BUNDESWEHR »Die Wirkung ist katastrophal«

Die auf dem Balkan eingesetzten deutschen Soldaten sind miserabel ausgerüstet. Verteidigungsminister Rudolf Scharping vertuscht und verharmlost die Gefahr. Aus stern Nr. 38/2001.

Wenn er mal nicht turtelt, tourt er am liebsten durch die Truppe. Soldatenvater Rudolf, das ist Scharpings zweitliebste Nummer. Kein Einöd-Standort, den er nicht schon händeschüttelnd heimsuchte. Seht her, will er dann zeigen, der Minister kümmert sich, der hat ein Herz für seine Soldaten.

Hat er? Den Kameradenschmus nehmen ihm die krebskranken ehemaligen Radartechniker (stern Nr. 5/2001 »Die warten nur darauf, dass ich sterbe«) der Bundeswehr schon lange nicht mehr ab. Den verstrahlten Soldaten versprach er dröhnend eine »schnelle, großzügige und streitfreie Lösung«. Wie es aussieht, bleibt ihnen nur der lange Prozessweg, um wenigstens zu einem bescheidenen Schmerzensgeld zu kommen.

Große Töne, nichts dahinter - das ist Fürsorge a la Scharping. Resignation breite sich aus wie noch unter keinem Verteidigungsminister zuvor, berichtet der auf die Bundeswehr spezialisierte »Griephan«-Informationsdienst. Gespart werde auf Kosten der Soldaten.

Bei den 1500 Soldaten des nahe Sarajevo gelegenen Feldlagers Rajlovac lässt sich exemplarisch belegen, wie viel dem Oberbefehlshaber seine Soldaten tatsächlich wert sind: Er schert sich - im Wortsinn - einen Dreck um ihre Gesundheit.

Untergebracht sind sie in Wohncontainern unter Bedingungen, die für Strafgefangene schon »in grauer Vorzeit unzulässig gewesen wären«, so der Wehrbeauftragte Willfried Penner (SPD). Zur Stromversorgung verbrennt die Bundeswehr fast mitten im Camp tagtäglich 57000 Liter Diesel in Generatoren. Die Abgase vergiften die Soldaten systematisch: Mehr als 50 Prozent erkranken während ihres Einsatzes in Rajlovac an Infektionen der Atemwege. »Hier kriegt jeder die Rüsselpest«, klagen die Soldaten.

»Diesel im Waschwasser«

Kaum einer, der sich von den Ärzten, die in der Zeitschrift »Wehrmedizin« die Missstände anprangerten, nicht eine Nasendusche geben lässt, um die Atemwege wieder halbwegs frei zu bekommen. Ein Soldat in einem Brief, der dem stern vorliegt: »Dann kam der Befehl heraus, dass die Zähne nur noch mit Mineralwasser geputzt werden durften, da im Waschwasser Diesel gefunden wurde.« Geduscht wurde weiterhin mit der Dieselbrühe. Und verdrängt wird, was alle wissen: dass bei der Dieselverbrennung unkontrolliert krebserregende Kohlenwasserstoffe freigesetzt werden.

Die Bundeswehr sei asbestfrei, ließ Scharping im Juni stolz verkünden - »normalerweise«. Im Lager Rajlovac ist nichts normal. Ein Soldat, der dort in einer ehemaligen Flugzeughalle der jugoslawischen Armee arbeiten musste, berichtet: »Der asbesthaltige Staub lag überall. Es durfte nicht gefegt werden, nur gesaugt. Aber allein durch das Herumlaufen und Arbeiten wurde genug Staub aufgewirbelt. Oft mussten wir den Hallenboden saugen ohne Schutzanzüge.« Erst Monate später wurden Zivilfirmen bei der Sanierung eingesetzt - Fürsorge nach Methode Scharping.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Gefährdung der deutschen Soldaten, die in Bosnien im Einsatz sind, durch die dort verschossene Uranmunition? »Kein Thema«, behauptete Ende Juni eine Expertenkommission der Bundeswehr. Die Medien hätten das Thema aufgebauscht. An den bosnischen Einsatzorten der Uranmunition bestünden »so gut wie keine Gesundheitsrisiken«. Eine aus mehreren Gründen tollkühne Behauptung.

In Bosnien sind rund um Rajlovac 1994 und 1995 immerhin mehr als 10 000 Schuss Uranmunition verfeuert worden. Ende 1996 rückten die ersten deutschen Sfor-Soldaten an. Erst im Dezember 1997 will man im Ministerium vom Einsatz der Uranmunition erfahren haben, und erst im Januar 2001 habe die Nato die Einsatzorte den Deutschen mitgeteilt.

Die Munition wurde zum Beispiel bei der Zerstörung der in unmittelbarer Nähe des Lagers Rajlovac gelegenen Rüstungsfabrik Hadzici eingesetzt. Mindestens 2600 Schuss Uranmunition sind allein dabei verschossen worden.

Unhaltbare Schutzbehauptung

Der Hinweis auf die späte Information durch die Nato ist eine unhaltbare Schutzbehauptung. Unbestritten ist, dass die Militärs lange vor der offiziellen Unterrichtung durch die Nato von der Uranmunition wussten - schon im Februar 1997. Aber erst mehr als zwei Jahre später dachte man konkret über Maßnahmen zum Schutz der deutschen Soldaten nach. Geraten wurde, an Orten, an denen Verdacht auf Uranverseuchung besteht, nicht zu rauchen, zu essen und eine ABC-Schutzmaske zu tragen. Die Vorsorge war ein Papiertiger: Die Information habe, so räumt das Verteidigungsministerium heute ein, »nicht jeden Soldaten erreicht«.

Erst dieses Frühjahr machte sich die Bundeswehr ernsthaft an die Prüfung der Frage, ob von den Resten dieser Geschosse Gefahr ausgeht. Die späte Aktivität hat einen simplen Grund: Die Bundeswehr besitzt bis heute kein Gerät, um vagabundierende radioaktive Strahlen aufzuspüren. Zwar behauptet sie auf Anfrage, »das erforderliche Gerät ist vorhanden«. Tatsache aber ist: Die ABC-Spürpanzer der Bundeswehr können Strahlung, wie sie durch Uranmunition entsteht, nicht messen, es sei denn, sie stehen mit ihren unsensiblen Spürgeräten zufällig genau über einer Strahlenquelle. Öffentlich wird darüber nicht geredet, weil sonst die Vereinigten Arabischen Emirate vom Kauf von 64 Spürpanzern bei der Firma Rheinmetall abgeschreckt werden könnten.

»Keinerlei Kontaminierung festgestellt«

Um endlich zuverlässige, zielgerichtete Messungen durchführen zu können, lieh die Bundeswehr daher im Februar bei einer Privatfirma einen hoch empfindlichen Detektor. Das danach verkündete amtliche Ergebnis: »Es wurde keinerlei Kontaminierung festgestellt«. Strahlenexperten halten diesen Befund für blanken Unsinn. Beim Verschießen von Uranmunition werde immer Radioaktivität freigesetzt. Daher habe man auf deutschen Truppenübungsplätzen nach Zwischenfällen mit dieser Munition stets das Erdreich an der Aufschlagstelle abgetragen und entsorgt. Auf dem Balkan geschah nichts dergleichen. Die verseuchten Gebiete wurden nicht einmal mit Stacheldraht gesichert. Begründung: Der würde sowieso nur geklaut. Auf stern-Anfrage gestand das Verteidigungsministerium ein, dass mit dem neuen Gerät auch eine lebensgefährliche Strahlenquelle geortet wurde, die mit fünf Gigabequerel strahlte. In Deutschland darf ein KKW-Castor mit nur wenigen Bequerel Strahlung nicht auf die Straße.

Parallel zur laschen Aufklärung der tatsächlichen Strahlengefahr werden die Risiken durch die Rückstände der Uranmunition systematisch heruntergespielt. Dabei sind sie, wie der Göttinger Professor für Strahlenchemie, Dietrich Harder, warnt, ein »gefährliches Problem«. Bei der Explosion entsteht Uranoxid, das sich als hoch giftiger Staub auf die Umgebung verteilt. Soldaten, die mit Uranmunition abgeschossene Panzer untersuchen, können diesen Staub schlucken oder einatmen. Wer einen Krümel an die Lippen bringt, schluckt mehr als die von der Strahlenschutzverordnung erlaubte Jahresdosis Uran. Dann sitzt das Uran in der Lunge oder lagert sich in den Knochen ab und kann in die Blutbahn gelangen - Leukämie droht.

»Wirkung katastrophal«

»Die Wirkung innerhalb eines Organismus ist katastrophal«, sagt Benno Gries, der frühere Strahlenschutzbeauftragte an der Universität Hannover. Die Behauptung, bis heute gebe es keinen nachgewiesenen Fall, in dem ein Zusammenhang zwischen Balkaneinsatz und einer Leukämieerkrankung nachgewiesen wurde, sei wohlfeil: Uranteilchen im Körper lassen sich kaum nachweisen, da ihre Alphastrahlung vom Muskelgewebe vollkommen abgebremst wird.

Kein Geld, heißt es auf die Frage, weshalb leistungsfähige Detektorsysteme nicht längst in den Spürpanzern der Bundeswehr zum Einsatz kommen. Das Leihgerät, das in Rajlovac eingesetzt wurde, kostet 40000 Mark. Wie viele solcher Messsysteme hätte die Bundeswehr kaufen können, wenn der vom Johannistrieb beflügelte Scharping auf einen seiner Mallorcaflüge verzichtet hätte oder nicht ganz so oft zu seinem privaten Standort Frankfurt gedüst wäre? Eine »Challenger«-Flugstunde kostet 15 000 Mark.

Hans Peter Schütz / Fotos: dpa