Die Grünen wurden jahrelang durch zwei Personen geprägt: Joschka Fischer, der spätere Außenminister, und Otto Schily, der spätere Innenminister. Fischer war anfangs nicht der große Zampano, das war eher Schily.
Fischer wollte auffallen. Er fiel auf mit seinem Realismus und dann aber auch mit seiner ganzen Art. Das war wohl auch so geplant. Er provozierte nach Kräften. Da war auch immer dieses Machogehabe, das eigentlich so furchtbar ungrün war, wie nur irgendetwas ungrün sein konnte. Er fiel mir allerdings auch auf durch sehr klarsichtigen Analysen über die Verlogenheit des Moralismus von anderen. Mir war das auch suspekt. Ich konnte mit der messianischen Art von Petra Kelly nicht viel anfangen.
Warum nicht?
Sie monologisierte sehr stark. Mit ihr konnten Sie ja gar nicht nach normalen Regeln kommunizieren. Das ging nicht. Sie wurden mit einem Wortschwall überhäuft und das mit einer dosierten Emotionalität. Manchmal hab ich gedacht, die macht das ganz kalkuliert, aber das war nicht so. Die konnte richtig hart sein, aber im nächsten Moment in Tränen aufgelöst, so dass man es ihr nicht übel nehmen konnte. Trotzdem hat sie natürlich viel bewegt.
Zur Person
Hubert Kleinert, 53, ist Professor für Politikwissenschaft in Gießen und gilt als Vordenker der ersten grünen Fraktion im Bundestag. Von den Fundis wurde er als "Realissimo" beschimpft, weil er schon früh für Bündnisse mit der SPD plädierte.
Wie kam Ihnen Schily vor?
Schily hat mir erst furchtbar imponiert. Der wusste, was er wollte. Der hat eine klare Sprache gehabt. Was er erzählt hat, war nachvollziehbar. Da hatte ich auch das Gefühl, das ist einer, da orientierst du dich auch mal dran. Der weiß, was er will, der kommt hier auch zurecht. Der war auch nicht so weitschweifig moralisierend.
Wie kam seine Art ansonsten bei Ihnen an?
Ich bin faktisch der Chef!, das war seine Einstellung. Ein anderes Rollenverhalten hat er ja bis heute nicht. Das ist die einzige Konstante. Diese Selbstüberhebung, die dahinter steckt, ist im Laufe der Jahre nicht kleiner, sondern größer geworden.

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Aber Sie sind mit ihm ganz gut ausgekommen, oder?
Damals schon. Das war nicht leicht mit ihm, weil er wirklich von einer Selbstgerechtigkeit war, die einem dann bald auch mal störend aufgefallen ist. Aber es war ja fast eine Ehre, dass er einen ernst nahm. Mir ist allerdings bald aufgefallen, dass er kein großer Stratege ist. Wenn es um politische Einschätzungen von grundlegender Bedeutung ging, war Fischer eindeutig besser. Das muss man ihm lassen. Mit Fischer konnte man viel leichter strategische Debatten gescheit strukturieren.
Mehr zum Thema ...
... finden Sie im aktuellen stern-Heft. Darin: Was ist bloß aus ihnen geworden? Vor 25 Jahren zogen die Grünen in den Bundestag ein. Claus Lutterbeck und Jan Rosenkranz haben die Alternativen von damals besucht.
Was war der Unterschied im Naturell der beiden?
Joschka Fischer ist auch ein unglaublicher Ich-Typ, aber anders als Otto Schily. Der wusste zum Beispiel genau, wann es wichtig ist, jemand anderem auch mal zuzuhören - im eigenen Interesse. Aber Schily war zu sehr nur auf die Frage bezogen: "Wer schmeichelt mir?" Da konnte auch eine Lokaljournalistin kommen. Er konnte gar nicht unterscheiden, was wirklich wichtig ist. Fischer hatte dagegen einen realistischeren Blick. Gebrochen immer, denn bei Fischer ist das Problem, dass er das alles letzten Endes berechnend für seine eigenen Zwecke gemacht hat. Fischer hat ein elementares Problem. Er kann eigentlich nicht auf einer gleichberechtigten Ebene eine soziale Beziehung einzugehen, die von Geben und Nehmen geprägt ist. Die Psychologen nennen das Empathiemangel.
Wir haben jetzt über die Grünen intern geredet. Es gab vor 25 Jahren aber eine CDU, die sich auf die Schenkel geschlagen hat, "hier kommen die Gammler, die Penner, die Kommunisten". Wie war das, grölend begrüßt zu werden?
Ach Gott, ich habe das damals nicht anders erwartet. Zu der Zeit waren die Feindbilder klar. Mich hat das nicht weiter gestört.
Wurden Sie persönlich denn auch mal angegangen von denen?
Tätlich nicht. Ich weiß aber noch, wie bei meiner ersten Bundestagsrede irgendein Abgeordneter von der CDU rief: "Wie sieht der denn aus? Gehen Sie doch mal zum Friseur." So was in dieser Richtung kam. Das war so das Übliche. Aber das hat mich überhaupt nicht getroffen.
In Hamburg kommen sich Schwarz und Grün gerade sehr nahe. Das hätte man sich damals nicht vorstellen können.
Nein, das war außerhalb der Reichweite unserer Diskussionen von damals. Über Schwarz-Grün haben wir nie geredet. Ich hätte mir das damals nicht vorstellen können, aber seit mindestens zehn Jahren schon. Erstens gab es eine gewisse Desillusionierung über Rot-Grün und zweitens ist es ja manchmal so, dass der größere Abstand ein Zusammenarbeiten erleichtern kann. Abstand kann für respektvolle Umgangsformen sorgen.
Viele Grüne sterben immer noch lieber in ideologischer Schönheit als sich in der Wirklichkeit die Finger schmutzig zu machen.
Wir haben früher zu viel in Schwarz-Weiß-Kategorien gedacht, auch in der innerparteilichen Auseinandersetzung. Diese ganze Fundi-Realo-Kontroverse war intellektuell nicht besonders ergiebig. Heute kann man gar nicht verstehen, warum sich eine Partei jahrelang um solche banalen Fragen, ob man mitspielen soll oder nicht, heillos zerstreitet. Ich rate den heutigen Akteuren, sich streng an den inhaltlichen Fragen zu orientieren.