Sucht, Mobbing, Depressionen Tiktok und Instagram adé: Florida will Jugendlichen Zugang zu sozialen Medien verbieten

Gefahr durch soziale Medien: Florida will den Zugang für Jugendliche unter 16 Jahren verbieten.
Gefahr durch soziale Medien: Florida will den Zugang für Jugendliche unter 16 Jahren verbieten.
© Imago Images
Fast jeder Jugendliche in den USA ist täglich stundenlang in sozialen Medien unterwegs, Experten warnen vor gesundheitlichen Schäden. Florida will Jugendlichen die Nutzung nun verbieten, und auch in New York regt sich Widerstand. 

Ein schneller Post bei Instagram, ein paar Clips bei Tiktok sehen, ein Video bei Snapchat hochladen – all das könnte für Jugendliche in Florida und vielleicht auch in vielen weiteren Staaten der USA bald der Vergangenheit angehören. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit der Handy-Bildschirme von Jugendlichen, der in den USA entbrannt ist.

Auf der einen Seite steht die Politik, die in sozialen Medien eine Gefahr für die Gesundheit Jugendlicher sieht. Alleine in 35 von 50 US-Staaten gibt es Bestrebungen, die Nutzung von sozialen Medien für Jugendliche zu reglementieren. Bereits vor zwei Jahren warb US-Präsident Joe Biden auf X, vormals Twitter, dafür, dass man die Privatsphäre schützen und die gezielte Werbung für Kinder sowie die Sammlung personenbezogener Daten von Kindern verbieten müsse. "Es ist an der Zeit, dass wir soziale Medien für das Experiment zur Verantwortung ziehen, dass sie bundesweit an unseren Kindern durchführen", echauffierte sich Biden. 

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Auf der anderen Seite stehen Lobbyisten und Social-Media-Plattformen, die Grundrechte bedroht sehen sowie Gerichte, die bislang alle neuen Gesetze blockieren.

Den bislang weitreichensten Eingriff in die Nutzung sozialer Medien durch Jugendliche plant nun Florida – und das mit ungewohnter Einigkeit zwischen Republikanern und Demokraten. 106 der insgesamt 120 Abgeordneten stimmten für ein Verbot von sozialen Medien für Jugendliche, nur wenige der 36 demokratischen Abgesandten stimmten gegen das Gesetz. Votiert nun auch der Senat Floridas für ein Verbot und unterzeichnet Gouverneur Ron DeSantis das Gesetz, kann es bereits im Juli dieses Jahres in Kraft treten.

Konkret würde das Gesetz alle Jugendlichen unter 16 Jahren treffen. Tritt es in Kraft, sollen alle Konten der Betroffenen gelöscht werden. Dazu würden die Plattformen verpflichtet, das Alter der Nutzer bei einer Neuanmeldung von einem Drittanbieter verifizieren zu lassen. "Sie alle wissen, dass ich ein Anwalt für Bürgerrechte bin, aber der Kampf für den Schutz unserer Kinder in den sozialen Medien ist ein Kampf, den ich jeden Tag angehen würde", erklärte die demokratische Abgeordnete Michele Rayner. Das Gesetz zielt auf alle Plattformen, die "süchtig machende, schädliche oder trügerische Merkmale verwenden, die bei einem Nutzer ein exzessives oder zwanghaftes Bedürfnis auslösen, die Plattform zu nutzen". Wie genau es bei einer Einführung umgesetzt werden könnte, ist bislang unklar, jedoch könnten laut dem Justizministerium des Staates bei Verstößen Strafen von bis zu 50.000 Dollar (rund 46.000 Euro) drohen. Ausgenommen von dem Gesetz sind explizit Messenger-Dienste.

Florida: Neuem Gesetz droht Klage

Auch wenn der Senat und Ron DeSantis das Gesetz durchwinken sollten, ist noch unklar, ob es tatsächlich Wirklichkeit wird. Lobbyisten protestieren bereits gegen die Verbannung von Jugendlichen aus den sozialen Netzwerken. "Tritt das Gesetz in Kraft, gefährdet es die Privatsphäre und Sicherheit von Floridianern, die das Internet nutzen", sagte Carl Szabo, Vizepräsident von NetChoice, einem Handelsverband mit Sitz in Washington D.C., zur "Washington Post". Florida verdiene mehr als ein verfassungswidriges Überwachungsprogramm für das Internet.

Wahrscheinlich ist, dass NetChoice auch gegen das geplante Gesetz klagen wird. Gegen ähnliche Gesetze hatte die Organisation bereits geklagt – mit Erfolg. Im September 2022 verabschiedete der Senat von Kalifornien einstimmig ein Gesetz zum Schutz von Kindern im Internet. Laut dem Gesetz sollten für Kinder automatisch die höchsten Privatsphäre-Einstellungen gelten und verhindert werden, dass sich fremde Menschen Nachrichten schreiben. Ein Jahr später liegt das Gesetz vorerst auf Eis: Ein Richter urteilte, dass es "wahrscheinlich" gegen den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung verstoße, der unter anderem verbiete, die Redefreiheit einzuschränken – einen Artikel, auf den sich Ex-US-Präsident Donald Trump auch gerne bei seinen Gerichtsverhandlungen beruft.

Ähnlich auch in Arkansas, wo im August 2023 ein Richter ein neues Gesetz blockierte, das einige Social-Media-Plattformen dazu verpflichtet hätte, das Alter der Nutzer zu verifizieren und eine Zustimmung der Eltern benötigte, wenn Minderjährige einen Account anlegen wollen. Im selben Monat blockierte ein Richter in Texas ein Gesetz, das den Zugriff auf Pornoseiten reglementiert hätte. Auch in diesem Gesetz war die Verifizierung des Alters ein elementarer Bestandteil. 

Bei Social-Media-Plattformen sieht man das Gesetz – wenig überraschend – skeptisch. "Auch wenn wir die Intention verstehen, verpasst es im jetzigen Zustand Eltern darin zu bestärken, ob ihre Kinder soziale Medien nutzen. Zudem werden keine vernünftigen Standards gesetzt, die Eltern dabei helfen, die Online-Aktivitäten ihrer Kinder zu überwachen", erklärte eine Sprecher von Meta, dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram" in einem Brief an die Abgeordneten. 

Depressionen und Selbstmord: Gefahren durch soziale Medien

Dass von sozialen Medien Gefahr für Kinder und Jugendliche ausgehen kann, ist unbestritten. Im Januar vergangenen Jahres starb eine 18-Jährige in Hamburg bei dem Versuch, vor einem heranrollenden Zug im letzten Moment vom Bahngleis zu hechten. In einem Interview mit einer Regionalzeitung erzählte ihre Zwillingsschwester, dass man die Gefahren nicht bedacht habe und es wichtig gewesen sei, Videos von halsbrecherischen Aktionen bei Tiktok hochzuladen. "Da krieg man Likes, da ist man jemand", zitierte die Zeitung die 18-Jährige. 2019 starb in den USA ein 16-Jähriger, als er angespornt von einer Snapchat-Challenge russisches Roulette spielte: Zwei Runden ging es gut, das dritte Video von Ian Ezquerra war sein letztes. 

Gerade für Heranwachsende spielt sich vieles aus ihrem Leben in der digitalen Welt ab. In einer Umfrage des Pew Research Centers aus dem vergangenen Jahr sagten 95 Prozent der befragten Jugendlichen, dass sie soziale Medien nutzten. Viele von ihnen gaben an, dass sie Plattformen wie Youtube, Tiktok oder Snapchat nicht nur täglich nutzten, sondern fast durchgehend. Dies bekräftigte eine weitere Umfrage des Marktforschungsinstituts Gallup aus dem vergangenen Herbst. Dabei kam heraus, dass Teenager in den USA soziale Medien rund 4,8 Stunden pro Tag benutzen, 17-Jährige sogar 5,8 Stunden. Rund 90 Prozent der Zeit verbringen sie dabei auf Youtube (1,9 Stunden), Tiktok (1,5 Stunden) und Instagram (0,9 Stunden).

Der Einfluss sozialer Medien ist vielen US-Staaten mittlerweile ein Dorn im Auge. Bereits im Frühjahr vergangenen Jahres wurde die Nutzung von Tiktok auf Regierungshandys in den USA und Kanada verboten – auch aus Sorge, dass der chinesische Staat Zugriff auf die Daten bekommen könnte. Alleine in 35 der 50 Staaten laufen laut der National Conference of State Legislatures, einer überparteilichen Organisation, die die Interessen der US-Staaten in Washington vertritt, aktuell Vorbereitungen für Gesetze, die den Schaden sozialer Medien auf Jugendliche verhindern sollen. Darunter sind demokratisch regierte Staaten wie Massachusetts, Michigan und Kalifornien, aber auch republikanische Staaten wie Nebraska oder North Carolina. Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatten 41 Staaten Meta wegen erhöhter Suchtgefahr verklagt. Sie warfen dem Unternehmen vor, die Öffentlichkeit über die erheblichen Gefahren der Social-Media-Plattformen für die mentale Gesundheit getäuscht zu haben. Vor allem die Like- und die Benachrichtigungs-Funktionen sind den Staaten ein Dorn im Auge. Ein Urteil steht noch aus.

New York erklärt soziale Medien zur "Gefahr für öffentliche Gesundheit"

In der vergangenen Woche ging New Yorks Bürgermeister Eric Adams noch einen Schritt weiter. Als erste Großstadt in den Vereinigten Staaten ließ der Demokrat soziale Plattformen als "Gefahr für die öffentliche Gesundheit" einstufen und warnte vor den Auswirkungen auf die psychische Gesundheit junger Menschen. "Unsere Kinder werden von Algorithmen gefüttert, die ihre Schwachstellen suchen, und dagegen müssen wir vorgehen. Soziale Medien tragen zu Depressionen, Suizidgedanken oder auch dem Fahren auf Dächern von U-Bahnen bei", sagte der Bürgermeister im Gespräch mit dem Fernsehsender "NBC4 New York". Soziale Medien seien eine geheime Waffe, die sich in Schlafzimmern, Küchen oder dem Sofa breit mache, betonte Adams. "Michael Bloombergs (Bürgermeister von New York von 2002 bis 2013, Anm. d. Red.) vorausschauendes Denken hat viele Leben gerettet, als er 2003 das Rauchen in allen geschlossenen Räumen verboten hat. Das hier ist jetzt unsere Chance."

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