Angela Merkel hat lange nachgedacht über die beste Reisezeit für Athen. Sie wollte unbedingt die richtige machtpolitische Großwetterlage erwischen. Lange sah es nämlich so aus, als würde der Kanzlerin eine Reise in die Hauptstadt der Euro-Krise zu Hause in Deutschland mehr schaden als nützen. Als würde Europas mächtigste Wächterin über Haushaltsdisziplin und Reformeifer die überschuldeten Griechen mit einer Stippvisite voreilig freisprechen vom Spardruck.
Doch jetzt, nach knapp drei Jahren griechischer Tragödie, hält Merkel das Klima für die heikle Reise in den Süden für günstig. Nicht nur Griechenland, auch sie selbst kann von dem Kurzbesuch als Signal der Solidarität profitieren. Zwar sind es mit der Kanzlermaschine noch nicht einmal drei Stunden Flug von Berlin nach Athen - doch für Merkel ist der Weg sehr viel weiter: von den harschen Tönen, die sie zu Beginn der Krise noch angeschlagen hatte, bis zu dem mitfühlenden Bekenntnis dieses Sommers, dass ihr beim Gedanken an die von Einschnitten betroffenen griechischen Rentner "das Herz blutet".
Keine Versprechen, keine Leviten
Dass Merkel in Athen neue Hilfsmilliarden verspricht, ist nicht zu erwarten. Aber dass sie den Griechen in aller Strenge so wie früher die Leviten lesen wird, das ist inzwischen, knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl, ebenfalls schwer vorstellbar. So weit hat Merkel sich gewandelt - vor allem aus innenpolitischem Machtkalkül.
Im Frühling 2010, mitten im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf, hatte Merkel den Griechen noch entgegengeschleudert: "Ihr müsst sparen, ihr müsst redlich werden, ihr müsst euch ehrlich machen!" Unter dem Jubel der CDU-Anhänger verkündete sie auf dem Marktplatz von Bocholt, für Athen werde es nicht einen Euro Hilfe geben. Unter großer Mühe musste sie dann doch die Mehrheiten für mittlerweile zwei milliardenschwere Hilfspakete im Bundestag zustande bringen. Immer wieder sprach Merkel in dieser Zeit von Griechenland als einem "Sonderfall" und befeuerte damit Spekulationen, dass ein Euro-Austritt denkbar wäre, anders als bei den Problemstaaten Portugal, Spanien, Italien.
Gefunden in der
Doch von Anfang an begleitete Merkel die Angst vor einer unkalkulierbaren Kettenreaktion an den Finanzmärkten und in den hoch verschuldeten Euro-Südländern, sollte Griechenland tatsächlich aus dem Euro herausfallen. Zwar hat Merkel mit den anderen EU-Partnern versucht, Schutzmauern für den Fall einer griechischen Staatspleite hochzuziehen. Doch die neuen Rettungsschirme haben nicht die gewünschte Schlagkraft entwickelt, und für Merkel rückt nun die eigene Wiederwahl in den Mittelpunkt des Euro-Krisenmanagements.
Je näher die Bundestagswahl kommt, desto klarer wird nämlich: Sollte Griechenland die Euro-Zone verlassen, wäre Merkels Rettungsstrategie gescheitert. Auch deshalb schlug die Kanzlerin in diesem Sommer eine neue, wärmere Tonlage an. Nicht mehr wie einen Quertreiber stellt sie Griechenland hin, sondern eher wie ein Sorgenkind, um das Deutschland sich kümmern muss. "Ich möchte, dass Griechenland Teil der Euro-Zone bleibt. Das leitet mich", versprach Merkel Ende August dem griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras in Berlin. "Der Euro ist eine Idee eines geeinten Europas, eines irreversiblen Europas." Jegliche Häme und Überheblichkeit, die von CSU und FDP gegen Athen zur Schau gestellt wurden, verbat sich Merkel.
Lang ersehnter Respekt für die Griechen
Zwar weiß sie, für weitere Hilfsmilliarden oder eine Aufweichung der vereinbarten Sparvorgaben ist eine Mehrheit in ihrer schwarz-gelben Koalition äußerst ungewiss. Aber dass damit automatisch eine Mehrheit für einen Zerfall der Euro-Zone bereitstünde, das glaubt Merkel auch nicht. Deshalb versucht sie, das Herz der Abgeordneten und Wähler für Griechenland zu erwärmen. Mit dem Besuch in Athen erweist die Kanzlerin den Griechen den lang ersehnten Respekt und erklärt sie sozusagen für hoffähig.

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Auch den 30. Jahrestag der Kanzlerwahl Helmut Kohls nutzte sie, um die Abgeordneten auf einen Pro-Europa-Kurs einzuschwören. Mit dem "Ehrenbürger Europas" trat sie Seite an Seite auf. Und lächelte, als wäre nie etwas gewesen.