Der blau-weiße Himmel hat sich eine längere Auszeit genommen. Graue Quellwolken liegen über dem Münchner Marienplatz. Es sieht nicht nach Gewitter aus, aber nach Regen. Schöner Mist. Dabei hatte sich der Moderator noch anfangs über die SPD lustig gemacht, deren Münchner Kundgebung mit Franz Müntefering und seinem Namensvetter Maget am Vortag von einem echten Herbstguss begeleitet wurde.
Jetzt steht Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Bühne, und das schlechte Wetter kündigt sich in kleinen, feinen Tropfen an, die den Spannstoff der CSU-Sonnenschirme aufweichen. Der Münchner Marienplatz ist voll mit Zuhörern, 8000 sind gekommen. Es ist die größte Veranstaltung des bayerischen Wahlkampfs. Schafft die CSU noch die Wende zum Guten?
Größere Tropfen folgen auf die kleinen. Menschen halten sich ihre blau-weißen Sitzkissen über den Kopf, oder einfach eine Zeitung. Einige schauen etwas verbiestert – aber sie hören weiter zu. Angela Merkel ist heiser, sie kiekst oft, als sie die Menschen begrüßt. "Heute ist meine Stimme wieder da", sagt sie. "Und ich hoffe, dass ihre Stimme am Sonntag für die CSU da ist." Die Leute auf dem Marienplatz klatschen. Manche sind ganz entzückt von der Leidensfähigkeit der CDU-Vorsitzenden, die stimmlich bis zum Letzten geht. Erwin Huber und Günther Beckstein stehen neben ihr. Sie klatschen ebenfalls. Und zeigen sich oberflächlich erfreut, dass sich die Zuhörer über Frau Merkel freuen. Aber in ihnen müssten in diesem Moment schon alle Alarmglocken bis zur Schmerzgrenze schrillen: Warum bekommt diese Preußin aus dem gebeutelten Mecklenburg-Vorpommern wohl mehr Applaus als wir?
Der richtige Ton fehlt
Die Abschlusskundgebung der CSU am Freitagabend in München war wohl symptomatisch für den gesamten Wahlkampf der ehemaligen bayerischen Quasi-Staatspartei. Der richtige Ton ist verloren gegangen. Jemand hat den Frequenzknopf verstellt, seit einiger Zeit funken Volk und Regierung nicht mehr auf derselben Wellenlänge.
Deutlich wurde das vor allem bei der Rede Erwin Hubers. Ein fast schon tragischer Auftritt. Jahrzehntelang haben es hochrangige Christsoziale verstanden, Emotionen zu wecken. Oft waren sie positiver Natur, nicht umsonst hatte Edmund Stoiber mit mehr als 60 Prozent im Jahr 2003 eine Zweidrittel-Mehrheit erzielt. Aber wenn man schon nicht für Stoiber, Strauß oder wen auch immer war, dann konnte man wenigstens gegen sie sein. Und zwar mit Inbrunst. Ganz anders war es am Freitag bei Erwin Huber: Abgesehen von einer stetig und gespenstisch jubelnden Reihe von Jungunionisten vor der Bühne war es ruhig im Publikum. Kein Klatschen, kein Murren. Nur Stille. Ein schlimmeres Zeugnis hat das Volk wohl selten einem CSU-Chef ausgestellt.
Bräsige Rhetorik
Der erging sich in bräsiger Spitzenreiter-Rhetorik. Schaut her, wie toll wir sind. Ein ungeschnittener O-Ton: "Bayern ist der besondere Freistaat, Bayern ist außerhalb der Norm der anderen Bundesländer, wir setzen Maßstäbe. Bayern ist mittlerweile der beneidete Klassenprimus." Oder: "Wir sind es, die den früheren kommunistischen Osten nach vorne bringen, mit unserer Wirtschaftskraft." Als Huber vom Podium wegtritt, sehen ihm die Leute apathisch zu. Nur einer ruft von hinten: "Huber, ich will ein Kind von dir!"

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Eine Stunde zuvor, nur 500 Meter weiter am Stachus, hatte die Linke ihre Abschlusskundgebung abgehalten. Ein paar hundert Menschen kamen. Gregor Gysi zeigte sich vor einigen hundert Zuhörern in München überzeugt, dass die Linke am Sonntag den Einzug in den bayerischen Landtag schaffen werde. "Wir überschreiten die Fünf-Prozent-Hürde und verändern damit die politische Kultur in Bayern", rief er den Anwesenden zu. Oskar Lafontaine griff unter anderem die aktuelle Finanzkrise auf und kritisierte das System scharf.
Münte will Stoiber gratulieren
Dem bayerischen Spitzenkandidat der Linkspartei, Fritz Schmalzbauer, war es vorbehalten, vor allem die CSU und die Verhältnisse in Bayern zu kritisieren. Es gebe eine soziale Schieflage und ein Demokratieproblem im Freistaat, sagte er und bezeichnete die CSU als "reaktionäre" Bremse.
In Nürnberg trat am Freitag noch einmal Franz Müntefering auf. "Ein Maget ist für Bayern besser als Huber und Beckstein zusammen", sagte er. Deshalb werde der Sieger bei der Wahl am Sonntag Franz Maget heißen. "Sonntagabend wird der Minusbalken der CSU unten aus dem Fernseher herauskommen." Und: "Der Strauß war immerhin noch Bundesliga, aber die beiden können das nicht", sagte Müntefering in Anspielung auf Erwin Huber und Günther Beckstein. Deshalb würde er gerne am Sonntag den früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber anrufen und ihm gratulieren: "Gut, dass die beiden weg sind." Kleine Eruptionen am Rande. Die anderen kommen näher.
Beckstein trifft den Ton
Ministerpräsident Beckstein tritt ans Mikrofon. Er macht seinen Job deutlich besser als Huber. Wohl auch, weil er momentan vielleicht der einzige Spitzen-CSUler ist, der diesen richtigen Ton treffen kann. Es ist ein Zwischending: Mehr als volkstümlich, aber noch nicht ganz offen populistisch. Zumindest für bayerische Ohren. "In der Mitte der nächsten Legislaturperiode werden wir dafür sorgen, dass überall Vollbeschäftigung herrscht", sagt er. Und wer dann immer noch keine Arbeit hat? Dem sagt Beckstein: "Bürschle, dir werden wir schon helfen."
Einige Minuten später kommt er auf die Bildungspolitik zu sprechen. "Jeder Meister kann bei uns ohne Weiteres studieren. Praktische Bildung ist genauso viel wert wie theoretische Bildung", sagt Beckstein. "Wir werden niemals den Hochmut der Linken haben, zu sagen, dass ein Mensch ohne Abitur nichts wert ist." Das kommt an. "In Bayern ist nicht der Ellebogen das wichtigste Körperteil, sondern das Herz." Er bekommt Applaus. Und immerhin auch ein paar Buhrufe.
"Erst einsperren, dann ausweisen"
Letztere werden sukzessive lauter, als er sich zur Sicherheits- und Einwanderungspolitik äußert. "Jeder weiß, dass Sicherheit und Freiheit zusammengehören. Auch die Krankenschwester kann in München nach dem Nachtdienst mit der U-Bahn nach Hause fahren." Als er auf den jungen Ausländer zu sprechen kommt, der Ende vergangenen Jahres einen Rentner in der Münchner U-Bahn auf die Intensivstation geprügelt hat, sagt Beckstein: "Ich finde es gut, dass er zu zwölf Jahren verurteilt wurde." Seine persönliche Devise in solchen Fällen laute: "Erst einsperren, dann ausweisen und abschieben. So jemand hat bei uns nichts zu suchen." Bei linken Gruppen löst Beckstein seit Jahren mit solchen Äußerungen kollektiven Bluthochdruck aus. Die Trillerpfeifen werden lauter. Doch seine Rede ist schon bald danach zu Ende. Eine kleine Gruppe ruft: "Hau ab, hau ab, hau ab!"
Als endlich Angela Merkel zu ihrer Rede ansetzt, wird sie mit Blasmusik begrüßt. Im Publikum gibt es sogar richtigen Jubel. Die Kanzlerin lobt Franz Josef Strauß: "Er hat Bayern nach vorne gebracht. Und indem Bayern nach vorne gekommen ist, wurde auch Deutschland nach vorne gebracht." Beim Namen "Strauß" geht ein Raunen durch die Menge, begleitet von Klatschen. Merkel lobt die Bildungspolitik Bayerns, die Wirtschaftskraft. Sie sagt sogar, dass die CDU eine starke CSU brauche: Schon deshalb, weil die bayerische Schwesterpartei die Hand am Puls des Volkes habe. Doch gerade das wirkt an diesem Abend wie eine Legende aus alten Tagen.
Wer es nicht glauben wollte, konnte es direkt nach Angela Merkels Rede sehen. Der Regen wird ein klein wenig stärker, und mit dem letzten Wort der Kanzlerin stobt die Menge auseinander. CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer spricht das Schlusswort, und viele hören ihre Stimme nur noch als immer leiser werdenden Störfunk beim Abstieg in den U-Bahnschacht: "Jeder von ihnen kann dazu beitragen, dass Bayern in seiner Einzigartigkeit auch weiterhin an der Spitze der Bundesländer……."