CSU-Chef vor Parteitag Mit seinem Renten-Kunststück beeindruckte Söder selbst Kritiker – jetzt zittert er

  • von Peter Fahrenholz
CSU-Chef Markus Söder
CSU-Chef Markus Söder: Es wird ein ruhiger Parteitag – oder?
© stern-Montage: Illustration: Philipp Sipos / stern; Fotos: Imago Images; Picture Alliance
Eines kann Markus Söder besser als jeder andere: dafür sein – und gleichzeitig dagegen. Im Rentenstreit machte er sich so Freunde. Trotzdem blickt er nervös auf den CSU-Parteitag.

Wahrscheinlich gibt es in der deutschen Politik niemanden, der ein so feines Gespür für den richtigen Augenblick hat wie Markus Söder. Für den CSU-Vorsitzenden war dieser Augenblick am Sonntag, den 16. November, gekommen, auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Kanzler Friedrich Merz hatte dort tags zuvor einen desaströsen Auftritt gehabt. Söder war darüber bestens im Bilde, durch die Berichterstattung der Medien, durch das dichte Netz seiner Zuträger. 

Söder streichelte die Seelen der Jungen, zollte ihnen "Respekt für euren Auftritt", forderte völlig überraschend neue Verhandlungen mit der SPD. Und streute, wenig überraschend, einen kleinen Seitenhieb auf Merz ein. Wenn man alles als Majestätsbeleidigung empfinde, werde man keinen Erfolg haben.

Söder schaffte mit diesem Auftritt zweierlei: Er reparierte sein eigenes ramponiertes Verhältnis zum Parteinachwuchs, der ihn zuvor auf der Landesversammlung der bayerischen JU wegen der Mütterrente heftig attackiert hatte. Und er tat so, als habe er mit der absehbaren Eskalation des Rentenstreits zwischen Kanzler und Junger Gruppe in der Unionsfraktion nichts zu tun.

Besondere Zugabe: Weil sich alles auf den Streit um die Haltelinie fokussierte, verschwand Söders selbst in den eigenen Reihen umstrittene Mütterrente wie von Geisterhand von der politischen Tagesordnung. Seither behauptet der CSU-Chef bei jeder Gelegenheit, niemand habe mehr etwas gegen sein Lieblingsprojekt.

Söder kann gleichzeitig dafür sein – und dagegen

Bis dahin hatte er keinerlei Neigung gezeigt, das Rentenpaket nochmal aufzuschnüren und lag damit ganz auf der Linie von Merz. Ohne das Paket wäre auch seine Mütterrente in Gefahr geraten. Söder übte sich in einer Disziplin, in der die CSU jahrzehntelange Erfahrung besitzt: gleichzeitig dafür und dagegen zu sein. Bei der Jungen Union umgarnte er die Jungen, wenige Tage später forderte er mehr Mannschaftsgeist in der Union und weniger Kritik an Kanzler Merz.

Und in der entscheidenden Woche vor der Abstimmung im Bundestag machte Söder etwas, was er sonst nie macht: Er schwieg und tauchte ab. Weder in der Unionsfraktion noch in der eigenen CSU-Landesgruppe warf er sich für jenes Rentenpaket in die Bresche, an dem er selbst beteiligt war.

Dem bayerischen Ministerpräsidenten gelang ein Kunststück, das selbst seinen Kritikern Respekt abnötigt: auf maximale Distanz zum Berliner Regierungsstreit zu gehen, ohne irgendeinen der Beteiligten zu verprellen. "Er schafft es, überall der Gute zu ein", sagt ein prominenter Parteifreund. "Er spielt das Spiel perfekt". In Söders Umfeld hört sich das ganz ähnlich an. Söder habe das "clever gemacht", heißt es dort. Ihm ist es gelungen, den Eindruck zu erwecken, als sei die CSU gar nicht Teil der Berliner Koalition, als gehe es nur um einen Streit zwischen CDU und SPD. 

Selbst Konrad Körner, der einzige CSU-Bundestagsabgeordnete in der Riege der 18 jungen Rentenkritiker, folgte dem Sowohl-als-auch seines Parteichefs. Er stimmte weder dafür noch dagegen – er enthielt sich. Söder beteuerte nach der Sitzung des CSU-Vorstandes am Montag, er habe keinerlei Einfluss ausgeübt und sich aus dem parlamentarischen Verfahren herausgehalten. Körners Enthaltung findet er aber "sehr positiv", weswegen in der CSU-Landesgruppe die Vermutung kursiert, Körner, der als Gefolgsmann Söders gilt, habe in enger Abstimmung mit seinem Parteichef gehandelt.

Söder ist "hochnervös" vor dem Parteitag

Dass die Abstimmung über das Rentenpaket wenige Tage vor dem CSU-Parteitag am 12. und 13. Dezember gut ausging, machte Söders Glück komplett. Denn dieser Termin treibt ihn seit Monaten mehr um als jede andere Frage. Er sei, so hört man in der CSU aus ganz verschiedenen Ecken, deswegen seit vielen Wochen "hochnervös".

Für Söder geht es darum, bei seiner Wiederwahl ein so gutes Ergebnis zu erzielen, dass er sich nicht nur als Stabilitätsanker der Berliner Koalition inszenieren, sondern auch die Unruhe in seiner eigenen Partei abschwächen kann. Was er dafür tun konnte, hat er getan. Er war unentwegt als Umarmer und Umgarner an der Basis unterwegs, hat einen ausgeglichenen Landeshaushalt vorgelegt und damit die Schuldenkritiker der Jungen Union besänftigt und hat rechtzeitig vor den Kommunalwahlen im März ein Finanzpaket für die Kommunen präsentiert. Aber der Dauerstreit in der Regierung hätte auch an ihm hängen bleiben können, wenn er sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätte.

In der CSU gelten für die Wahl des Vorsitzenden andere Maßstäbe als in allen anderen Parteien. Alles unter 90 Prozent ist für christsoziale Verhältnisse ein Dämpfer, um die 85 Prozent sind ein Denkzettel, alles darunter ist ein Debakel. In der Geschichte der CSU hat es immer wieder Ergebnisse von knapp unter 100 Prozent für den jeweiligen Vorsitzenden gegeben. Und bei Söder liegt die Latte dieses Mal hoch, was seine Nervosität erklärt. 

2023 hat ihm die CSU zwei Wochen vor der Landtagswahl mit 96,6 Prozent sein bisheriges Rekordergebnis beschert. In normalen Zeiten ist das kaum wiederholbar. Wenn eine Neun vorne steht, kann Söder beruhigt sein. Dann müsste er nicht befürchten, dass die Kritik an seinem Führungsstil, die sich breit in die eigene Partei gefressen hat, neue Nahrung erhält. Oder dass ein unbefriedigendes Ergebnis bei den Kommunalwahlen an ihm festgemacht werden kann.

Die K-Frage ist abgeschlossen – wirklich?

Bis zu den Kommunalwahlen wird in der CSU alles ruhig bleiben. Doch wie Söder, der sich im Moment in der Rolle des Streitschlichters gefällt, danach drauf sein wird, wie er sich seine eigene politische Zukunft vorstellt, weiß niemand in der CSU genau. Söder, so wird in der Partei kolportiert, halte sich alle Optionen offen, das gelte auch für die Nachfolge des Bundespräsidenten, ein Amt, das ihn bisher nie gereizt hat. Und es gilt erst recht für das Amt, von dem er immer noch träumt.

Als ihn Caren Miosga am vergangenen Sonntagabend auf die Fährte zu locken versucht und fragt, ob er in seiner jetzigen Funktion für die CSU bei den Koalitionsverhandlungen nicht viel mehr habe herausholen können, als er als Kanzler jemals hätte schaffen können, antwortet er zunächst brav: "Die Sache ist abgeschlossen." Um sich dann doch kitzeln zu lassen. "Bei mir, wenn ich Kandidat gewesen wäre, wäre die Chance, glaube ich, schon ganz gut gewesen."

Da war er wieder, der Stachel, der tief in Markus Söder sitzt.

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