter Chelsea und ihren Mann Bill mit einer innigen Umarmung, sie führt ihre Hand zum Herzen und sagt: "Ich habe euch zugehört und in dem Prozess fand ich meine eigene Stimme. Ich fühlte, dass wir alle von Herzen sprachen. Lasst uns Amerika das Comeback geben, das New Hampshire mir gegeben hat."
Sie spricht noch häufiger vom Herzen und führt ihre rechte Hand an jene Stelle, sie spricht in versöhnlichem Ton, einer Präsidentin würdig, aber einen Seitenhieb auf die Medien lässt sie sich nicht nehmen: "Ihr habt alle daran erinnert, dass die Politik kein Spiel ist", sagt sie den Menschen. Sie meint das Spiel, das die Medien mit ihr spielten, die Nachrufe, die schon geschrieben wurden, die hässlichen Angriffe, als ihr am Montag kurz einmal Tränen in die Augen stiegen, die fast schon lustvollen Ankündigungen ihres Niedergangs.
Sieg bringt nur wenige Delegiertenstimmen
Es gibt durchaus Erklärungen für ihren sensationellen Sieg. Sie gewann vor allem unter Frauen und Arbeitern, den Schlechterverdienenden, den Benachteiligten der Gesellschaft, und sie lässt keine Zweifel, dass sie im Zuge einer sich anbahnenden Rezession genau hier ihre Chance im Wahlkampf sieht: "Wir stehen vor so vielen Herausforderungen. Menschen verlieren ihre Häuser. Sie können sich keine Krankenversicherung leisten. Junge Menschen können es sich nicht leisten, aufs College zu gehen. Viele von Euch waren nicht sichtbar. Aber für mich ist keiner unsichtbar. Morgen werden wir wieder unsere Ärmel aufkrempeln und weiterarbeiten", sagt sie mit bestimmter, aber leiser Stimme.
Sie will keine Kämpferin sein an diesem Abend, sondern eine Präsidentin. Sie spricht ohne Pathos und Eifer, sie hat versöhnliche Worte für ihre Konkurrenten übrig, nur einen Stich will sie doch noch loswerden. "Ich möchte mich bedanken bei all den jungen Leuten, die wählen gingen. Sie folgten ihrem Herzen und ihrem Verstand." Das ist ihre Botschaft an Amerika. Obama wärmt die Herzen, aber nicht die Wohnungen. Er kann schön reden, hat aber noch nichts geschafft. Irgendwann muss der Verstand einsetzen, der da sagt: Er ist noch zu jung, er hat keine Erfahrung, mit netten Reden über den Wandel schafft man nicht den Wandel, den das Land so dringend braucht.
Der Sieg von New Hampshire bringt nur ein paar wenige jener mehr als 2000 Delegiertenstimmen, die bis zum Sommer vergeben werden, und doch kommt er einem Triumph gleich. New Hampshire bringt ihr die Geschichte, die ihr bisher fehlte, das Comeback, das jede gute Biographie braucht, stärker noch als jenes ihres Mannes im Jahr 1992, das ihm den Namen Comeback Kid verlieh. Später, als Bill Clinton in einem Seitentrakt noch ein paar Hände schüttelt, frage ich ihn, wie seine Frau denn nun heiße, da der Name "Comeback Kid" schon an ihn vergeben ist. Er lächelt nur und sagt: "The Best. Nenne sie einfach: Die Beste."
Die Prognosen für die Zeit nach New Hampshire waren längst gemacht. Sie habe Geldprobleme, berichtete "Time Magazine", in South Carolina habe sie angesichts 50 Prozent schwarzer Wähler keine Chance, die Welle, auf der Obama schwimmt, sei nicht mehr aufzuhalten.
Heute schon wird es ganz neue Prognosen geben, Hillary ist das Comeback Girl, Obama angeschlagen, tatsächlich aber bleibt Obama ein harter Konkurrent und geht gut gerüstet in die nächsten Wochen. Er hat genug Geld, die Spenden fließen - vor allem über das Internet - er inspiriert die Menschen wie kein Kandidat seit Kennedy, doch einige Interviews am Abend in New Hampshires Industriestadt Manchester vermitteln einen neuen, einen anderen Eindruck. "Sie mag nicht so inspirieren, aber ich bewundere ihren Lebenslauf", sagt die Rechtsanwältin Megan Prado, "sie hat in den Schützengräben schon gekämpft, die Obama nur von außen gesehen hat." "Ich habe Obama unterstützt, aber mich jetzt erstmals gefragt: "Was ist, wenn diese ganzen Worte einfach nur Worte bleiben?", sagt Dan Rossi. Kann ich ihm so ein Amt in Kriegszeiten zutrauen?" Und Montgommery Stewart, ein schwarzer Arbeiter aus Manchester, sagt: "Obama ist ein großer Redner, er sagt uns, wie es später mal sein wird, aber er sagt uns nie, wie wir dahin kommen."
Es ist schon weit nach Mitternacht, als sich die Familie Clinton bei den letzten Unterstützern noch bedankt. Hillary strahlt noch immer, viele Menschen umarmen sie, sie wirkt gelöst. New Hampshire hat ihr wieder eine Chance gegeben. Bill schüttelt müde die Hände, sein Gesicht ist rot, die Augen sind nur noch Schlitze, mit heiserer Stimme spricht er leise Worte des Dankes, er ist ein Fighter in der letzten Runde, stehend k.o. Nur Hillary Clinton harrt noch eine Weile aus und kündigt harte Arbeit an, schlaflose Nächte, endlose Reisen. Über ihr, auf der Anzeigetafel der Turnhalle, steht ihr Name und der Spielstand: Hillary Clinton 20-0.
Super Tuesday steht bevor
Erstmal steht es 1-1. Jetzt geht es nach Nevada und South Carolina vor dem Super Tuesday am 5.Februar. Vorher wird eine Entscheidung nicht fallen. Sie wird versuchen, die großen Staaten Kalifornien, New York, New Jersey zu gewinnen. Sie wird Obama angreifen. Sie wird Unsicherheit schüren müssen, wie es sich in New Hampshire schon andeutete. Man stelle sich einen Terroranschlag vor - und diesen unerfahrenen Schönredner im Weißen Haus. Man stelle sich eine Weltwirtschaftskrise vor - und dann diesen Anfänger auf der Weltbühne. Bill Clinton hat einen Namen für ihn gefunden, den er sicher noch einige Male einsetzen wird: "Das größte Märchen, das ich je gesehen habe."