Grüne in Baden-Württemberg "Oettinger ist unverdächtig"

Nein, auch Winfried Kretschmann reicht die Entschuldigung Günther Oettingers in der Causa Filbinger nicht. Dennoch packt der Grünen-Fraktionschef den CDU-Mann im stern.de-Interview auffallend behutsam an. Der fische nicht bei den Rechten, Schwarz-Grün sei mit ihm denkbar - unter einer Bedingung.

Herr Kretschmann, Ministerpräsident Oettinger hat sich nun per "Bild"-Zeitungs-Interview entschuldigt. Er bedaure die Wirkung seiner Rede, sagt er. Und er habe Opfer des NS-Regimes nicht verletzen wollen. Im Übrigen sei Filbinger nie Widerstandkämpfer gewesen. Was ist diese Entschuldigung wert?

Oettinger rudert erkennbar zurück. Aber das reicht nicht aus. Denn er entschuldigt sich für Dinge, die ihm niemand vorgeworfen hat. Es hat ihm niemand vorgeworfen, dass er das NS-Regime verharmlost habe. Vorgeworfen wird ihm, dass er Filbinger im Stile einer Tatsachenfeststellung zu einem Gegner des NS-Regimes erklärt hat. Das ist Geschichtsklitterei. Damit hat er einen schweren Fehler gemacht und das Ansehen jenes Landes schwer beschädigt, das er als Ministerpräsident vertritt. Er muss den Satz zurücknehmen, dass Filbinger ein Gegner des NS-Regimes war.

Wenn Oettinger das Ansehen seines Landes beschädigt hat: Kann er dann überhaupt im Amt bleiben?

Wenn er seine Äußerungen deutlicher korrigiert, dann kann er das. Man darf auch Fehler machen.

Was erwarten Sie konkret als nächsten Schritt?

Ich erwarte eine deutliche Korrektur der Behauptung, Filbinger sei ein Gegner der Nazis gewesen. Ich erwarte, dass Oettinger spätestens in der Parlamentsdebatte die Rolle Filbingers in der NS-Zeit klar stellt. Filbinger war in das NS-Regime verstrickt. Er war kein Gegner des Regimes. Er hat an Todesurteilen mitgewirkt. Er hat Todesurteile selbst ausgesprochen. Einige konnten nur deswegen nicht vollstreckt werden, weil man der Verurteilten nicht habhaft werden konnte. Moralisch macht es das nicht besser.

Zur Person

Winfried Kretschmann, 58, ist Grünen-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag. Als Abgeordneter vertritt er den Wahlkreis Nürtingen. Der gläubige Katholik, der bei der Landtagswahl 2006 Spitzenkandidat der Grünen war, gilt als Befürworter einer schwarz-grünen Koalition.

Kann Oettinger im Amt bleiben, wenn er seine Behauptung nicht widerruft?

Das kann ich mir nicht vorstellen.

Der Streit um die Vergangenheit Filbingers hat die CDU Ende der 70er Jahre in Baden-Württemberg tief gespalten. Ist Oettingers Rede der gezielte Versuch gewesen, sich dem rechten Rand seiner Partei anzudienen?

Ich kenne Oettinger gut. Als die Republikaner hier im Landtag waren, hat er niemals gewackelt, niemals mit den Reps kooperiert. Das hat mir damals einen großen Respekt abgefordert, vor allem, wenn ich sehe, wie andere Unionspolitiker, wie etwa Ole von Beust in Hamburg, mit solchen Kerlen eine Koalition eingegangen sind. Aus meiner persönlichen Erfahrung ist Oettinger unverdächtig, den rechten Rand einsammeln zu wollen. Das möchte ich ihm nicht unterstellen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wie erklären Sie sich dann seine Äußerungen?

Dem Günther Oettinger fehlt oft ein Kompass. Er will es immer allen recht machen. In dieser Trauerrede wollte er es den Angehörigen und der Trauergemeinde recht machen. Aber das kann kein Grund sein, die Wahrheit unterzupflügen. Am Ende hat er auch der Trauergemeinde dadurch keinen Dienst erwiesen, dass er die geschichtlichen Wahrheiten verdreht hat.

Aber CDU-intern scheint das Ansehen Oettingers doch gar nicht so ramponiert. Im Gegenteil. Georg Brunnhuber, der Chef der CDU-Landesgruppe im Bundestag, hat Oettinger für seine Äußerungen - auch nach der Rede - gelobt. Für die CDU-Anhängerschaft in Baden-Württemberg habe Oettinger einen ganz, ganz großen Schritt getan. "Das wird ein Großer", sagte Brunnhuber. Hat Oettinger mit seiner Rede seine eigene Basis trotz des öffentlichen Aufruhrs gar gestärkt?

Auf gar keinen Fall. Man kann bei solchen Fragen nicht aus parteitaktischen Motiven glauben, man könnte irgendetwas gewinnen. Er ist schwer angeschlagen und beschädigt. Der fatale Korpsgeist, der in der baden-württembergischen CDU bei solchen Fragen zu Tage tritt, muss jeden Demokraten beunruhigen. Hier herrscht eine geistige Wagenburgmentalität, die versucht, sich gegenüber jeder Kritik zu immunisieren. Hier wirkt der unselige Geist Filbingers weiter.

Baden-Württemberg gilt nach wie vor als Land, in dem man eine schwarz-grüne Koalition gut ausprobieren könnte. Können Sie sich vorstellen, dass die Grünen jemals mit einem Mann koalieren, der Hans Filbinger als "Gegner des NS-Regimes" bezeichnet hat?

Die Frage ist doch immer, ob Oettinger diese Aussage korrigiert.

Vorausgesetzt, Oettinger würde die Aussage korrigieren, dann wäre er für Sie nach wie vor koalitionsfähig?

Natürlich vertieft so etwas den Graben, es vergrößert die Distanz zwischen Schwarz und Grün. Jetzt kommt er erst mal darauf an, ob Oettinger die Aussage korrigiert. In der Vergangenheit hat er die Rechtsradikalen kompromisslos bekämpft. Er hat durch sein Verhalten nie Anlass gegeben, ihn in die Nähe des rechten Randes zu rücken. Deshalb muss er die Möglichkeit erhalten, einen einmal gemachten Fehler zu korrigieren.

Sie selbst sind bei der Trauerrede in Freiburg ebenfalls anwesend gewesen. Aber Sie waren nicht sofort empört. Hätten Sie nicht aufstehen und gehen müssen, als Oettinger Filbinger als "Gegner des NS-Regimes" bezeichnete?

Man muss das Motiv betrachten, aufgrund dessen ich dort war. Zum 90. Geburtstag Filbingers bin ich bewusst nicht gegangen. Jetzt wollte ich aber nicht das Signal setzen, dass wir über den Tod hinaus Feindschaften pflegen. Als Christ muss man auch verzeihen. Der Herr lässt seine Sonne aufgehen und untergehen über Gerechte und Ungerechte. Mit dem Tod endet die persönliche Auseinandersetzung. Im Kontext so eines Requiems ist man auf Vergeben und Verzeihen gestimmt. Aber dieser Teil der Rede hat mich dann doch empört.

Aber Sie haben auch nach der Veranstaltung nicht sofort Protest geäußert.

Aus der zeitlichen Distanz stellt sich das anders da als in so einem Trauergottesdienst. Mein Landesvorsitzender hat aber, in Absprache mit mir, sofort reagiert. Die Grünen haben sich also umgehend geäußert. Darauf kommt es an, nicht auf die Person.

Interview: Florian Güßgen