Angela Merkel müsste sich jetzt klonen, um alle Brände zu löschen, mit der sich die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende derzeit konfrontiert sieht. Auch ein Einsatz nahezu rund um die Uhr, der ihr am Montagmorgen bei einem Auftritt im Kanzleramt anzusehen ist, reicht da wohl nicht aus. Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle hat es nicht besser.
Die vier großen Baustellen der Bundesregierung: das Desaster für Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit dem Verlust der Mehrheit auch im Bundesrat; das gigantische 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket für die Euro-Gruppe; die deutschen Geldnöte; und die Sorge um den gesundheitlich angeschlagenen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).
FDP kann sich Steuersenkungen abschminken
Am Tag eins nach der NRW-Wahl kassiert Merkel erst einmal jegliche Hoffnungen - vor allem die des Koalitionspartners - auf baldige Steuersenkungen. Ihre politischen Gegner sagten seit Wochen voraus, dass sie mit der bitteren Wahrheit nur bis zur NRW-Wahl warten werde. Merkel spricht von einer bisher "vielleicht zu starken Schwerpunktsetzung auf diese Steuersenkung" und meint damit die FDP. Auch Westerwelle rudert zurück und macht ein "faires Steuersystem" zum Thema. Statt mit Steuerentlastungen rechnen viele Bürger durch Schuldenbremse und Einsparungen nun viel mehr mit Steuererhöhungen.
Ihren Ärger über das Beharrungsvermögen der FDP in der Steuerfrage drückt Merkel wie so oft staubtrocken aus: "Die Wirkung war nicht produktiv für die Landesregierung. Da kann man nur für die Zukunft Besserung versuchen, und ich werde meinen Beitrag dazu leisten." Fast überhört man den wie eine Drohung wirkenden Nachsatz "... mit großer Entschlossenheit."
NRW-Desaster trifft auch CDU-Chefin hart
Ein Jahr lang sind nun keine Wahlen mehr. Das bietet Luft für harte Beschlüsse als Kanzlerin. Als Parteichefin könnte Merkel aber ein schärferer Wind entgegenwehen. Der Schlag gegen die NRW-CDU bei der wichtigen Landtagswahl am Sonntag - der auch sie als Parteichefin trifft - erforderte eigentlich schon ihre ganze Kraft als Krisenmanagerin. Zeit genug dafür dürfte sie kaum haben.
Möglicherweise hat Merkel ihre Vorstellungen von einer nach vielen Seiten offenen CDU den Parteianhängern auch bisher nicht genug erklärt. Vor allem innerhalb des konservativen Lagers in der CDU wird immer wieder einmal ein Mangel an Profilschärfe beklagt. Die Parteichefin sagt aber selbstbewusst: "Von der Grundausrichtung sehe ich keinen programmatischen Veränderungsbedarf."
Zur Schadensbegrenzung kann die CDU nun nur auf eine Große Koalition mit der SPD in Düsseldorf setzen. Der Preis dafür dürfte hoch sein. Möglicherweise ist Merkel selbst zu Zugeständnissen gegenüber der Bundes-SPD bereit: "Ich habe zugesagt, dass wir da, wo wir von der Bundes-CDU hilfreich sein können, hilfreich sein werden." Das Ringen könnte zu einer neuen Belastung zwischen Merkel und Westerwelle führen, wenn die FDP entgegen ihrer Ankündigung eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen eingehen und die CDU so ausbooten würde.
Merkels unrühmliche Rolle in Euro-Krise
Doch viel kritischer als die "herbe Niederlage" in NRW erscheint die Euro-Krise mit den nun nötigen Beschlüssen von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Die NRW-Wahl werde durch die gewaltigen Anstrengungen der Politik, die Finanzmärkte zu regulieren und den Angriff von Spekulanten auf den Euro abzuwehren, dagegen bald vergessen sein, heißt es.

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Merkel muss sich auch anhaltend geharnischte Kritik aus dem In- und Ausland anhören, sie habe mit einer lange abwehrenden Haltung zu Krediten für andere Eurostaaten die Krise verschlimmert. Ihr Motiv sei nichts anderes als die NRW-Wahl gewesen. "Sie wollte zu Hause eine Wahl gewinnen, indem sie der europäischen Solidarität den Rücken kehrt. Nun muss sie dafür zahlen. Und Europa hat einmal mehr Schaden genommen", meinen etwa die französischen Sozialisten.
Dass Merkel mit ihrem Bestehen auf der Einhaltung des EU-Vertrags und der Einbindung des Internationalen Währungsfonds (IWF) auch Schaden von der EU abgewendet haben könnte, wird nicht anerkannt.
Spekulationen um angeschlagenen Schäuble
Zu aller finanzpolitischen Dramatik kommt noch eine menschliche: Der schlechte Gesundheitszustand Schäubles. Der 67-Jährige, der seit einem Attentat vor 20 Jahren im Rollstuhl sitzt, hat sich nach einer Routine-Operation vor Ostern nicht vollständig erholt. Der Ausnahmepolitiker hat sich auch keine Zeit dafür genommen und entgegen dem Ratschlag seiner Ärzte anstrengende internationale Termine wahrgenommen. Nun ist er bei einer wichtigen Sitzung am Sonntag in Brüssel erneut ausgefallen.
Schon seit Wochen wird spekuliert, Merkel könne an Schäuble nicht festhalten, wenn er in dieser international so hochkomplizierten und brisanten Finanzlage nicht dauerhaft präsent sei. Die Regierung weist das hartnäckig zurück. Merkel sagt allgemein, eine Kabinettsumbildung wäre "kontraproduktiv". Die Spekulationen konnte sie aber nicht abwehren.
P.S. Was sagen Sie zu dem Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Wer soll nun mit wem koalieren? Und was bedeutet das Resultat für Berlin und die Bundespolitik. Diskutieren Sie mit uns auf unserer stern.de-Facebookseite