Kurz vor der Kür des neuen Bundespräsidenten ist ein heftiger Streit über die Nominierung des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger als CDU-Wahlmann entbrannt. Ein breites Bündnis aus SPD, Grünen, PDS, Künstlern sowie Nazi-Verfolgten kritisierte am Donnerstag in scharfer Form die Entsendung des früheren NS-Richters in die Bundesversammlung. Sie appellierten an die CDU, diesen "peinlichen Missgriff" zu korrigieren.
CDU: "Scheinheilige" Debatte
Die Christdemokraten hielten trotz der Proteste an Filbinger fest. "Er ist ein verdienter Mann und wird nicht als Mitglied der Bundesversammlung zurückgezogen", erklärte der Stuttgarter CDU-Fraktionschef Günther Oettinger. Er nannte die Debatte "scheinheilig". Schließlich hätten alle Landtagsfraktionen die Parteilisten für die Mitglieder der Bundesversammlung einschließlich Filbinger bestätigt, sagte er. Die Vorwürfe enthielten nichts Neues. Filbinger habe schon an früheren Wahlen des Bundespräsidenten mitgewirkt.
Weil Filbinger als NS-Marinerichter bis kurz vor Kriegsende an der Verhängung von Todesurteilen beteiligt war, musste er 1978 als Ministerpräsident zurücktreten.
Die Bundespräsidentenwahl ist am Sonntag. Könnten die Deutschen den Nachfolger von Johannes Rau direkt wählen, würde der Kandidat von Union und FDP, Horst Köhler, knapp gewinnen. Er erhielte laut einer ARD-Umfrage 36 Prozent. Die rot-grüne Bewerberin Gesine Schwan bekäme 34 Prozent. CDU/CSU sowie Liberale haben die Mehrheit in der Bundesversammlung, weshalb Köhler Favorit ist. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte der "Bild"-Zeitung, Köhlers Wahl sei ein erster Schritt zum Regierungswechsel.
FDP bleibt stumm
Die Bundeszentralen von CDU und FDP wollten keine Stellungnahme zur Entsendung Filbingers in die Bundesversammlung abgeben. Der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef Michael Müller nannte die Entscheidung "geschmack- und instinktlos". Er riet der CDU, das Vorgehen zu überdenken. Für die Grünen sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck: "Das ist ein sehr merkwürdiges Signal an die Gesellschaft, jemanden, der so uneinsichtig ist und war wie Filbinger als Wahlmann aufzustellen."
Kritiker der Nominierung Filbingers appellierten an Köhler, auf die Stimme eines früheren NS-Richters zu verzichten. PDS-Chef Lothar Bisky warnte die Union davor, dem Ansehen des deutschen Staatsoberhauptes zu schaden. Die CDU schiele nach dem rechten Rand und habe aus dem "Fall Hohmann" nichts gelernt.

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PEN protestiert
Der Schriftstellerverband PEN sprach von einer "skandalösen Missachtung und Beschädigung" der Bundesversammlung. Mit Filbinger "gibt ein Mann in Vertretung des Volkes seine Stimme ab, der noch in den letzten Kriegsmonaten an Todesurteilen gegen Deserteure mitgewirkt hat". Wer immer Raus Nachfolge antrete: "Die Stimme Filbingers wird ein Makel sein."
Laut "Spiegel Online" schrieb der Dramatiker Rolf Hochhuth an Köhler, der neue Präsident begebe sich auf Filbingers Niveau, "wenn er sich von einem ruchlosen Soldatenmörder ins Amt einführen lässt". Er hoffe, "dass nicht wenige unserer Abgeordneten die Konsequenz aus dieser ekelhaften Brandmarkung des deutschen Volkes ziehen - und die Gegenkandidatin wählen", meinte Hochhuth.