Bürgerkampagne Der Staat sind wir

Am 18. September erhält der Souverän die Macht zurück, sprich: er darf wählen. Bis dahin buhlt die Politik um des Volkes Stimme. Ein Frankfurter Werber lässt diese nun an die Politik appellieren.

Die CSU hat neulich ein Wahlplakat gezeigt, auf das sie glaubt, stolz sein zu können. Statt des obligatorischen Stoibers zeigt das Motiv das gesamte Wahlprogramm der Union - nur das Wort "Wechsel" wurde in dem Text ausgespart. "Wir haben ein Wahlprogramm, mit dem wir uns trauen, Werbung zu machen", sagt Generalsekretär Markus Söder.

Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass Parteien sich normalerweise nicht trauen, für ihre Programme zu trommeln. Das ist natürlich ebenso nahe liegend wie unfair. Zumindest scheint in die Parteizentralen die Erkenntnis einzusickern, dass sich Botschaften auch abseits der herkömmlichen Politpropaganda darstellen lassen.

Schon im letzten Bundeswahlkampfjahr 2002 hatte der Magdeburger Sprachforscher Armin Burkhardt die Parteien-Werbung als hohl bezeichnet. "Der Wahlkampf und seine Sprache sind an Langweiligkeit nicht zu überbieten", sagte Burkhardt damals. Jürgen Castner, Werber aus Frankfurt, sieht das genauso.

"Kreativ und inhaltlich ist die klassische Wahlkampfwerbung wenig erfreulich", sagt er stern.de. Außerdem, und das stört Castner noch mehr, würden sich Politiker ausschließlich mit sich selbst beschäftigen und ihre Wahlkämpfe nur in einer Richtung lenken: Die Politik appelliert an den Bürger: "Wähl mich!" Ein-Weg-Kommunikation nennt er das.

Als Chef des neu gegründeten Werber-Netzwerks Red Adair hatte er deshalb vor wenigen Wochen den Einfall, den Spieß umzudrehen: "Wir wollen die Politiker auffordern, die Botschaften ihrer Bürger zu hören", so Castner. Deshalb hat der Red-Adair-Chef sein Team aus freien Werbern aufgerufen und gebeten eine "Bürger-Kampagne" zu entwickeln. Innerhalb von weniger als drei Tagen sind dabei neun, sehr unterschiedliche Plakat-Serien entstanden. "Die Verschiedenheit, finde ich, macht ihren Reiz aus."

Insgesamt 28 Motive haben sich die fünf Teams ausgedacht. Die Aussagen reichen von kurz über Stammtischniveau ("Ihr da oben, wir da unten? Liebe Politiker, so läuft das nicht mehr") über Kalendersprüche bis zu Anlehnungen an die alte "Viva-TV-Werbung ("Liebt mich. Ich bin ein Wähler"). Am stärksten wirkt die so genannte Kampagne 1. Auf fünf Plakaten, die alle im Stil offizieller Bundesregierungsverlautbarungen gehalten sind, sind gänzlich unglamourös, einfache Bürger zu sehen: Ein Handwerker, eine Familie am Strand, ein Rollstuhlfahrer. Daneben steht der einst von Sonnenkönig Ludwig XIV. geäußerte Satz: "L'État, c'est moi".

Ob das Volk, also der Souverän, allerdings die Chance haben wird, sich auf diese Weise an die Politik zu wenden ist noch unklar. Weil es für die "Bürgerkampagne" keinen Auftraggeber gibt, es also keinen Geldgeber gibt, fehlen Red Adair die Mittel, Anzeigen zu schalten oder Plakate zu kleben. Und außer einem Frankfurter Stadtmagazin hat sich bisher noch niemand gefunden, der freiwillig eine Anzeigenseite für die Motive hergibt.