"Ich bin kein Laudator“, sagt Rea Garvey zu Beginn seiner Lobesrede auf Sarah Connor. Da ist der Mann zumindest noch gut zu verstehen. Wie schnell sich die Formkurve nach unten biegen kann, wundert sich der geneigte Zuschauer kurze Zeit später, als Frau Connor ihr – oder heißt es ihren? – Bambi davonträgt. Der Mann mit dem Zopf klingt jetzt so, als hätte er sein kurzes Bühnenbreak auf dem Weihnachtsmarkt verbracht – etwas desorientiert, lingual dezent verwaschen und wohl auch ein wenig froh, es hinter sich zu haben.
Aber fangen wir nicht mittendrin an, sondern am Anfang – es ist Bambi-Abend in Baden-Baden und wer jetzt keinen Glühwein-Stand hat, der baut sich keinen mehr. Gute Laune gibt es auch ohne Schuss. Tom Buhrow reimt auf dem roten Teppich, für Paul Breitner ist es der schönste Abend des Jahres und wenn man sich die frische Mini-Pli von Tony Marshall so anschaut, wird klar: Der Schöne-Maid-Mann sieht es genauso. Und erinnert sich vielleicht sogar nach daran, wie die ersten Bambis verliehen wurden. Der Tony noch ein Kinder-Sheriff, unter den Preisträgern anno 1948 Marika Rökk und Stewart Granger.
Entertainment und Engagement im solide getakteten Wechsel
Der Old Surehand des heutigen Bambi-Abends heißt Kai Pflaume und der ergießt sich in einer Laudatio, so silbenstark, ausholend und umfassend, dass bei Überraschungslebenswerkpreisträger Frank Elstner wohl irgendwann die Hoffnung keimt, er müsse vielleicht gar nichts mehr sagen, da die Sendezeit knapp wird. Für ein paar imageträchige Einspieler im Hintergrund reicht es dennoch, Meilensteine der TV-Unterhaltung darunter: "Wetten, dass..?" und "Jeopardy". "Nase vorn" und "Koffer-Hoffer". Verdienter Preis, keine Frage, auch wenn der Applaus am Ende fast etwas kurz gerät, sodass Pflaumes Witz, in dem irgendetwas mit Instagram und Wurstbrot vorkommt, zwar klar zu hören, dafür aber leider überhaupt nicht zu verstehen ist.
Im Anschluss gibt es Entertainment und Engagement im solide getakteten Wechsel. Franz Dinda laudatiert launig über Luise Heyer, die als "Beste Schauspielerin national" ausgezeichnet wird. Kurz darauf schlägt die Pimmelstunde des Chris Tall. Wohlwissend, dass ein gut gepflegter Tourette auch dem hochgeschlossensten Saal ein Lachen abringt, lässt der frisch bambitionierte Komiker den inneren Schweinehund grinsend von der Leine: Penis. Penis. Penis. Und nochmal Penis. In der Entertainment-Branche nach #metoo sicher schon eine Erleichterung, das Wort nur zu hören, statt sich in irgendeinem Hotelzimmer näher mit selbigem befassen zu müssen.
Tommy Gottschalk darf sich zum Affen machen
Dr. Willie Smits hat mit derlei Pimmeleien nichts am Hut. Der Mann mag Orang-Utans, und die mögen ihn. Auch dafür gibt es einen Preis. Anschließend darf sich Tommy Gottschalk ein wenig zum Affen machen, steht oben in der Kinder-Loge und spricht mit den "Kids" über das Sozialprojekt "72 Stunden". Drei Tage lang etwas Gutes tun, eine Bank anmalen oder etwas ähnlich Wohltätiges, da wird selbst Gottschalk semi-seriös, wo doch die Kinder sonst "immer nur im Netz rumhängen", wie der schottenkarierte Wettenpapst a.D. unversöhnlich analysiert.
Nachdem "Das perfekte Geheimnis" als bester deutscher Film ausgezeichnet wird, schlägt die Stunde der Ursula von der Leyen. Als Vorspiel gibt es Ausdruckstanz mit Message, anschließend Pro-Europa-Testimonials, die in ihrer Farbigkeit und positiven Grundstimmung wirken, als würden sie aus einem Computergame von 1983 stammen. Dann heißt es Bahn frei für einen aufrüttelnden, von sich selbst ergriffenen Monolog von der von der Leyen, der mit einer 5-Euro-Note beginnt, die Kraft der Gemeinschaft beschwört, wenn wir doch nur alle an einem Strang ziehen. Dabei hört sich Ursula von der Leyen zwischenzeitlich an wie eine Sprechstelle aus einem alten Song von Freddy Quinn, verklärt, rührselig, nur eine Armlänge von romantischer Hysterie entfernt. Alle erreichen diese Worte nicht. Wer in die Gesichter von Günther Oettinger oder Cherno Jobatey schaut, ahnt, dass da noch eine Menge Arbeit vor Europa liegt.
Bjarne Mädel mit latent verwirrt-verirrter Bambi-Rede
Viel Arbeit steckt auch an und in Shirin David, die als erste Influencerin und Youtuberin, also als jemand, der "immer nur im Netz rumhängt", mit einem Shootingstar-Bambi ausgezeichnet wird. Für die "Stillen Helden", ein Projekt, das Familien stark pflegebedürftiger Kinder entlastet, macht sich im Anschluss Sasha ehrlich angerührt und mit klarer Kante stark. Ähnlich ernsthaft auch die drei Ehren-Preisträgerinnen Gaby Dohm, Uschi Glas und Michaela May, die im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen überraschend deutlich Stellung gegen rohe Zeiten, wachsende Aggression und zunehmende Rücksichtslosigkeit beziehen. Und von denen es Michaela May ist, die sich zum Abschied das wünscht, was allen Bambis, Bembels und Beklatschungen zum Trotz für Frauen im Ehrenpreis-Alter immer rarer wird: noch viele schöne Rollen.
Härter noch als in jedem Jahresrückblick der Sprung von den drei Damen zu Tod, Verschleppung und Vergewaltigung. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hält die Laudatio auf Nobelpreisträgerin Nadia Murad, die für ihr Engagement im Kampf gegen den IS mit einem Mut-Bambi ausgezeichnet wird.
Der Bruch zurück zur leichten Muse ebenfalls nicht einfach. Anna Loos macht das ganz geschickt, hat zu einer Frisur/Kleid-Kombi gegriffen, die voller Eigenwilligkeit schnell für Ablenkung sorgt. Ihr Preisträger ist Schauspieler Bjarne Mädel, der in seiner von verhalten zu verhaspelt changierenden Dankesrede an einer Stelle davon erzählt, wie glücklich er ist, als weißer Mann geboren worden zu sein. Möglicherweise soll da noch ein erklärender Satz hinterher, der dann in der Aufregung jedoch irgendwie wegfällt, sodass ein latent verwirrt-verirrtes Statement nachhallt, das eine umfassende Tatort-Reinigung ganz gut vertragen könnte.
Ach, jetzt der Kerkeling, das wird super, aber Pustekuchen
Während man noch dabei ist, Herrn Mädel irgendwie nachzuvollziehen, knödelt eine kehlige Stimme ins Bild. Mensch, denkt man sich, der Jörg Knör ist aber auch in die Jahre gekommen, aber das mit dem Stimmen nachmachen, das hat er immer noch super drauf. Bis man feststellt, dass es Günther Oettinger ist, der da auf der Bühne steht, um in eigenwilliger Tonlage die Königin von Belgien anzukündigen. Ach, jetzt der Kerkeling, das wird super, aber Pustekuchen, es ist eine echte Royale und als solche, ähnlich wie Kai Pflaume, mit etwas zu langer Redezeit ausgestattet.
Schließlich kommt die Nummer mit Rea und Sarah, siehe oben, danach Peter Maffay und Johannes Oerding im Duett, gefolgt von einem Trauertableau, das Gus Backus und Rutger Hauer vereint. Am Ende wird es noch einmal international. Während Oliver Masucci eine übervertrauliche Laudatio auf Naomi Watts hält, scheint sich deren Platznachbar mental schon verabschiedet zu haben. Mit verschränkten Armen und Kaugummi kauend (?) sitzt Thomas Gottschalk die Zeit ab, bis endlich wieder was für seine Generation kommt – Mick Hucknall, der alte "Wetten, dass..?"-Kumpel.
Vorher jedoch erzählt Naomi Watts noch etwas von ihren Still-Pausen während der Dreharbeiten in Deutschland, schwenkt die Kamera auf einen im Bühnen-Hintergrund stehenden Masucci, der aussieht, als wäre er mental schon beim Morgendämmerungs-Taxi, mit leicht derangierter Klamotte und Händen in den Taschen. Dann endlich darf mitgeklatscht werden. Simply Red.
Standing Ovations. Vorhang. Durchatmen. Zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.